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Privatpatienten werden oft schneller behandelt, aber zahlen müssen sie immer mehr.

© picture alliance / dpa

Gesundheitsversorgung: Private Krankenkassen in der Kritik

Verbraucherschützer glauben, dass sich die privaten Krankenversicherer selbst abschaffen – und zwar durch zu hohe Beiträge. Erhöhungen von bis zu 60 Prozent in einem Jahr hatten eine Flut von Beschwerden ausgelöst.

Die alte Frau, die inzwischen 76 Prozent ihrer Rente für ihre Krankenversicherung zahlen muss. Die 59-Jährige, die für ihren Gesundheitsschutz monatlich 1095 Euro aufzubringen hat. Beitragserhöhungen von bis zu 60 Prozent binnen einem Jahr. Und jede Menge Ärger beim Versuch, in kostengünstigere Tarife zu wechseln. Nie zuvor hätten die Verbraucherzentralen so viele Beschwerden über private Krankenversicherer erhalten wie in den vergangenen Monaten, berichtet der Versicherungsexperte der rheinland-pfälzischen Zentrale, Michael Wortberg. Wobei er, angesichts des verzweifelten Grundtons vieler Betroffener, lieber das Wort „Hilferufe“ verwendet.

144 dieser Beschwerden haben die Verbraucherzentralen bundesweit ausgewertet – ohne Anspruch, repräsentativ zu sein, wie der Chef des Bundesverbandes der Verbraucherzentralen, Gerd Billen, betont. Die Ergebnisse lassen für ihn dennoch nur eine Schlussfolgerung zu: Die Tage der privaten Krankenversicherung (PKV) sind gezählt. Er brauche die Abschaffung der PKV gar nicht zu fordern und tue dies auch nicht, sagte Billen. „Sie wird sich selber abschaffen, weil sie grundlegende Anforderungen nicht erfüllt.“

In den überprüften Fällen stiegen die Prämien zum Jahreswechsel im Schnitt um knapp 24 Prozent. Besonders negativ taten sich dabei die Central Krankenversicherung (Rekord: 60 Prozent) und die Gothaer Versicherung (Rekord: 45 Prozent) hervor. Die Central kam auch auf die mit Abstand meisten Beschwerden, gefolgt von Gothaer und Branchenführer DKV. In fast allen Fällen waren von den Beitragsexplosionen Versicherte betroffen, die älter als 45 und schon länger als zehn Jahre privat versichert sind. Und in nur vier der 144 Fälle wurde ihnen ein problemloser Wechsel in andere Tarife ermöglicht. Viele Versicherer forderten dafür hohe Gebühren oder Gesundheitsprüfungen.

Für Billen sind die augenfällig werdenden Probleme der Privaten „Ausdruck eines sich überholenden Systems“. Da man aber „den Schalter nicht einfach umlegen“ könne, müsse man sich dringend an Reformen machen. Vor allem müssten die Wechselmöglichkeiten verbessert werden. Die Versicherer sollten binnen zwei Wochen über solche Anträge entscheiden müssen, sie sollten dafür weder Gesundheitsprüfungen noch Gebühren verlangen dürfen. Auch sollten alle Privatversicherten die Möglichkeit erhalten, nicht nur den Tarif, sondern auch den Anbieter zu wechseln.

Verbraucherschützer fordern gleiche Preise für gleiche Leistungen

Darüber hinaus müsse die PKV aber auch grundlegend reformiert werden, forderte Billen – und appellierte an Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP), „für gleiche Chancen und fairen Wettbewerb“ zu sorgen. Die Folgen finanzieller Überforderung etwa müssten im PKV-System gelöst werden. Für die Beiträge brauche es, je nach Versicherteneinkommen, einen Kostendeckel. Soziale Härten müssten dann über einen, vom PKV-System finanzierten Fonds ausgeglichen werden.

Des Weiteren fordern die Verbraucherschützer auch für die PKV ein Sachleistungsprinzip. Im Jahr 2010 hätten sich fast 14 Prozent aller Beschwerden auf Streitereien über Arztrechnungen bezogen, argumentiert Bundesverbands-Experte Lars Gatschke. Privat Versicherte befänden sich in einer „Sandwich-Position“ zwischen Versicherer und Leistungserbringer. Wenn diese die Abrechnung unter sich ausmachten, entlaste dies die Patienten und ermögliche zudem mehr Qualitäts- und Ausgabenkontrolle.

Schließlich plädieren die Verbraucherschützer für etwas, das auch die Privatkassen fordern: gleiche Preise für gleiche Leistungen. Die Versorgung müsse sich allein am medizinischen Bedarf und nicht am Versichertenstatus orientieren, verlangt Billen. Dass für Privatpatienten beim Arzt mehr bezahlt werde, sei nicht einzusehen und auch „nicht akzeptabel“ – zumal der ökonomische Anreiz für Mediziner, ihre Privatpatienten besonders intensiv zu versorgen, für diese medizinisch nicht unbedenklich sei.

All diese Forderungen ließen die Privatversicherer am Donnerstag unkommentiert. Stattdessen versuchten sie, der Erhebung die Seriosität abzusprechen. Die Behauptungen der Verbraucherzentrale beruhten „auf 144 Beschwerden bundesweit, das sind nur 0,0016 Prozent aller neun Millionen Privatversicherten“, sagte Verbandschef Volker Leienbach dem Tagesspiegel. Insgesamt besehen betrage der Beitragsanstieg bei den Privaten aktuell gerade einmal zwei und über die Jahre 3,3 Prozent. Das sei vergleichbar mit den Erhöhungen der gesetzlichen Kassen.

Die Verbraucherzentrale skandalisiere Einzelfälle von Beitragssteigerungen im Alter, verschweige aber „das wichtigste Angebot zur Lösung von Problemfällen: den PKV-Standardtarif“, sagte Leienbach. Dort habe derzeit etwa ein 66-Jähriger mit 34 Jahren Versicherungszeit nur 113,66 Euro und eine 72-Jährige nach 33 Jahren nur 189,21 Euro zu bezahlen – und zwar für Leistungen auf dem Niveau der gesetzlichen Krankenversicherung.

Die Verbraucherzentralen wiesen die Kritik zurück. In ihren Hilfsszenarien werde auch auf diese Wechselmöglichkeit verwiesen, betonte Gatschke. Allerdings stünden Standardtarife Neuversicherten seit drei Jahren nicht mehr zur Verfügung. Und sinnvoll seien sie nur für diejenigen, die ihre Ärzte davon überzeugen könnten, sie als Privatpatienten zu deutlich niedrigeren Preisen zu behandeln.

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