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Nancy Faeser (SPD), Bundesministerin des Innern und für Heimat.

© Imago/Metodi Popow

Publizist gewinnt Rechtsstreit: Faeser darf Broder nicht als islamfeindlich hinstellen lassen

In einem Expertenbericht des Innenministeriums wird ein Artikel von Henryk Broder als muslimfeindlich kritisiert. Der Journalist wehrt sich und bekommt Recht. Dies könnte Folgen haben für Studien der Regierung.

Das Bundesinnenministerium darf nicht länger Kritik an einem Artikel des Publizisten Henryk Broder verbreiten und ihn damit indirekt als muslimfeindlich brandmarken. Das geht aus einem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg hervor (Az.: OVG 9 S 20/23). Das Gericht änderte damit eine Entscheidung der Vorinstanz, die Broders Unterlassungsantrag abgewiesen hatte.

Hintergrund des Streits sind Äußerungen im Bericht des Unabhängigen Expertenkreises Muslimfeindlichkeit „Muslimfeindlichkeit – Eine deutsche Bilanz 2023“. Der frühere Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hatte den Expertenkreis nach dem Anschlag von Hanau einberufen. Er sollte Muslim- und Islamfeindlichkeit analysieren und dabei auftauchende antisemitische Haltungen untersuchen.

Im vergangenen Juni überreichte der Expertenkreis Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) seinen Abschlussbericht, den diese, versehen mit dem Logo des Ministeriums, auf der amtlichen Webseite veröffentlichen ließ.

Broder ging gegen eine Passage vor, die auf einen „Spiegel“-Artikel im Jahr 2010 Bezug nahm. In dem Text „Im Mauseloch der Angst“ ging es, aufgehängt am Karikaturenstreit und der Fatwa gegen den Autor Salman Rushdie, um den aus Broders Sicht ungenügenden Widerstand von Künstlern und Intellektuellen gegen islamistisch-fundamentalistische Strömungen, die die Meinungsfreiheit bedrohten.

Der Expertenkreis wertete Wortwahl und Stoßrichtung als muslimfeindlich. Broder mache sich für „eine uneingeschränkte Anwendung der Meinungsfreiheit stark, während er Aufrufe zur Deeskalation und Rücksichtnahme offen verhöhnte und Muslim*innen pauschal als unwissende, ehrversessene, blutrünstige Horden dämonisierte“.

Diese Passage muss das Ministerium jetzt aus dem Netz nehmen. Broder habe zu Recht geltend gemacht, dass Faesers Ministerium mit der konkreten Art der Veröffentlichung der Studie in sein allgemeines Persönlichkeitsrecht eingegriffen habe. Dem Staat sei es verboten sich „ohne rechtfertigenden Grund herabsetzend über einen Bürger zu äußern, etwa eine von diesem vertretene Meinung abschätzig zu kommentieren.“ Das Ministerium hat den Bericht als Reaktion auf den Beschluss zunächst komplett offline gestellt.

Diese Pflicht wirkt sich dahin aus, dass sie deutlich machen muss, dass die Verbreitung der Information über den Inhalt der eingeholten Studie dient, der Inhalt der Studie selbst aber nicht amtliche Position ist.

Beschluss des OVG zum Sachlichkeitsgebot für die Bundesinnenministerin

Ob es sich dabei um eine „amtliche Äußerung“ handele, die Faeser zuzurechnen sei, ließ das Gericht offen. Der „polemisch überspitzte Satz“ sei jedenfalls keine nüchterne Analyse mehr, sondern Broders Artikel werde in einer Weise „paraphrasiert und bewertet, die die Grenze zur Überzeichnung überschreitet und geeignet ist, den Antragsteller herabzusetzen.“

Erste Instanz hatte für Faeser entschieden

Das Verwaltungsgericht hatte dies noch anders gesehen. Die Veröffentlichung des Berichts sei nicht als amtliche Äußerung einzustufen, heißt es im damaligen Beschluss. Das Ministerium sei Auftraggeber und Herausgeber, nicht jedoch Autor des Berichts, und habe sich die Äußerungen des Expertenkreises nicht zu eigen gemacht. Außerdem beruhten die Werturteile über Broders Text „auf einem zumindest sachgerecht und vertretbar gewürdigten Tatsachenkern“.

Das Oberverwaltungsgericht warf Faeser dagegen vor, sie hätte sich von den Äußerungen des Expertengremiums nicht nur per Pressemitteilung, sondern auch im Bericht selbst klarer als abgrenzen und diesen als eigenständigen, von der Regierung unabhängigen Bericht schildern müssen.

Der Publizist Henryk M. Broder (Archivbild von 2015).
Der Publizist Henryk M. Broder (Archivbild von 2015).

© Imago/Future Image

Stattdessen enthalte Faesers Vorwort einen „ausdrücklichen Dank für die Handlungsempfehlungen“ und schließe mit den Worten, es gelte nun, sich ernsthaft mit den Empfehlungen des vorliegenden Berichtes auseinanderzusetzen und entschlossen gegen Muslimfeindlichkeit vorzugehen. „Das kann jedenfalls leicht als Zu-Eigen-Machen des Berichtsinhalts, insbesondere auch der Problemanalyse, verstanden werden“, heißt es im Beschluss.

Die Entscheidung ist rechtskräftig und könnte für die künftige Präsentation von Regierungsstudien eine Rolle spielen. Einerseits agieren die von Amts wegen eingesetzten Gremien und Kommissionen unabhängig. Andererseits kann häufig der Eindruck entstehen, dass sich die Regierung hinter die dort getätigten Aussagen stellt – auch wenn diese sich im Einzelfall und insbesondere gegenüber namentlich genannten Personen im Ton vergreifen.

Wenn der Staat die Öffentlichkeit informiert, unterliegt er jedoch dem Sachlichkeitsgebot. Kritik ist als Öffentlichkeitsarbeit zwar auch zulässig, darf aber nicht auf sachfremden Erwägungen beruhen. Es braucht also einen handfesten Grund, der objektiv geeignet ist, die Kritik zu rechtfertigen.

Ministerien werden dies genauer prüfen müssen, bevor sie die von ihnen beauftragten Studien veröffentlichen – und bei der amtlichen Präsentation im Zweifel lieber auf Distanz gehen.

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