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Der Zweite Senat beim Bundesverfassungsgericht.

© picture alliance/dpa/Uli Deck/Bearbeitung Tagesspiegel

Resilienz gegen Rechtspopulismus: Braucht das Bundesverfassungsgericht Schutz?

Die Ampel-Fraktionen wollen als Schutz vor der AfD Regeln für das Verfassungsgericht im Grundgesetz festschreiben. Die Union ist skeptisch. Drei Experten geben eine Einschätzung.

Falls die Rechtspopulisten der AfD im Bundestag weiter stärker werden, könnten sie an den Stellschrauben der Macht mitdrehen. Dazu gehört auch der Einfluss auf das Bundesverfassungsgericht. Dessen Richterinnen und Richter werden je zur Hälfte von Bundestag und Bundesrat gewählt, erforderlich ist eine Zweidrittelmehrheit.

Eine AfD-Fraktion mit mehr als einem Drittel der Stimmen im Bundestag könnte Neubesetzungen von Richterstellen blockieren. Hätte sie die Mehrheit, könnte sie sogar das gesetzlich geregelte Wahlverfahren, die bisher bestehende Amtszeitgrenze von zwölf Jahren oder das Richter-Höchstalter ändern – und nach ihrem Willen neues Personal in Karlsruhe bestimmen. Möglich erschiene auch, dem Gericht einen weiteren Richtersenat zuzuordnen.

Um das zu erschweren, wollen die Ampel-Fraktionen Regeln zum Gericht im Grundgesetz festschreiben statt wie bisher im Bundesverfassungsgerichtsgesetz. Dann könnten Änderungen nur noch mit einer Zweidrittelmehrheit erfolgen. Ein sinnvolles Projekt? Drei Experten geben eine Einschätzung. Alle Folgen unserer Serie „3 auf 1“ finden sie hier.


Zentrale Garantien fehlen noch im Grundgesetz

Das Wirken des Bundesverfassungsgerichts ist seit 75 Jahren essenziell für das Grundgesetz – für Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaat. Aber nur ein unabhängiges und funktionsfähiges Gericht gewährleistet wirksamen Schutz.

In Polen hat sich gezeigt, wie ein Verfassungsgericht mit wenigen Änderungen von Verfahrens- und Organisationsregeln auf Regierungslinie gebracht werden kann. Bei uns sind bisher zentrale Garantien für die Unabhängigkeit des Gerichts nur im Bundesverfassungsgerichtsgesetz geregelt, das mit einfacher Parlamentsmehrheit geändert werden kann.

Wirksame Vorsorge fordert die Absicherung in der Verfassung – und zwar jetzt. Später könnte die dafür erforderliche Zweidrittelmehrheit nicht mehr erreichbar sein. Bereits die Einführung eines Bundesrat-Zustimmungserfordernisses für Änderungen des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes könnte missbräuchliche Änderungen erschweren.

Auch das unverzichtbare Zweidrittelerfordernis bei der Richterwahl muss ins Grundgesetz; verbunden mit einem Mechanismus, der – auch nach jetzigem Recht schon drohende – Besetzungsblockaden löst.


Das bewährte System kann außer Balance geraten

Das Bundesverfassungsgericht, das seit seiner Gründung machtbewusst gegenüber Parlament und Regierung aufgetreten ist und seine Rolle als Hüter der Verfassung sehr bewusst wahrgenommen hat, ist der Schlussstein in der Machtverteilungsarchitektur des Grundgesetzes.

Die besondere Stellung des Gerichts beruht darauf, dass es sich mit einer ausgewogenen Rechtsprechung über Jahrzehnte das Vertrauen der Bevölkerung erarbeitet hat. Da aber eine institutionelle Absicherung weitgehend fehlt, ließe sich an wenigen Schrauben drehen, um das gewaltenteilige System außer Balance geraten zu lassen – genügen würde schon die Einführung einer unbegrenzten Amtszeit, der Verzicht auf eine rechtswissenschaftliche Qualifikation als Voraussetzung für das Richteramt oder die Verlagerung aller Entscheidungen auf das Plenum.

Daher gilt es, die nur rudimentäre Regelung im Grundgesetz zu schärfen und die zentralen, in der Praxis bewährten institutionellen und verfahrensrechtlichen Regeln im Grundgesetz abzusichern.


Angst muss man um das Verfassungsgericht nicht haben

Angst muss man um das Bundesverfassungsgericht nicht haben. Wo in Ländern, in denen Rechtspopulisten an die Macht kommen, Befugnisse der Verfassungsgerichtsbarkeit gekappt oder Richter ausgetauscht werden, da ist das Gericht in Deutschland von einem so hohen Vertrauen der Bevölkerung getragen, dass sich jede politische Kraft die Sympathie der Bürger verscherzt, wollte sie Kompetenzen und Autorität infrage stellen. Bürgervertrauen schafft Resilienz. 

Gewiss, das Bundesverfassungsgericht verfügt nicht selber über Zwangsgewalt, um sich gegen Angriffe einer feindlich gesonnenen Gesetzgebung zu wehren.

Aber das Bundesverfassungsgericht hat einen Trumpf in der Hand: das Grundgesetz. Es genießt auch nach 75 Jahren eine hohe Zustimmung in der Bevölkerung und ist seit langem zu einem Fluchtpunkt deutscher Politik und Identität geworden. Und das Verfassungsgericht ist sein Hüter. Das wirkt wie ein Cordon sanitaire. Eine Garantie auf ewig ist es nicht – aber die gibt es sowieso nicht.

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