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Innenmister Thomas de Maiziere macht nach Ansicht einiger Bundesländer keine gute Figur.

© Wolfgang Kumm/dpa

Umgang mit Flüchtlingen: Schafft die Krise Thomas de Maizière?

Die Kritik am Bundesinnenminister wird immer lauter. Zu zögerlich sei er und das Ausmaß der Krise habe er falsch eingeschätzt.

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Mitten in der Flüchtlingskrise gerät Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) unter Druck. De Maizière ist in der Bundesregierung für Einwanderung und Integration zuständig, in seiner Verantwortung liegt die Arbeit der zentralen Asylbehörde, der Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf), deren Chef Manfred Schmidt am Donnerstag zurückgetreten ist. De Maizière wird nun vorgeworfen, er habe die Dimension der Krise zu spät erkannt, zu lange mit notwendigen Entscheidungen zur Eindämmung der Krise gezögert und zu wenig konsequent die anstehenden Probleme angepackt.

Welche Aufgabe hat der Bundesinnenminister in der Krise?

Als Innenminister verantwortet de Maizière das gesamte Krisenmanagement der Regierung und die Koordinierung mit den Ländern und Kommunen. Auch die Garantie der Sicherheit des Landes ressortiert in de Maizières Ministerium. Mit seinem Erfolg steht und fällt die Glaubwürdigkeit des Versprechens der Bundeskanzlerin: „Wir schaffen das.“ Denn dahinter verbirgt sich nicht weniger als die Zusage, dass der Staat die unterschiedlichen Aufgaben der Aufnahme von Flüchtlingen und ihrer Integration bewältigen und die Sicherheit des Landes garantieren kann. Lässt der Bundesinnenminister Zweifel daran erkennen, dass er der Aufgabe gewachsen ist, schwindet das Vertrauen in der Bevölkerung und er wird automatisch zum Risiko für die Bundeskanzlerin.

Welchen Eindruck hat der Bundesinnenminister bisher in der Krise gemacht?

Thomas de Maizière ist kein Politiker, der Entschlossenheit und Tatkraft durch aufsehenerregende Statements vor Kameras dokumentiert. Er sieht seine Aufgabe vor allem in der reibungslosen Führung von Verwaltungen und der stillen Lösung von Aufgaben. Diese Amtsführung und das Verzichten auf Konfrontation wird seit langer Zeit in der Regierung, im Bundestag und auch bei den Innenministern der Länder gelobt. In der heraufziehenden Flüchtlingskrise jedoch wird de Maizière angekreidet, die Probleme zu lange unter den Tisch gekehrt und so notwendige Entscheidungen verzögert zu haben.

Am Dienstagabend erreichte die schwelende Unzufriedenheit mit de Maizière beim Bund-Länder-Treffen im Kanzleramt einen Höhepunkt, als der Minister nach verbreiteter Einschätzung in der Runde schlecht vorbereitet war und nicht gut genug im Stoff stand. In einigen Punkten wurde er selbst von der Kanzlerin korrigiert, die sich dann teils auf die Länderforderungen einließ und nicht auf die Position ihres Innenministers.

Schon am Tag zuvor hatte de Maizière keinen guten Eindruck hinterlassen, als er im Fernsehen sagte, EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker habe den Mitgliedstaaten, die sich gegen eine Flüchtlingsverteilung nach Quote wehrten, mit Kürzungen von EU-Mitteln gedroht. Er finde das richtig, hatte der Innenminister hinzugefügt. Juncker ließ umgehend dementieren, auch Angela Merkel will von solchen Drohungen nichts wissen. Dass beim EU-Innenministertreffen am Montagabend keine Lösung erreicht wurde, hat de Maizières Position zumindest nicht gestärkt.

Worauf gründet der Unmut mit de Maizière vor allem in den Bundesländern?

Die Unzufriedenheit der Länderchefs mit de Maizière und dem Bamf hat sich über Monate aufgebaut, zuletzt auch auf Unionsseite. Der Minister und sein Behördenchef gelten als zu bürokratisch und zu wenig flexibel. Die Hauptklage lautete stets: Der Bund sorge nicht dafür, dass das Abarbeiten der Asylanträge schneller vorankomme. Zudem lagen die Prognosen der Asylbewerberzahlen für 2015 lange Zeit weit auseinander – und an dieser Prognose hängt letztlich alles, das Verteilen der Gelder, das Bereitstellen von Infrastruktur, das Ändern von Gesetzen.

Als die Ministerpräsidenten im vergangenen Dezember darauf hinwiesen, dass man 2015 mit deutlich höheren Zahlen zu rechnen habe, gingen de Maizière und Kanzleramtsminister Peter Altmaier nicht darauf ein. 2014 waren es insgesamt knapp 203.000 Anträge gewesen. Diese Zahl war in diesem Jahr dann schon im Juli erreicht, die Länderchefs fühlten sich bestätigt, die schon lange mit 500.000 Anträgen im Gesamtjahr gerechnet hatten – während de Maizière weiterhin mit 300.000 kalkulierte. Basierend auf dieser Schätzung hatte die Bundesregierung im Dezember zugesagt, Ländern und Kommunen für 2015 und 2016 jeweils 500 Millionen Euro zu zahlen.

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© Peter Kneffel/dpa

Noch im April ließ de Maizière erklären, dass er die Diskussion darüber für „abgeschlossen“ halte. Im Juni musste er seine Position räumen; der Bund versprach den Ländern angesichts einer nun gemeinsamen Schätzung von 450.000 Asylbewerbern, die 500-Millionen-Hilfe für 2016 schon im laufenden Jahr auszuzahlen und sich ab 2016 stärker an den Kosten zu beteiligen – und zwar dynamisch, also je nach den tatsächlichen Flüchtlingszahlen. Konkrete Festlegungen gibt es seither jedoch nicht.

Kritisch wurde stets angemerkt, dass der Innenminister lange Zeit allein die Flüchtlingszahlen des Bamf zum Maßstab für das Krisenmanagement machte – wohl wissend, dass die Behörde nur Flüchtlinge zählt, die ihren Asylantrag bereits abgegeben haben. Überraschend ging er vor Kurzem davon ab und rechnet seither mit 800.000 Flüchtlingen in diesem Jahr. Hätte der Minister diesen Schritt bereits früher getan, heißt es bei den Innenpolitikern der Koalition und in den Ländern, wäre viel früher klar geworden, dass die Asylbehörde zu wenig Personal hat und es viel zu wenig Unterbringungskapazitäten gibt.

Auch eine feste Koordinierungsstelle von Innenministerium und Bundesländern hat de Maizière erst Ende August eingerichtet. Trotzdem lautet das Urteil der Beteiligten: „Die Koordinierung läuft nicht.“ Im Ergebnis würden Länder und die Kommunen zum Teil so kurzfristig informiert, dass sie sich auf die Ankunft weiterer Flüchtlinge nur schlecht vorbereiten könnten. Auch die Bevölkerung werde so nicht ausreichend informiert.

Darüber hinaus ist de Maizières Umgang mit der Krise auf europäischer Ebene ist immer wieder Anlass zu Kritik. So ist die unfaire Verteilung der Flüchtlinge, die zum Beispiel zu einer Überforderung auch von Ungarn führt, schon seit Monaten bekannt. De Maizière hat das zwar im Kreis der EU-Innenminister immer wieder thematisiert und feste Quoten gefordert, den Konflikt aber lange nicht offen angesprochen.

Welche Rolle kommt dem zurückgetretenen Bamf-Chef Schmidt zu?

De Maizière erklärte, er verliere mit Schmidt einen Behördenleiter, der „hervorragende Arbeit geleistet hat“. Das Bamf stehe vor „enormen Herausforderungen“. Der Grünen-Innenpolitiker Volker Beck kommentierte: „Der Rücktritt ist ein Eingeständnis, dass das Bamf der Lage nicht gewachsen ist und die Kritik an den schleppenden Personaleinstellungen ins Schwarze traf. Allerdings wird Manfred Schmidt zum Bauernopfer, wenn sein Dienstherr, der Bundesinnenminister, daraus keine Konsequenzen zieht.“

Auch ist zu hören, dass Schmidt als Sündenbock herhalten muss, den vor allem die Länder gesucht haben. Denn weder ist das Bundesamt verantwortlich dafür, wie viele Flüchtlinge kommen, noch ist Schmidt für die Gesetzgebung zuständig. Und der Antragsstau, den das Bamf trotz des aufgestockten Personalbestands nicht rasch genug abbauen konnte, geht auch auf Gesetze zurück, die in Berlin gemacht worden waren. Dazu gehört die Einführung des Widerrufsverfahren, mit der das Bamf 2005 verpflichtet wurde, spätestens alle drei Jahre jeden Asylfall nochmals zu prüfen. Das band Arbeitskräfte und trug dazu bei, dass die Erstverfahren länger dauerten. In 95 Prozent der Widerrufsverfahren wurde der Status jedoch verlängert. Aber erst vor kurzem setzte das Bundesinnenministeriums angesichts des Antragsstaus sie aus.

Behördenchef Schmidt brachte die besten Voraussetzungen für seinen Job mit, als er 2010 an die Spitze des Bamf rückte. Der 56-jährige Jurist hatte zuvor 20 Jahre im Bundesinnenministerium gearbeitet, die letzten drei als Chef der Abteilung für Krisenmanagement und Bevölkerungsschutz. Für die jetzige Krise hat dies nicht gereicht, ebenso wenig wie sein Kommunikationsgeschick und eine Bereitschaft zuzuhören, die man nicht unter die Kernkompetenzen eines deutschen Laufbahnbeamten zählen würde. Gescheitert ist er ironischerweise am Glauben, dass es für den Staat keine Aufgabe gibt, die er nicht nach allen Regeln der Kunst, unter allen Umständen und natürlich umgehend lösen kann.

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