zum Hauptinhalt
Der Vorstandsvorsitzende der Siemens AG, Joe Kaeser.

© dpa

Stellenstreichungen bei Siemens in Berlin: Joe Kaeser sollte seinen eigenen Ansprüchen genügen

Joe Kaeser strahlt gerne moralische Autorität aus. Jetzt, da tausende Stellen gestrichen werden, ist der Zeitpunkt, ihn an seinem eigenen Anspruch zu messen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Gerd Appenzeller

Im Juli hielt Siemens-Vorstand Josef „Joe“ Kaeser im oberpfälzischen Kötzting anlässlich der Jubiläumsfeier des örtlichen Gymnasiums eine viel bejubelte Rede. Das lag an Sätzen wie „Bodenständigkeit ist ganz wichtig im Leben“. Die „Oberbayerische Zeitung“ fand auch noch dies erwähnenswert: In der Weltwirtschaft müsse die Casinomentalität mancher börsenorientierter Unternehmen, die nur möglichst hohe Gewinne in den Vordergrund stellt, beendet werden.

Im abgelaufenen Geschäftsjahr hat Siemens einen Gewinn von 6,2 Milliarden Euro gemacht. Das Unternehmen wird jetzt weltweit 6900 Stellen streichen, 3300 davon in Deutschland, 870 in Berlin, 920 in Sachsen. Durch die Schließung des Werks in Görlitz steigt in der Grenzstadt die Arbeitslosigkeit von zwölf auf 24 Prozent. Die Dynamos, die im 111 Jahre bestehenden Spandauer Werk bald nicht mehr gebaut werden, könnten auch in Mülheim gefertigt werden, findet Personalvorstand Janina Kugel, denn in Berlin lag die Auslastung nur noch bei 35 Prozent.

An anderer Stelle in Berlin lief es hingegen aus der Sicht von Siemens wirklich prima. 2009 durften sich die Münchner über einen 9,862-Millionen-Auftrag am Bau des neuen Flughafens BER freuen. Der zuständige Regionalmanager bei Siemens war damals Jörg Marks. Er wechselte 2014 als Technikchef zum BER. Bei der Überprüfung einer Teilrechnung vom 22. Dezember 2016 stellte ein Ingenieurbüro fest: Durch diverse Nachträge und Ergänzungen war das Auftragsvolumen inzwischen auf 95 Millionen Euro gewachsen. Das förderte eine Recherche von Tagesspiegel-Redakteur Torsten Metzner zutage.

Siemens verdient klotzig am BER

In diesem Licht gewinnt eine Äußerung von Konzernchef Joe Kaeser über die bislang registrierte München-Fixiertheit hinaus einen noch tieferen Sinn. Kaeser sagte nämlich über den BER: Den braucht eh keiner im Augenblick. Wenn wir den Flughafen in fünf oder zehn Jahren haben, reicht das vollkommen. Da muss man hinzufügen: vor allem, wenn man in der Zeit klotzig verdient.

Die Konzernzentrale von Siemens hat ihren Sitz in München. Die Kontakte zwischen dem Siemensvorstand und den Verantwortlichen der bayerischen Landespolitik sind eng – die Sympathie für Ausbau und Entwicklung des Lufthansa-Drehkreuzes am Ort liegt da nahe und gedeiht durch die räumliche Nähe auch noch prächtig. Es gehört wenig Prognosekraft zu der Feststellung, dass Siemens das, was sich das Unternehmen in Berlin und in Sachsen an Chuzpe leistet, in Bayern niemals wagen würde.

Siemens hat viele Jahre und mehrere Vorstandsvorsitzende gebraucht, um sich aus dem übel riechenden Dunst der Schmiergeldaffären zu befreien. Jener Abfolge von Korruptionen, die den Ruf Heinrich von Pierers belasteten, der 13 Jahre lang das Unternehmen leitete und danach noch, gegen alle Compliance-Regeln, zwei Jahre Chef des Aufsichtsrats war. In Joe Kaeser hat das Unternehmen seit August 2013 erneut einen Vorstandschef – er war zuvor sieben Jahre Finanzvorstand, also absoluter Insider –, der der Politik gerne Ratschläge erteilt und hohe moralische Autorität ausstrahlen möchte. Jetzt steckt das Unternehmen in einer Phase, in der seine Führung am eigenen Anspruch gemessen wird.

Da wiegt der Widerspruch zwischen einer Rede wie der in Kötzting und der Realität schwer.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false