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Politik: Statistik des Todes

Das Haus am Checkpoint Charlie veröffentlicht neue Zahlen über Opfer an den DDR-Grenzen

Berlin - 1961 sollte Frau Golz ihr Haus in der Bernauer Straße räumen. Doch die ältere Dame mit unbekanntem Vornamen widersetzte sich der Zwangsräumung. Aus Verzweiflung nahm sie sich selbst das Leben. „Tod am 24.09.61, Art des Todesfalls: Selbstmord bei der Räumung der Bernauer Straße“ – das steht hinter ihrem Namen auf der Liste der Todesopfer an der Grenze der DDR.

Golz ist eine von 1613 Personen, die wegen des DDR-Grenzregimes ihr Leben verloren haben. In einer neuen Dokumentation hat das Museum Haus am Checkpoint Charlie die Grenztoten bis zum Jahr 1989 aufgelistet. Im August 2010 zählte das private Mauer-Museum noch 1393 Tote. Golz ist eines der Opfer, die in diesem Jahr neu hinzugekommen sind.

Erfasst werden die Menschen, welche seit der Gründung der DDR bis zum Fall der Berliner Mauer gestorben sind – sei es an der innerdeutschen Grenze, bei Fluchtversuchen über die Ostsee oder über andere sozialistische Staaten wie Polen oder Rumänien. „Wir zählen 1613 Tote und das ist nicht das Ende, das wissen wir schon“, sagte die Museumsleiterin Alexandra Hildebrandt. Sie kenne viele weitere Fälle, die noch ungeklärt sind. Deshalb sei ein weiterer Anstieg der Opferzahlen zu erwarten.

Unter den Opfern würden sich mehr als 40 Kinder und Jugendliche sowie mehr als 100 Frauen befinden. An der Berliner Grenze seien 528 Menschen gestorben. An der innerdeutschen Landgrenze seien weitere 671 Bürger ums Leben gekommen. 187 Menschen hätten ihr Leben in der Ostsee verloren.

Die Statistik des Hauses am Checkpoint Charlie ist nicht unumstritten, da sie beispielsweise auch Menschen erfasst, die bei Grenzkontrollen einen Herzinfarkt erlitten haben. „Wir arbeiten sehr diskret, akkurat und wissenschaftlich“, sagte Hildebrandt. Die Witwe des Museumsgründers Rainer Hildebrandt gab jedoch zu, dass man von den bisherigen Listen einige Doppelnennungen streichen musste.

Unter den Toten sind auch zahlreiche Grenzsoldaten, die während des Grenzdienstes Selbstmord begangen haben. Eine neue Erkenntnis des Museums ist, dass vier DDR-Bürger bei der Flucht über die Westgrenze Rumäniens ihr Leben verloren haben.

Auf die Frage, welche Toten man in die Statistik aufnehmen sollte, antwortete Hildebrandt: „Für uns sind alle Toten gleich.“ Es sei für sie egal, ob die Menschen erschossen wurden, bei der Flucht auf der Ostsee ertranken oder wegen der Mauer Selbstmord begingen.

Bei ihren Recherchen nutzten die ehrenamtlichen Helfer des Mauer-Museums unter anderem Hinweise Hinterbliebener, Stasi-Akten, Akten von Krematorien sowie Unterlagen von Friedhöfen. Besonders schwierig seien die Nachforschungen für die Jahre 1946 bis 1948. Akten aus dieser Zeit sind laut dem Museum zum Teil vernichtet worden oder in den neuen Bundesländern verstreut.

Die Gedenkstätte Berliner Mauer hatte in einem Forschungsprojekt mit dem Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam für die Zeit von 1961 bis 1989 „mindestens 136 Todesopfer“ an der Berliner Mauer ermittelt. Laut der Gedenkstätte Berliner Mauer verstarben mindestens 251 weitere Reisende, während oder nachdem sie an Berliner Grenzübergängen kontrolliert wurden. Tote an Orten außerhalb Berlins sind bei dieser Zählung nicht enthalten.

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