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Licht und Schatten am Grenzdenkmal in Hötensleben (Sachsen-Anhalt).

© Jens Wolf/ dpa

Deutsche Einheit: Noch ist nicht alles gut

Es mag in den vergangenen 25 Jahren schon viel zusammengewachsen sein, doch für die innere Einheit hätte es Veränderungen auf beiden Seiten gebraucht

Von Antje Sirleschtov

Der Bundespräsident: ein Ostdeutscher. Auch die Regierungschefin aus der DDR. Was will man mehr nach 25 Jahren als ein wiedervereinigtes Deutschland, an dessen politischer Spitze nicht mehr abzulesen ist, wie ungleich einst die Gewichte verteilt waren zwischen dem starken Westen und seiner ärmlichen kleinen Schwester im Osten. Alles gut also im einig Vaterland?

Schauen wir zuerst auf die Ökonomie, die wirtschaftliche Wiedervereinigung also. Sie stand vom ersten Tag im Zentrum. Wenn man heute durch Thüringen fährt oder Schwerin spaziert und die Bilder des Verfalls aus den Jahren vor 1990 erinnert, kann man stolz sein auf die wirtschaftliche Kraft dieses Landes. Natürlich sind Fehler gemacht worden beim Aufbau Ost. Manches war hausgemacht, anderes unvermeidbar. Viele Träume sind nicht in Erfüllung gegangen. Zu Recht ist gerügt worden, dass die Kosten der Vereinigung auf die Sozialsysteme abgewälzt wurden. Und wahr ist auch, dass der Osten wirtschaftlich wohl niemals ganz mit Bayern oder Baden-Württemberg wird mithalten können. Das aber ist Gott sei Dank für die Lebenszufriedenheit der Menschen nicht allein ausschlaggebend. Entscheidender ist, dass es überall Handel, Handwerk und mittelständische Strukturen gibt und ein tief in der Bevölkerung verankertes Bewusstsein dafür, dass man mit solider Ausbildung und Anstrengungsbereitschaft etwas aufbauen kann. Das war und das ist der Kern deutschen Wohlstandes – ganz gleich in welcher Himmelsrichtung –, und den konnten auch 40 Jahre Sozialismus nicht vollständig ausrotten. Hoffnung also auch für Teile Ostdeutschlands, wo vielleicht nie die Hightech-Fabriken stehen werden.

Die Entäuschung wird oft mit DDR-Nostalgie verwechselt

Viel schwerer fällt das Selbstlob, versucht man die innere Einheit auszuloten. Weil es zu deren Gelingen ein Bewusstsein dafür gebraucht hätte, dass zwei, die zusammenwachsen wollen, auch beide zu Veränderung bereit sein müssen. Und das war leider nicht so. Was oft vergessen wird: Wir Ostdeutschen waren Fremde in diesem Deutschland, und noch heute kommt nicht jedem das Bekenntnis Deutscher zu sein, leichtherzig über die Lippen. Als die DDR, in der die meisten von uns große Teile ihres Lebens verbracht haben, unterging, kannten wir zwar die Sprache, aber nicht die neuen Gesetze und Regeln. Wir waren plötzlich ohne staatliche Heimat, und vielen machte das Angst. Und weil auf Angst oft Rückzug folgt, trifft man auch heute noch – nach 25 Jahren – bei nicht wenigen Ostdeutschen auf eine seltsame Fremdheit mit dem vereinten Vaterland. Sie wird oft mit DDR-Nostalgie verwechselt. Dabei ist sie häufig nichts anderes als Enttäuschung darüber, wie wenig man selbst mit hineinbringen konnte in diese Wiedervereinigung.

Vielleicht lernen wir, dass das oberflächlich Verschiedene tatsächlich unser bereits Bekanntes im anderen Gewand ist. Und vielleicht trennt man sich zuweilen gemeinsam vom Gleichen.

schreibt NutzerIn wp10

Denn Fakt ist: Während sich für die Ostdeutschen alles änderte, blieb im Westen alles unverändert. Ein Umstand, der die einen von vornherein zu Lehrenden und die anderen zu Lernenden machte. Und zwar überall, ob vorm Bankautomaten, in der Wahlkabine oder am Arbeitsplatz. Kein schönes Gefühl und – was schwerer wiegt – eine vertane Chance für das ganze Land. Schließlich hätte es viel gegeben, worüber man in einer Verfassungsdiskussion hätte reden können. Auf vieles Bewährte hätten sich die Wiedervereinten verständigen können, manches hätte abgeräumt werden können, das ungerechte föderale Bildungssystem etwa. Auf jeden Fall aber hätte dieser Prozess eine gemeinsame Identität gestiftet.

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