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Kauf bewerten - aber bitte richtig, fordert Ebay.

© dpa / Monika Skolimowska

Nutzerkommentare bei Ebay: Warum sachlich nicht unbedingt menschlich ist

Der Bundesgerichtshof hat ein Urteil für die Meinungsfreiheit gefällt. Es zeigt, dass große Internet-Portale nicht nur sich selbst gehören.

Eine Kolumne von Jost Müller-Neuhof

In der sowohl die Weiten des Internets wie die von Bücherregalen zu einem beträchtlichen Teil füllenden Ratgeberliteratur mit banalsten Lebenshilfetipps findet sich vieltausendfach der ewig gültige Imperativ zur Bewältigung von Konflikten: Bleiben Sie sachlich! Sachlich sein heißt, sich nicht von seiner Wut hinreißen lassen, mehr zuhören als selbst reden; den Ton gedämpft halten, inhaltlich zur Sache diskutieren und nicht zur Person; Respekt vor allen und allem und alles immer in genau dem Zusammenhang erörtern, in den es gehört.

Mit anderen Worten: Es ist das Gegenteil von dem, was in den digitalen Kommentarspalten stattfindet. Es ist das Gegenteil von dem, was in Talkshows vorgeführt wird. Und es ist oft genug auch das Gegenteil von dem, was aus den Parlamenten der Republik nach außen dringt. Nicht ohne Grund ist Sachlichkeit auch nicht das erste Prinzip, dem man in der klassischen Rhetorik begegnet. Sachlich sein kann öde werden. Behörden sollen sachlich sein – aber die Bürger?

Die von Nutzern abgegebenen Bewertungen müssen sachlich gehalten sein und dürfen keine Schmähkritik enthalten.

Auszug aus den Ebay-Geschäftsbedingungen

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat es jetzt mit einer entsprechenden Klage zu tun bekommen. Die Internet-Verkaufsplattform Ebay verlangte von einem Kunden, er möge bitte sachlich bleiben. Dazu habe er sich selbst wortwörtlich verpflichtet. Denn in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) des Netzkaufhauses, also dem, was früher Kleingedrucktes hieß, stehe deutlich: „Die von Nutzern abgegebenen Bewertungen müssen sachlich gehalten sein und dürfen keine Schmähkritik enthalten.“

Der Käufer habe gewusst, was er wofür bezahlen wird, sagen die Richter

Der Ebay-Käufer hatte vier Gelenkbolzenschellen – eine Sonderform der Schlauchklemme – für rund 19 Euro brutto erworben, davon knapp fünf Euro für den Versand. Letzteres muss ihn geschmerzt haben. Seinen Einkauf kommentierte er im Bewertungsprofil der Plattform so: „Ware gut, Versandkosten Wucher!!“. Die Verkäuferin des Produkts forderte, den Eintrag zu löschen. Das Landgericht gab dem Unternehmen recht. Der Kunde sei unsachlich geworden, obwohl er den Ebay-AGB selbst zugestimmt habe. Er habe zudem gewusst, was er wofür bezahlen wird.

Der Bundesgerichtshof in Karlsruhe hat die Klage von Ebay auf Löschung endgültig zurückgewiesen.

© dpa / Uli Deck

Der BGH hat jetzt zugunsten des Kunden entschieden. Der Wucher-Vorwurf darf in der Netzwelt bleiben (Az.: VIII ZR 319/20). „Schmähkritik“, eine Art Diffamierung, sei es ohnehin nicht gewesen. Und wenn es nach Ansicht von Ebay unsachlich ist, hätte das Verkaufshaus in seinen AGB genauer definieren müssen, was es mit sachlich meint.

Das Urteil holt die Vorschriften der Netzanbieter auf den Boden der Meinungsfreiheit zurück

Es ist nachvollziehbar, dass der Schellenstreit auf die Spitze getrieben wurde. Es geht um die selbst gesetzten Regeln für den guten Ton, einem Thema, dem auf anderen Internetplattformen unter dem Schlagwort „Hass und Hetze“ höchste Priorität beigemessen wird. Doch in Internet-Verkaufsräumen, wo es um wenig anderes geht als Preise, von Wucher zu sprechen, heißt nichts anderes als: Das ist mir zu teuer. Eine Einschätzung, die angesichts der Inflation ohnehin inflationär werden dürfte. Das BGH-Urteil holt die Tonfall-Vorschriften der Netzanbieter auf den Boden der Meinungsfreiheit zurück. Klar, der Schellen-Käufer hat übertrieben. Aber wenn schon jede Übertreibung unzulässig wäre, was würde aus uns? Insbesondere: aus uns Journalisten?

Hinweis: In einer früheren Version des Artikels hieß es, Ebay habe gefordert, den Eintrag zu löschen. Zutreffend ist, dass die Verkäuferin des Produkts die Entfernung des Eintrags gefordert hat.

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