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Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen), Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, mit Handy im Bundestag.

© dpa / Foto: dpa/Kay Nietfeld

„Twitter verzerrt die Wirklichkeit“: Die ersten deutschen Politiker hören auf zu zwitschern

Elon Musk krempelt Twitter um. Was bedeutet das für den politischen Betrieb in Deutschland? Warum viele erst einmal abwarten - aber dennoch sehr besorgt sind.

Sie liegen beinahe gleichauf: Gut 640.000 Menschen folgen auf Twitter dem Links-Quergeist Sahra Wagenknecht, gut 630.000 sind es beim Account @bundeskanzler. Das zeigt: Relevanz ist bei Twitter relativ, dabei sind aber fast alle. Zumindest bisher.

„Twitter hat sich in Deutschland langsam und spät entwickelt, wurde dann aber zu einem sehr mächtigen Instrument“, sagt die Bonner Medienwissenschaftlerin Caja Thimm, die seit mehr als zehn Jahren zur Bedeutung der Plattform forscht.

Vor der Übernahme durch Elon Musk habe Twitter – anders etwa als Facebook – seine politische Verantwortung wahrgenommen und sei gegen Desinformation vorgegangen. Umso besorgniserregender sei die aktuelle Entwicklung.

Jüngst gab es mehrere prominente Abgänge, etwa von Jens Spahn (CDU) sowie Kevin Kühnert und Saskia Esken (beide SPD). Auch der jetzige Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) verließ einst öffentlichkeitswirksam Twitter und Facebook.

Kevin Kühnert (SPD) spricht bei einer Sitzung im Bundestag.

© Foto: dpa/Britta Pedersen

Sozialdemokrat Kühnert sagte nun, Twitter verzerre seine Wahrnehmung der Wirklichkeit, die Diskussionskultur und Repräsentation der Gesellschaft dort führe zu politischen Fehlschlüssen.

Es kommt darauf an, aus der eigenen Blase auszusteigen, und das kann man auch auf Twitter.

Medienwissenschaftlerin Caja Thimm

Bei Wissenschaftlerin Thimm stößt Kühnert damit auf wenig Verständnis. „In der Politik hat man doch sehr viele Quellen: die Tageszeitung, das persönliche Umfeld, den Wahlkreis – und eben auch Twitter. Nirgendwo habe ich die pure Wahrheit. Es kommt darauf an, aus der eigenen Blase auszusteigen, und das kann man auch auf Twitter“, sagt Thimm.

Ihrer Einschätzung nach ist derzeit noch nicht mit einem großen Exodus zu rechnen: „Viele warten erst einmal ab, wie die Entwicklung weitergeht.“

Ähnlich äußerten sich auf Anfrage auch Bundestagsabgeordnete. „Aktuell beabsichtige ich nicht, mich bei Twitter zu verabschieden“, sagt Dietmar Bartsch, Vorsitzender der Linksfraktion.

Gerade auch Frauen gegenüber ist der Ton mehr als rau geworden, sehr oft sexistisch.

Dorothee Bär, stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag

Dennoch sieht er die Geschehnisse sehr kritisch: „Die Vorgänge um Twitter nach der Übernahme durch Elon Musk sind mehr als problematisch. Auch die generelle Entwicklung von Twitter ist nicht unbedingt positiv zu bewerten, weil Beleidigungen und Hetze gerade gegenüber Politikerinnen und Politikern – und ich weiß, wovon ich spreche – leider immer mehr zunehmen.“

Das sieht auch Dorothee Bär, stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion, so: „Über die Jahre haben Hass und Hetze sowie vermeintliche Shitstorms überhandgenommen. Gerade auch Frauen gegenüber ist der Ton mehr als rau geworden, sehr oft sexistisch. Ich bedauere dies sehr.“

Der morgendliche Blick in die Timeline sei für sie lange völlig selbstverständlich gewesen, nun sei aber die Freude am Austausch immer weiter zurückgegangen. „Ich werde die weitere Entwicklung von Twitter kritisch beobachten“, sagt Bär.

Und Mastodon als Alternative? Hat sich im Politikbetrieb mindestens bisher nicht etabliert.

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