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Nicola Sturgeon, Premierministerin von Schottland, spricht im Bute House über ihre Forderung nach einem zweiten Referendum über die Unabhängigkeit von Schottland.

© dpa / Neil Hanna

Schottische Unabhängigkeit: Jetzt geht es vor Gericht

Minsterpräsidentin Nicola Sturgeon möchte den Weg zu einer neuen Befragung frei machen.

Eines immerhin steht schon fest: Der Lieblingstermin der Nationalisten für die zweite Abstimmung über Schottlands Unabhängigkeit ist kaum einzuhalten. In wenig mehr als einem Jahr, am 19. Oktober 2023, will die Edinburgher Koalition aus Ministerpräsidentin Nicola Sturgeons SNP und den Grünen die 4,2 Millionen Wahlberechtigten erneut über die Ablösung vom Vereinigten Königreich entscheiden lassen.

Weil dazu die Zustimmung der Londoner Zentralregierung fehlt, muss nun der Supreme Court über das Anliegen beraten. Bis zu einer Entscheidung würden „mehrere Monate“ vergehen, warnte Gerichtspräsident Robert Reed zum Auftakt der mündlichen Verhandlung am Dienstag.

Juristisch gesehen geht es bei dem Verfahren um die Frage, ob die Koalitionsregierung dem Edinburgher Parlament den Gesetzentwurf über ein Referendum vorlegen darf, dem London nicht zugestimmt hat. Um dies zu erlauben, benötige sie die Zustimmung der Höchstrichter, argumentiert Schottlands Chefjuristin Dorothy Bain.

Das Referendum sollte eine Generation lang halten

Unsinn, erwidern die Anwälte der Regierung von Premierministerin Liz Truss: Das Gericht solle frühestens dann über die Frage entscheiden, wenn das schottische Parlament tatsächlich den Weg zum neuerlichen Votum freigemacht habe. In jedem Fall gilt die Klärung der juristischen und prozeduralen Fragen binnen eines Jahres als extrem unwahrscheinlich.

Im Vorfeld der Abstimmung von 2014 hatten die SNP und der damalige Premierminister David Cameron bereits zwei Jahre zuvor die Bedingungen des Referendums ausgehandelt, ehe das Unterhaus dem schottischen Parlament die verfassungsrechtlich vorgeschriebene Zustimmung erteilte.

Ein Befürworter der schottischen Unabhängigkeit geht mit einer schottischen Fahne zu einem Wahllokal um über das Unabhängigkeitsreferendum abzustimmen.
Ein Befürworter der schottischen Unabhängigkeit geht mit einer schottischen Fahne zu einem Wahllokal um über das Unabhängigkeitsreferendum abzustimmen.

© dpa / Andrew Milligan

Am Ende des monatelangen Abstimmungskampfes votierten die Schotten mit 55:45 Prozent für den Verbleib in der mittlerweile 315 Jahre alten Union mit England.

62
Prozent stimmten 2014 für den Verbleib im Vereinigten Königreich

Seither verweisen Londoner Politiker aller unionsweiten-Parteien auf die damalige SNP-Position, wonach die Abstimmung „für eine Generation“ gelten werde. Camerons Nachfolgerinnen im Amt haben die Zustimmung zu einem neuerlichen Votum stets verweigert; Premier Truss nannte Sturgeon kürzlich sogar eine „Wichtigtuerin“, die sie „einfach ignorieren“ werde.

Neben Londons wenig respektvollem Umgang mit der demokratisch gewählten Regierungschefin weisen die Unabhängigkeitsbefürworter stets darauf hin, die Rahmenbedingungen hätten sich durch den Brexit komplett verändert. Beim EU-Referendum stimmten die Schotten 2016 mit 62 Prozent für den Verbleib. Im Fall der Unabhängigkeit will Sturgeon ihre Nation an den Brüsseler Verhandlungstisch zurückführen.

Die seit acht Jahren amtierende, populäre Regierungschefin hat sich übers Wochenende der Zustimmung des SNP-Parteitags in Aberdeen zu ihrem Vorhaben versichert. „Wir haben alle Voraussetzungen für ein erfolgreiches unabhängiges Land“, betonte sie.

Ich verabscheue die Torys und alles, wofür sie stehen.

Nicole Sturgeon, Premierministerin von Schottland

Allerdings trübte Sturgeon selbst das Bild ihres Nationalismus als weltoffen und tolerant, indem sie pauschal die in London regierenden Konservativen verdammte: „Ich verabscheue die Torys und alles, wofür sie stehen“, sagte die 52-Jährige der BBC. Kleinlaut musste sie später einräumen, sie habe natürlich nicht die gesamte Tory-Wählerschaft gemeint.

Damals scheiterten die Nationalisten auch an der EU

Vor acht Jahren scheiterten die Nationalisten vor allem an zwei Themen. Zum Einen übte die EU Solidarität mit ihrem damaligen Mitglied Großbritannien und gab den Schotten zu verstehen, ein etwaiger Beitrittsprozess werde langwierig und mühsam werden.

Zum Anderen blieben Wirtschafts- und Finanzfragen ungeklärt, beispielsweise die zukünftige Währung des unabhängigen Staates, die Aufteilung der britischen Staatsschuld sowie die fortlaufenden Verpflichtungen für Renten und Pensionen.

Das erste Problem hat sich, wenn auch nicht aufgelöst, so doch sehr verändert. Zwar gibt es in Brüssel auch jene, die wenig Begeisterung zeigen für den Neu-Beitritt eines Brexit-Nachbarn mit allen damit verbundenen Problemen. Andererseits wäre der rasche Beitritt eines EU-erfahrenen, konstruktiven Nettozahlers für den Brüsseler Club sicher ein willkommenes politisches Signal.

Ungeklärt hingegen bleiben die Fragen zur wirtschaftlichen Stabilität des Landes. Müsste zwischen dem Abschied vom britischen Pfund und dem nicht sonderlich populären Beitritt zum Euro eine eigene schottische Währung eingeführt werden?

Wieviel des immensen Energiereichtums aus den Öl- und Gasvorkommen in der Nordsee fließt in die Edinburgher Kasse, wieviel verbleibt in London? Und wie sieht es mit den Einnahmen der zahlreichen Off-Shore-Windfarmen aus?

Das Defizit der Edinburgher Finanzministerin lag im vergangenen Jahr bei 12,3 Prozent, während das Minus fürs Gesamt-Königreich 6,1 Prozent betrug. Kommende Woche will die schottische Regierung ein Papier vorlegen, das eine Reihe der aufgeworfenen Fragen beantworten soll.

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