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Carsten Schneider (SPD), Ostbeauftragte der Bundesregierung, bei einem Pressegespräch auf seiner Sommerreise.

© dpa/Patrick Pleul

Ostbeauftragter Schneider auf Sommerreise: „Ich sehe hier eine Region im Aufschwung“

Im kommenden Jahr stehen Landtagswahlen in Thüringen, Brandenburg und Sachsen an. Befürchtet wird ein Triumph der AfD. Der Ostbeauftragte Carsten Schneider macht sich ein Bild von der Stimmung.

Es sind bestimmt zehn Kinder, alles Jungen, die Carsten Schneider (SPD), den Ostbeauftragten der Bundesregierung, an diesem sonnigen Nachmittag inmitten einer Plattenbausiedlung in Hoyerswerda erst einmal misstrauisch beäugen. Dann immer näher kommen, ihn schließlich umringen und aufgeregt an ihm auf und ab springen.

Journalisten zücken begeistert ihre Kameras. Wahrscheinlich sind es auch solche Bilder, für die sich der Politiker auf seine jährliche Sommerreise durch den Osten begibt – mehr Menscheln geht kaum.

Fehlt nur, dass Schneider anfängt, mit den Kindern zu bolzen. Doch dafür fehlt die Zeit. Was ihr Lieblingsfach in der Schule ist, fragt er sie, die Lieblingsfußballmannschaft, wie es ihnen hier gefällt und wie lange sie schon in Deutschland sind.

Denn die Jungen eint, dass sie eine Migrationsgeschichte haben, viele von ihnen hat der Krieg in Syrien nach Deutschland gebracht.

Für Menschen, die vor langer Zeit in Hoyerswerda geboren sind, dürfte das multikulturelle Bild, das sich hier auf dem doch eher trostlosen Areal rund um die Platte bietet, noch immer ein eher ungewohnter Anblick sein. Vor 30 Jahren erlangte die Stadt in der Lausitz traurige Berühmtheit.

Am 21. September 1991 müssen die ersten Vertragsarbeiter aus Vietnam und Mosambik ihr Wohnheim verlassen und werden mit Bussen aus der Stadt gebracht, wegen rassistischer Exzesse, die erst viele Jahre später als Pogrome beim Namen genannt werden.

Carsten Schneider, gebürtiger Erfurter, ist heute das erste Mal in Hoyerswerda, einer Stadt, die einst durch Wegzug fast 40.000 ihrer Einwohner verlor.

Wir können hier wieder richtig glücklich werden. Der Strukturwandel bringt uns die Freiheit zurück.

Torsten Ruban-Zeh (SPD), Bürgermeister von Hoyerswerda

Selbst wenn sich Hoyerswerda demografisch von der ältesten zur drittältesten Stadt der Lausitz verjüngt hat, wie Bürgermeister Torsten Ruban-Zeh (SPD) in der örtlichen Kulturfabrik nebenan berichtet, so mag das, was man hier sieht, doch nicht so recht mit den Lobeshymnen auf den gelingenden Strukturwandel in der Lausitz zusammenzupassen, die auf der Rundreise durch Brandenburg und Sachsen verkauft werden sollen.

„Wir können hier wieder richtig glücklich werden“, sagt Ruban-Zeh im Brustton der Überzeugung. „Der Strukturwandel bringt uns die Freiheit zurück.“ Er sagt aber auch, dass er seinen Sohn viermal die Woche zum Hockeytraining bei den Lausitzer Füchsen ins 38 Kilometer entfernte Weißwasser bringen muss, weil die Fahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln zweieinhalb Stunden dauert. Er zuckt mit den Achseln, es ist eben noch viel zu tun, man sei noch ganz am Anfang.

Ein Bau wie die Elphi in Hamburg

Mit der Brandenburgisch Technischen Universität Cottbus-Senftenberg, einer weiteren Station von Schneiders Reise und der zweitgrößten Uni Brandenburgs, lässt sich auf den ersten Blick ein bisschen mehr Eindruck machen, sie gilt als absolutes Leuchtturmprojekt der Lausitz.

Mehr als 30 Millionen Euro sind in den imposanten Glasbau geflossen, der die Berliner Hauptstadtjournalisten ins Staunen versetzt und an die Hamburger Elbphilharmonie erinnert. Mit so einem Bau hatte hier in der Provinz doch wohl niemand gerechnet!

Uns fehlen keine Arbeitsplätze, es fehlen Arbeitskräfte. Wir brauchen richtig viele Leute, um die Narben der Landschaft zu beseitigen.

Tobias Schick (SPD), Oberbürgermeister von Cottbus

Auch hier wird die Zukunft der Region vom Lausitz-Beauftragten Klaus Freytag, dem Oberbürgermeister Tobias Schick (SPD) und der TU-Präsidentin Gesine Grande, einer der wenigen Ostdeutschen an der Spitze einer Hochschule, in den schillerndsten Farben gemalt. Mit einem Anteil von 40 Prozent Studierenden aus aller Welt gehöre man zu den Top 6 der internationalen Unis in Deutschland, der erste internationale Bachelor auf Englisch sei hier schon vor 20 Jahren eingeführt worden.

Das klingt gut, aber die wenigsten der ausländischen Studierenden wollten nach ihrem Abschluss bleiben, sagt ein Mitarbeiter hinter vorgehaltener Hand.

Die Folgen des Ausstiegs aus der Braunkohle für die Region wischt OB Schick schnell vom Tisch. „Uns fehlen keine Arbeitsplätze, es fehlen Arbeitskräfte. Wir brauchen richtig viele Leute, um die Narben der Landschaft zu beseitigen.“ In den kommenden Jahren soll hier mit dem Lausitz Science Park ein großer Wissenschafts- und Technologiestandort entstehen. „Was früher Braunkohle war, wird jetzt Wasserstoff“, sagt der OB euphorisch. „Der Verbrenner geht, das E-Mobil kommt.“

Carsten Schneider auf einer Wendeltreppe in der Bibliothek der Technischen Universität Cottbus-Senftenberg.
Carsten Schneider auf einer Wendeltreppe in der Bibliothek der Technischen Universität Cottbus-Senftenberg.

© dpa/Patrick Pleul

Geld sei jetzt der Schmierstoff der Transformation, sagt Schick mit Blick auf Schneider und bedankt sich beim Bund für die Unterstützung. „Eine 70-Jährige hat heute die Chance, dass ihre Enkeltochter zurückkommt, nicht mehr nur zu Weihnachten“.

Klingt das nicht ein bisschen sehr rosig, will eine Journalistin aus der Region wissen. Müsse die Fleischerei Lehmann nicht trotzdem schließen? Stürben nicht etliche mittelständische Unternehmen aus der Region, während das ganze Geld in einige wenige Vorzeigeprojekte gepumpt würde? Da druckst der OB ein bisschen herum.

Und was sei mit der AfD, gewinne die nicht trotzdem an Zulauf, Strukturwandel hin oder her? Alle könne man eben nicht mitnehmen, sagt Schick. „So einen großen Container gibt es ja gar nicht, dass da alle reinpassen.“ Er sei nicht der Zauberer von Oz, sagt Schick, der 2022 die Stichwahl gegen den AfD-Kandidaten für sich entschieden hat. „Es gibt Leute, die hole ich nicht zurück. Das ganze Leben besteht aus Veränderungen, wir müssen jetzt gucken, wie wir sie umsetzen, Mimimi hilft da nicht.“

Eine Rückkehrerprämie in Spremberg?

Christine Herntier ist parteilose Bürgermeisterin der Stadt Spremberg, die im Volksmund Perle der Lausitz heißt. Herntier hat die „Rückkehrinitiative Spremberg“ ins Leben gerufen, plädiert für eine Rückkehrerprämie. „Bei uns ist noch Platz, die Preise sind bezahlbar, die Bedingungen deutlich besser als früher.“ Die Lausitz sei eine echte und gute Alternative für Familien, erklärt sie resolut.

Sie weiß aber auch: Allein der Rückzug wird nicht reichen, nicht einmal Zuzug aus Deutschland. 22.000 Menschen leben in Spremberg, Ende des Jahrzehnts könnten es durch den Industriepark 25.000 sein, so ihre Hoffnung. Bleibt die Frage, wie willkommen hier Menschen aus anderen Ländern und Kulturen sind.

Zur AfD will die 66-Jährige wenig sagen, wenn sie jede Anfrage dazu beantworten würde, dann käme sie ja überhaupt nicht mehr zum Arbeiten. Nur so viel: „Das wird hier alles ein verdammter Drahtseilakt, natürlich habe ich schon einige Leberhaken eingesteckt.“ Nicht verzweifeln, nicht kapitulieren und vor allem nicht mitmachen, so will sie es halten. Ob das reicht?

2024 wird in Thüringen, Brandenburg und Sachsen gewählt, in Umfragen liegt die AfD in allen drei Ländern bei 30 Prozent. Auch Schneider will sich davon nicht beirren lassen, immer wieder nickt er anerkennend ob der Zahlen, die ihm an jeder Station präsentiert werden.

Ostdeutschland goes Wirtschaftswunder, so klingt es fast. „Ich sehe hier eine Region im Aufschwung und nicht in der Depression“, sagt Schneider. Politisch werde das nächste Jahr sicher hochpolitisch, es drohe aber auch Ernüchterung. „Die Menschen haben es bei den Kommunal- und Europawahlen in der Hand, in welche Richtung sich ihre Region und unser Land entwickelt.“

Seine Arbeit drehe sich nicht um die AfD, betont Schneider. „Aber eins ist klar: Die derzeitige Unterstützung in den Umfragen hat vielfältige Gründe. Wer sagt, das ist ein Ost-Problem, macht es sich zu einfach.“

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