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Russian President Vladimir Putin chairs a meeting with members of the Russian government via teleconference in Moscow on March 10, 2022. - Russia announced an export ban on more than 200 types of foreign-made products and equipment until the end of the year, part of Moscow's response to sanctions imposed over the Ukraine conflict on March 10. (Photo by Mikhail KLIMENTYEV / SPUTNIK / AFP)

© Mikhail KLIMENTYEV / SPUTNIK / AFP

SPD-Außenpolitik : Nur Willy Brandt bleibt verschont

Parteichef Lars Klingbeil geht mit 30 Jahren sozialdemokratischer Russlandpolitik hart ins Gericht. Das gefällt nicht jedem in der Partei Gerhard Schröders.

Von Hans Monath

Mit einem so großen Interesse hatten die Verantwortlichen nicht gerechnet in der SPD-Zentrale: Der Andrang war so heftig, dass das Foyer im Willy-Brandt-Haus nachbestuhlt werden musste, als sich die Partei am Dienstagabend einem heiklen Thema widmete: der eigenen Russlandpolitik. Dem näherte sie sich an diesem Abend mit einer Rede von Ko-Parteichef Lars Klingbeil und einer Podiumsdiskussion.

Die Auseinandersetzung mit eigenen Fehlern in der Russlandpolitik nach dem Ende des Kalten Krieges hatte Klingbeil schon bei seiner Grundsatzrede zur Außenpolitik im Juni angekündigt, in der er sich für sich für eine Führungsmacht Deutschland aussprach. Nun lieferte der Parteichef - und das in unmissverständlicher Deutlichkeit.

Der 44-Jährige nahm damit auch Risiken in Kauf: Die Erinnerung an die Ostpolitik Willy Brandts und die Entspannung im Verhältnis zur Sowjetunion ist einer der zentralen Bezugspunkte sozialdemokratischer Identität. Sie wird immer wieder bemüht und galt bis zum 24. Februar, dem Tag des Angriffs auf die Ukraine, vielen Genossen als Modell für die deutschen Beziehungen auch zum Russland des autokratischen Herrschers Wladimir Putin.

Klingbeil bekannte sich zu Willy Brandt als Vorbild: „Ich werde als Vorsitzender nicht zulassen, dass sein Erbe beschädigt wird.“ Er erinnerte aber daran dass dessen Außenpolitik durch den Dreiklang von Diplomatie, dem Bekenntnis zu Menschenrechten und Völkerrecht sowie militärischer Stärke geprägt gewesen sei. „Letzteres vergessen wir häufig“, mahnte der Brandt-Nachfolger an der Spitze der Partei.

Und kam dann zur Sache. „Auf der Suche nach Gemeinsamkeiten haben wir oft das Trennende übersehen. Das war ein Fehler“, meinte er. Die SPD habe nach 1989/90 geglaubt, dass die Beziehungen zu Russland einfach immer besser werden würden. „Dadurch sind blinde Flecken in unserem Umgang mit Russland entstanden. Und das hat zu Fehlern im Umgang mit Russland geführt.“

Redet Tacheles, wenn es um die Russlandpolitik seiner Partei geht: SPD-Chef Lars Klingbeil.
Redet Tacheles, wenn es um die Russlandpolitik seiner Partei geht: SPD-Chef Lars Klingbeil.

© Foto: dpa/Wolfgang Kumm

Vier konkrete Fehleinschätzungen seiner Partei in den vergangenen drei Jahrzehnten identifizierte der Parteichef.

Die Sozialdemokraten hätten erstens daran geglaubt, dass die besondere Geschichte Deutschlands und Russlands „uns gegenseitig verpflichtet“. Dabei habe die SPD verkannt, dass der russische Präsident Putin das anders sehe und die Geschichte für die autokratische Konsolidierung nach innen und seine Großmachtpolitik nach außen instrumentalisiere: „Wir haben an einem Bild von Russland festgehalten, das von der Vergangenheit geprägt war, aber schon längst nicht mehr die Gegenwart zeigte.“

Eine solch einseitige Abhängigkeit darf nie wieder passieren.

Lars Klingbeil, Vorsitzender der SPD

Zweitens habe die SPD das Paradigma Wandel durch Annäherung „nicht auf seinen Realitätsgehalt geprüft und kritisch reflektiert“, obwohl es nicht funktioniert habe. Immer engere wirtschaftliche Verflechtungen hätten „nicht zu einer stabileren europäischen Ordnung beigetragen“.

Deutschland habe sich, drittens, mit seiner Energiepolitik abhängig von Russland gemacht. „Eine solch einseitige Abhängigkeit darf nie wieder passieren“, lautete seine Schlussfolgerung.

Viertens seien habe die SPD „die Interessen und Perspektiven der ost- und mitteleuropäischen Partner nicht ausreichend berücksichtigt“, was zu „massivem Vertrauensverlust“ geführt habe.

Klingbeil beanspruchte nicht, Leitlinien für eine neue Russlandpolitik zu präsentieren. Allerdings zog er ein hartes Fazit. Geht es nach dem Vorsitzenden, müssen seine Partei und die Deutschen ihre Haltung zu Russland grundsätzlich ändern. „Die Aussage, dass es Sicherheit und Stabilität in Europa nicht gegen, sondern nur mit Russland geben kann - dieser Satz hat keinen Bestand mehr“, meinte er: „Heute geht es darum, Sicherheit vor Russland zu organisieren.“

Diese Aussage kritisierte in der Debatte die Leiterin der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung, Nicole Deitelhoff. „Nachhaltig werden wir unsere Sicherheit nur mit Russland organisieren können“, meinte sie und verwies auf die Erfahrung des Kalte Krieges: „Man kann mit Feinden leben, man kann auch mit ihnen Sicherheit schaffen, das müssen wir wieder lernen.“

Auch das ist ein Teil sozialdemokratischer Russlandpolitik: Waldimir Putin und Gerhard Schröder im Jahr 2018.
Auch das ist ein Teil sozialdemokratischer Russlandpolitik: Waldimir Putin und Gerhard Schröder im Jahr 2018.

© Alexey DRUZHININ / SPUTNIK /AFP / ALEXEY DRUZHININ

Die Russland-Politik der SPD war in den vergangenen Monaten scharf kritisiert worden. Zwar hatte der damalige SPD-Außenminister Heiko Maas kurz nach seinem Amtsantritt 2018 eine aggressive Politik Moskaus beklagt und einen härteren Ton angeschlagen, doch das blieb in seiner Partei weitgehend ohne Wirkung, wurde im Gegenteil abgeblockt. Eine auffällig große Zahl sozialdemokratischer Politiker aber suchten auch nach der Annexion der Krim das enge Verhältnis zu Moskau und redete die Gefahr der Abhängigkeit von russischer Energie klein.

Gerhard Schröder heuerte als Lobbyist russischer Energieunternehmen an und verteidigte seinen Freund Wladimir Putin, Sigmar Gabriel polemisierte als Außenminister im Wahlkampf 2017 gegen das Zwei-Prozent-Rüstungsziel der Nato, Ministerpräsidenten wie Manuela Schwesig oder Stephan Weil kritisierten die Sanktionen gegen Russland. Ähnlich wie nun Klingbeil zu eigenen Fehlern im Umgang mit Russland bekannt hat sich Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der sieben Jahre lang Außenminister war.

Womöglich ist es kein Zufall, dass mit dem 44-Jährigen ein Angehöriger einer jüngeren Generation die Aufarbeitung in Angriff nimmt. Befürworter einer harten Haltung gegenüber Russland in der SPD berichten, das sie zuweilen von älteren Genossen angefeindet würden („Du spuckst auf das Grab von Willy Brandt!“), viele jüngere in der Partei aber keinerlei Sympathien für den Autokraten und Schwulenfeind Putin hegten.

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