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Manfred Götzl, Vorsitzender Richter im NSU-Prozess.

© dpa

161. Tag: Richter Götzl lässt NSU-Prozess im Krebsgang stecken

Richter Manfred Götzl ist hartnäckig, er bleibt dran, hakt dauernd nach. Nur leider oft auch da, wo erkennbar nichts mehr zu holen ist. Damit wird der gesamte Prozess immer zäher.

Von Frank Jansen

Der Zeuge genießt den Auftritt. Kai D. stützt den linken Arm auf den Tisch, fixiert durch seine Lesebrille den Richter und sagt, „man muss unterscheiden zwischen einem aufklärenden V-Mann und einem, der in eine bestimmte Richtung führt. Ich war ein aufklärender V-Mann.“ Der Richter ist genervt. „Sie neigen dazu, abzuschweifen“, herrscht Manfred Götzl den 50-jährigen, nahezu kahlköpfigen Ex-Spitzel an. Da ist die Befragung von Kai D. am 161. Verhandlungstag schon seit zwei Stunden im Gange. Und die Einvernahme am Donnerstag ist nicht die erste Gelegenheit für den Zeugen, sich zu produzieren. Schon vergangene Woche hat Kai D. stundenlang im Saal A101 des Oberlandesgerichts München schwadroniert. Viel Selbstverliebtheit beim Rückblick auf seine Jahre als ebenso eifriger Neonazi wie V-Mann, bisweilen schizophren anmutend. Aber  die Substanz der Aussage ist überschaubar.

Der NSU-Prozess steckt im Krebsgang. Die beiden Termine mit dem früheren V-Mann Kai D. sind nur ein Beispiel für eine zunehmend zähe Beweisaufnahme, die viele Verfahrensbeteiligte zermürbt. Auch die Gesichter erfahrener Anwälte werden grauer, der Prozess strapaziert die  Kondition. Nur bei einem offenbar nicht. Manfred Götzl, Vorsitzender Richter des 6. Strafsenats, wirkt an jedem Tag bis zur letzten Minute munter. Und er kanzelt weiter, wie seit Beginn der Hauptverhandlung vor eineinhalb Jahren, Anwälte ab, wenn ihm deren Fragen spekulativ oder sachfremd erscheinen. Dabei ist Götzl inzwischen selbst Teil des Problems.

Richter Götzl fragt auch dann, wenn klar ist, dass nur heiße Luft kommt

Der Richter fragt auch dann noch, wenn klar ist, dass ein Zeuge nur heiße Luft ablässt, wie Kai D. Oder wenn ein ehemaliger Polizist an eine Vernehmung, die lange her ist, keine Erinnerung mehr hat. Am Montag löchert Götzl einen pensionierten Kriminalbeamten aus Gera, der vor 18 Jahren Zschäpe vernommen hat. Es ging um eine zynische Aktion an einer Autobahnbrücke in Thüringen. Mutmaßlich Uwe Böhnhardt, der spätere NSU-Mörder, hatte im April 1996 am Geländer eine als Jude ausstaffierte Puppe aufgehängt und eine Bombenattrappe abgelegt.

Der Kriminalpolizist befragte im Juli 1996  Zschäpe, sie nahm den mit ihr liierten Böhnhardt in Schutz. Dem pensionierten Beamte ist der Vorgang  heute nicht mehr präsent, auch wenn er kurz vor dem Termin in München das Protokoll gelesen hat. Dennoch versucht Götzl mit einer Salve von Fragen, ihm eine Erinnerung zu entlocken.

Der Zeuge wird unsicher, er verhaspelt sich und spricht plötzlich von der „Volkspolizei“. Gelächter im Saal. Götzl gibt auch nicht auf, als der Pensionär fälschlich behauptet, Zschäpe sei damals als Zeugin befragt worden. Sie war Beschuldigte, weil die Polizei sie verdächtigte, an der judenfeindlichen Tat beteiligt gewesen zu sein. Der Ex-Polizist schaut den Richter hilflos an. Götzl blickt ungerührt, „es ist lange her, aber versuchen muss ich es ja trotzdem“. Der Zeuge senkt den Kopf.

Ähnlich ergeht es einem ehemaligen Gerichtspräsidenten aus der Schweiz. Er hat im Februar 2012 den vermutlich ersten privaten Besitzer der Pistole Ceska 83 vernommen, den obskur erscheinenden  Hans-Ulrich M. Mit der Waffe hatten Böhnhardt und sein Komplize Uwe Mundlos neun Migranten erschossen. Auch wenn seit der Vernehmung von M. im Kanton Bern erst zweieinhalb Jahre vergangen sind, hat der Ex-Gerichtspräsident keine Erinnerung mehr. Der Termin damals dauerte nicht lange, der Jurist hatte zu entscheiden, ob M. in Untersuchungshaft gesteckt wird. So geschah es, für den Gerichtspräsidenten war es eine von vielen Routinegeschichten. Nun sagt er gleich zu Beginn seiner Befragung Anfang November in München, er wisse nur noch, dass es um Waffen ging. Doch Götzl lässt nicht locker.

Er hält dem Schweizer reihenweise Passaagen aus dem damaligen Protokoll vor. Der Zeuge antwortet hartnäckig: nein, keine Erinnerung. Als Götzl weiter bohrt, wird der frühere Gerichtspräsident säuerlich. „Ich repetiere, mich nicht erinnern zu können“, sagt er in schneidendem Ton. Götzl blickt in seine Unterlagen und stellt die nächste Frage.

Götzls Verhalten wirkt widersprüchlich

Niemand im Saal A 101 bezweifelt, dass der Vorsitzende Richter diesen Jahrhundertprozess um zehn Morde und weitere Schwerverbrechen im Griff hat. Doch Götzls Verhalten wirkt widersprüchlich. Er dreht Runde um Runde mit erkennbar schwachen Zeugen, pocht aber gegenüber Anwälten immer wieder mal auf das „Beschleunigungsgebot“. Immerhin sitzen Beate Zschäpe und der mitangeklagte Ex-NPD-Funktionär Ralf Wohlleben seit drei Jahren in Untersuchungshaft. Und zwei größere Komplexe wurden im Prozess bislang kaum thematisiert, der Nagelbombenanschlag des NSU vom Juni 2004 in Köln und 14 der 15 Raubüberfälle. Viele Anwälte hoffen, zumindest mit dem Verbrechen in Köln, bei dem mehr als 20 Menschen verletzt wurden, befasse sich der Strafsenat noch in diesem Jahr. Ob er das schafft, ist offen.

Kritik an Götzls Kurs wird nur halblaut geäußert

Der Richter ist gefürchtet, er hat bereits reichlich  Anwälte abgewatscht. Andererseits lässt Götzl dann wieder weitreichende Fragen von Opferanwälten zum mutmaßlichen Umfeld des NSU zu, bis hin zu frühen Verästelungen der rechten Szene in Thüringen, Sachsen und anderswo. Die Verteidiger von Zschäpe und Wohlleben haken oft ein, sprechen von „Szene-Voyeurismus“ und fragen nach dem Bezug zu den in der Anklage genannten Straftaten. Die Bundesanwaltschaft sieht das meist ähnlich.

Sie will ihre Anklage verhandelt sehen, für weitergehende Fragen verweist sie auf die noch laufenden Ermittlungsverfahren im NSU-Komplex. Doch Götzl scheint jetzt mehr Interesse als in den ersten Monaten zu haben, das Dickicht der braunen Milieus zu durchleuchten. Aber dann pampt er einen Nebenklage-Anwalt an, wenn ihm dessen Fragen ausufernd erscheinen. So wissen die Prozessparteien manchmal nicht, welchem Götzl sie begegnen. Dem duldsamen, dem aufbrausenden – oder gleich beiden hintereinander.

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