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Der Angeklagte vor dem Landgericht Frankfurt (Main)

© AFP / Andreas Arnold

Schrecken durch „NSU 2.0“: Eine Bedrohung, gegen die es kein Gesetz gibt

Das Landgericht Frankfurt verurteilt einen Mann, der anonym Angst verbreitet haben soll. Der Fall zeigt, wie schwer es ist, Opfer vor solchen Taten zu schützen.

Ein Kommentar von Jost Müller-Neuhof

Fast sechs Jahre muss der Drohbriefschreiber in Haft, der Politikerinnen, Rechtsanwältinnen, Journalistinnen mit „Heil Hitler“ und „NSU 2.0“ unter anonymen Hasstexten den Alltag zur Angsthölle gemacht haben soll. Das ist natürlich zu wenig, bedenkt man, was die Taten bei den Opfern ausgelöst haben. Aber das allein ist in einem Rechtsstaat eben nicht der Maßstab. Der Mann mag vieles sein, ein Mörder ist er nicht.

Die Opfer wurden mit dem Bewusstsein ihrer eigenen Verletzbarkeit tyrannisiert

Trotzdem bleibt ein ungutes Gefühl. Unter dem Kürzel „NSU 2.0“ konnte sich eine unbestimmbare Gruppe Gleichgesinnter versammeln, die mit ihren Einschüchterungen erschreckend zielgerichtet vorgegangen sind. Man zeigte, was man über das Leben der Betroffenen wusste und tyrannisierte sie mit dem Bewusstsein ihrer eigenen Verletzbarkeit. Vor allem Frauen. Ein „Wir wissen, wo Du wohnst“ in potenzierter Form; eine perfide Mischung aus Stalking und Terrorismus, für die noch kein Straftatbestand erfunden ist.

Das ist niederträchtig, es ist gewissenlos, und vor allem ist es deshalb so beängstigend, weil sich in der vierten Dimension des Internets jederzeit jemand finden könnte, der tut, was der jetzt in Frankfurt Verurteilte noch unterließ: tätlich werden. Gewalt anwenden. Mit diesem Szenario kalkulierten die „NSU 2.0“-Täter, es ließ sie sich mächtig und ihre Opfer sich ohnmächtig fühlen. Und es zog Leute an, die Trittbrettfahrer zu nennen eine Verharmlosung wäre.

Ein Strafprozess kann nicht die Aufklärung leisten, die viele sich wünschen

Die Forderung nach rückhaltloser Aufklärung bis hinein in Polizeidienststellen, wo Tippgeber vermutet werden, ist deshalb so berechtigt, wie es verständlich ist, dass ein Strafprozess dies nicht leisten kann. Hier hatte man über einen Mann zu urteilen, der alle Schuld von sich wies und sein Treiben als „Herumtrollerei auf hohem Niveau“ abtat. Sollte die Gefängnisstrafe hier für etwas gut sein, dann dafür, Leute wie ihn aus dem digitalen Verkehr zu ziehen. Einsicht muss niemand erwarten.

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