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Eine Umfrage zufolge sind 69 Prozent der Katalanen für Neuwahlen.

© imago/ZUMA Press

Krise in Spanien: Rufe nach Neuwahlen in Katalonien werden lauter

Katalonien wird wohl am Freitag auf den angekündigten Autonomie-Entzug reagieren. Gleichzeitig wird die Kritik an Regierungschef Puigdemont schärfer.

„Diese Woche“, sagte der Sprecher der katalanischen Separatistenregierung am Sonntag, „wird eine Woche der Entscheidungen sein.“ Entscheidungen darüber, wie es nach der Ankündigung Madrids, die katalanische Führung in Barcelona demnächst wegen Ungehorsams abzusetzen, weitergeht. Man werde diesem spanischen „Staatsstreich“, wie es Jordi Turull nannte, nicht tatenlos zusehen.

Das hört sich wie eine Drohung an. Werden die katalanischen Rebellen im Gegenzug, und solange sie noch an der Macht sind, im Eilverfahren die Unabhängigkeit der spanischen Region Kataloniens beschließen? Jedenfalls klingen die Worte, die in Barcelona in diesen Stunden zu hören sind, nicht gerade so, als ob sich die Separatisten den Zwangsmaßnahmen der Zentralregierung in Madrid beugen wollten.

Der spanische Regierungschef Mariano Rajoy hatte am Samstag nach einer Krisensitzung seines Kabinetts mitgeteilt, dass nun die Entmachtung der katalanischen Regionalregierung eingeleitet werde, „um die Legalität wiederherzustellen“. Zudem werde Katalonien befristet unter die Kontrolle Madrids gestellt. Innerhalb von sechs Monaten soll in der Region neu gewählt und damit zur Normalität zurückgekehrt werden.

Doch einfach wird dieser Eingreifplan der konservativen spanischen Regierung, der noch vom Senat, dem spanischen Oberhaus gebilligt werden muss, nicht umzusetzen sein. Das beginnt schon mit der geplanten Absetzung von Ministerpräsident Carles Puigdemont, der dann zudem wegen Rebellion festgenommen werde könnte, wie Spaniens Generalstaatsanwaltschaft bestätigte.

Puigdemont soll die Zahl seiner Leibwächter erhöht haben

Es ist unwahrscheinlich, dass die Polizisten, die mit richterlichem Haftbefehl anrücken würden, offene Türen vorfinden werden; zudem soll Puigdemont die Zahl seiner Leibwächter, die ihn Tag und Nacht beschützen, erhöht haben. Das schwer kalkulierbare Risiko, auf Widerstand oder Ungehorsam zu stoßen, gilt gleichfalls für den Plan, Schaltstellen der katalanischen Verwaltung mit Regierungsbeamten aus Madrid zu besetzen.

Konfrontationen mit der Polizei, wie sie sich schon am 1. Oktober, dem Tag des illegalen Unabhängigkeitsreferendums in Katalonien, abspielten, könnten sich also die nächsten Tage und Wochen durchaus wiederholen. „Verteidigungskomitees" der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung bereiten sich schon länger darauf vor, Gebäude der regionalen Regierung und Administration mit Menschenmauern zu schützen.

Auch bei der vom spanischen Verfassungsgericht verbotenen Abstimmung Anfang Oktober waren diese organisierten Verteidigungskomitees im Einsatz, um zu verhindern, dass die Polizei Wahlurnen beschlagnahmt. Die Bilder von Polizisten, die sich mit Knüppeln den Weg in manche Wahllokale bahnten, lösten auch außerhalb Kataloniens Empörung aus.

Puigdemont, dem von Madrid vorgeworfen wird, derartige Szenen bewusst zu provozieren und gezielt auf Eskalation zu setzen, rief auch am Wochenende wieder seine Anhänger zum Widerstand gegen die erwarteten spanischen Zwangsschritte auf: „Wir müssen zusammenhalten, um wieder unsere Institutionen zu verteidigen, wie wir es immer friedlich und zivilisiert gemacht haben.“

Katalanisches Parlament soll offenbar Freitag tagen

Zugleich kündigte er an, dass das katalanische Parlament diese Woche über eine Antwort auf Madrids „Attacke gegen die Demokratie“ beraten werde. Voraussichtlich, wie man hört, soll diese Kammersitzung in Barcelona am Freitag stattfinden. Also am selben Tag, an dem auch Spaniens Senat in Madrid die Zwangsmaßnahmen gegen Puigdemonts Regierung billigen will.

Schon vor einigen Tagen hatte Puigdemont gedroht, dass die angestrebte einseitige Abspaltung beschleunigt werde, wenn Madrid in Katalonien eingreife. In diesem Falle, so erklärte er damals, werde das katalanische Parlament die bisher noch ausgesetzte Unabhängigkeitserklärung umgehend in Kraft setzen.

Vor seiner Rede am Samstagabend hatte Puigdemont an einer großen Demonstration in Barcelona teilgenommen. Nach Schätzung der Polizei protestierten rund 450.000 Anhänger der Sezessionsbewegung gegen Madrid sowie gegen die Festnahme von zwei führenden Aktivisten, denen von Spaniens Justiz „aufrührerisches Verhalten“ vorgeworfen wird.

Eine Neuwahl, wie sie Spaniens Regierung zur politischen Stabilisierung Kataloniens anstrebt und wie sie offenbar auch viele Katalanen als Ausweg bevorzugen würden, lehnt Puigdemont bisher ab. „Wahlen stehen derzeit nicht zur Debatte“, sagte sein Sprecher Turull.

Große Tageszeitungen werfen Separatistenführer Manipulation vor

Die beiden größten katalanischen Tageszeitungen, „La Vanguardia“ und „El Periodico“, warfen dem Separatistenführer am Sonntag vor, Katalonien in eine Sackgasse manövriert und das Risiko einer gewaltsamen Konfrontation in der gespaltenen Gesellschaft in Kauf zu nehmen. Am deutlichsten wurde Enric Hernandez, Chefredakteur von „El Periodico“, in seinem Leitartikel. Er verglich die Manipulation der öffentlichen Meinung durch die Separatisten mit dem, „was die Befürworter des Brexits machten“. In der Tat haben sich bereits viele Behauptungen der katalanischen Regierung über die Vorteile einer blühenden und unabhängigen „katalanischen Republik“ als Propaganda erwiesen.

Beide Zeitungen überschrieben ihre Leitartikel am Sonntag mit dem Titel: „Herr Ministerpräsident, stellen Sie Wahlurnen auf!“ Einer am Wochenende von „El Periodico“ veröffentlichten Umfrage zufolge sind 69 Prozent der Katalanen dafür, dass Neuwahl der beste Weg sei, um angesichts wachsender Spannungen die Stimmung in der Region auszuloten.

In der letzten Wahl vor zwei Jahren, die von den drei Parteien der Separatistenfront zum Plebiszit über die Zukunft Kataloniens erklärt worden war, hatten die Unabhängigkeitsbefürworter 47,8 Prozent der Stimmen bekommen. Damit errangen sie aber die knappe Mehrheit im katalanischen Parlament.

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