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Mit beiden Beinen auf dem Boden der Verfassung? Minister Boris Pistorius (SPD) will Verfassungsfeinde schneller entlassen.

© picture alliance/dpa/Marijan Murat

Neue Regeln beschlossen: Die Bundeswehr kann sich jetzt schneller von Extremisten trennen

In Deutschland gibt es ein neues Soldatengesetz. Wer in der Truppe verfassungsfeindliche Bestrebungen verfolgt, kann künftig umgehend entlassen werden – ohne Disziplinarverfahren.

Es ist eine Selbstverständlichkeit und heikle Angelegenheit zugleich, dass die Bundesregierung am Mittwoch einen „Gesetzentwurf zur Beschleunigung der Entfernung von verfassungsfeindlichen Soldatinnen und Soldaten aus der Bundeswehr“ beschlossen hat.

Wer einen Eid auf das Land und sein Grundgesetz geleistet hat, sollte nichts in der Truppe verloren haben, wenn er extremistischen Positionen und Weltbildern anhängt. Zugleich nervt sie selbst wenig mehr als der Generalverdacht, dass es in der deutschen Armee ein großes Extremismusproblem gebe.

Nicht zuletzt deshalb stellte auch Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) folgenden Satz seiner Ausführung zum neuen Gesetz voran: „Unsere Soldatinnen und Soldaten stehen auf dem Boden der freiheitlichen demokratischen Grundordnung“. Bekanntlich ist und war das aber nicht immer so. Erst gerade hat ein mutmaßlicher Spionagefall die Truppe in Aufruhr versetzt, in dem der Hauptverdächtige der AfD nahestehen soll.

962
extremistische Verdachtsfälle registrierte die Bundeswehr 2022

Für Schlagzeilen sorgten die rechtsextremen Umtriebe beim Kommando Spezialkräfte in Calw, die ins Jahr 2017 zurückreichten und vor drei Jahren zu einem Umbau der Eliteeinheit führten. Vor diesem Hintergrund nahmen sich Sozialdemokraten, Grüne und Liberale Ende 2021 dem Problem an. „Wir werden Dienst- und Arbeitsrecht anpassen, um Extremistinnen und Extremisten umgehend aus dem Dienst entlassen zu können“, heißt es im Koalitionsvertrag aus dem Herbst 2021.

Weniger Fälle 2022

Ob allein diese Drohung gefruchtet hat? Jedenfalls hat die interne Koordinierungsstelle für Extremismusverdachtsfälle im Jahr 2022 deutlich weniger davon registriert. Wurden im Jahr zuvor noch 1452 Verdachtsfälle durch den Militärischen Abschirmdienst (MAD) bearbeitet, waren es im vergangenen Jahr nur noch 962, von denen 241 neu hinzugekommen waren.

Für Entwarnung sah die Stelle jedoch selbst keinen Anlass: Der Rückgang sei teils auf eine neue Zählweise zurückzuführen, die nur noch konkrete „Abwehroperationen“ auflistet, da bei reinen „Prüffällen nicht feststeht, ob überhaupt hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für extremistisches Verhalten vorliegen“.

80
Prozent aller Verdachtsfälle machen rechtsradikale Bestrebungen aus

„Mit 80 Prozent aller Verdachtsfälle“, heißt es in dem Bericht der zuständigen Stelle weiter, machten rechtsradikale Bestrebungen „erneut mit Abstand den größten Anteil an der Extremismusbearbeitung des MAD aus“. Häufig geht es dabei um fremdenfeindliche Aussagen in sozialen Medien oder die Teilnahme an entsprechenden Kundgebungen.

Hinzu kommen noch 55 mögliche Reichsbürger und 67 Verdachtsfälle, bei denen eine mögliche „Delegitimierung“ des Staates eine Rolle spielt. Deutlich seltener sind linksextremistische (15) und islamistische Verdachtsfälle (38).

Rechtsschutz gewahrt?

Wenn im Herbst auch der Bundestag zustimmt, gibt es für sie künftig einen neuen Entlassungstatbestand. Wenn nachweislich verfassungsfeindliche Bestrebungen unterstützen oder verfolgen, können sie der Mitteilung des Verteidigungsministeriums zufolge „unabhängig von ihrem Status durch Verwaltungsakt aus dem Dienstverhältnis entfernt werden“.

Das heißt Minister Pistorius zufolge, dass die jeweils zuständige Behörde per Verwaltungsakt tätig werden kann „ohne ein langwieriges gerichtliches Disziplinarverfahren“.

Vorsorglich heißt es, dass der Rechtsschutz gewährleistet bleibe, „da eine gerichtliche Überprüfung dieser Entscheidung möglich ist“. Der Bundeswehrverband, die Gewerkschaft der Soldatinnen und Soldaten, hat das Gesetz im Kern unterstützt. Er machte sich vorab jedoch dafür stark, dass ein einzelner Vorfall wie etwa ein Spruch in einer Chatgruppe nicht automatisch zum Ende der Bundeswehrkarriere führt, sondern erwiesen sein muss, dass der Verdächtige kontinuierlich und aus Überzeugung die verfassungsgemäße Ordnung ablehnt.

Als „überfällig“ bezeichnete die Grünen-Verteidigungspolitikerin Agnieszka Brugger den Gesetzentwurf. „Jeder Fall ist ein Fall zu viel“, sagte sie dem Tagesspiegel: „Nach vielen Jahren wird die Gefahr, die von Verfassungsfeinden in den Sicherheitskräften ausgeht, endlich nicht mehr verharmlost.“

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