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Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen, M), Bettina Stark-Watzinger (FDP) und Volker Wissing (FDP).

© dpa/Britta Pedersen

Neue Netze, Pipelines und Terminals: So will die Ampel mit Wasserstoff klimaneutral werden

Das Bundeskabinett hat die nationale Wasserstoffstrategie beschlossen. Mit ihr soll der Umbau zum klimaneutralen Industrieland gelingen – der Union geht das aber nicht schnell genug.

Auf dem Weg zur Klimaneutralität, die Deutschland in 22 Jahren erreichen will, kommt dem aus erneuerbaren Energien erzeugten Wasserstoff enorme Bedeutung zu. Er gilt als aussichtsreiche Möglichkeit, Prozesse der Chemieindustrie klimafreundlich zu gestalten, die Kohle in der Stahlindustrie zu ersetzen oder im Schwerlast- und Flugverkehr CO₂ einzusparen.

Wie die Bundesregierung bis 2030 dafür die Grundlagen legen will, steht in der Wasserstoffstrategie, die das Kabinett am Mittwoch verabschiedet hat. Bereits der Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP hatte „ein ambitioniertes Update“ der Version der Vorgängerregierung aus dem Jahr 2020 versprochen.

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Zumindest aus Sicht der Union ist das in dem 34-seitigen Papier nicht gelungen. „Wasserstoff ist so entscheidend für Wirtschaft und Klimaneutralität, da bräuchte es jetzt einen Doppel-Wumms“, sagte CDU-Vize Andreas Jung in Anlehnung an Kanzler Olaf Scholz (SPD) dem Tagesspiegel: „Die Ampel aber bleibt halbherzig.“


Wie viel Wasserstoff braucht Deutschland?

Die Bundesregierung geht für das Jahr 2030 von einem Gesamtbedarf zwischen 95 und 130 Terawattstunden aus. Das entspricht rund einem Viertel des gesamten deutschen Nettostromverbrauchs, der im vergangenen Jahr laut Statistischem Bundesamt bei 490,6 Terawattstunden lag.

Ein Teil davon soll im Inland produziert werden. Die Bundesregierung verdoppelt in der neuen Strategie das Ziel für die heimische Elektrolysekapazität, bei der unter Stromzufuhr Wasser in Sauer- und Wasserstoff getrennt wird, von fünf auf mindestens zehn Gigawatt. Berechnungen von Experten des sogenannten Wasserstoff-Kompasses zufolge entspräche das rund 28 Terrawattstunden. „Der restliche Bedarf“, schreibt die Bundesregierung, „wird durch Importe gedeckt.“


Wie soll die heimische Produktion angekurbelt werden?

Es soll nicht nur bei der Forschungsförderung bleiben. Die Ampelregierung verspricht auch eine „direkte Förderung von Elektrolyseuren“ – an Land und in Kombination mit Offshore-Windparks auf dem Meer. Beihilferechtlich ist das erlaubt, da die EU-Kommission den Markthochlauf beim Wasserstoff als „Important Project of Common European Interest“ (IPCEI) und damit als wichtige Gemeinschaftsaufgabe definiert hat. Wobei auf See auch bis 2028 jährlich 500 Megawatt Elekrolyseleistung ausgeschrieben werden.

Die Förderung soll es in vollem Umfang nur für „grünen“ Wasserstoff geben, der mit erneuerbarer Energie erzeugt wird. Gleichwohl will die Regierung vor allem in der Startphase, in der die technologische Umstellung eingeleitet werden soll, „auch andere Farben von Wasserstoff genutzt“ wissen. Es gibt unter anderem grauen, blauen oder orangen, der teils mit fossil erzeugtem Strom, direkt aus Erdgas oder aus Abfällen gewonnen wird. Hier soll die Förderung „begrenzt“ sein.


Durch welche Leitungen soll der Wasserstoff fließen?

Noch in diesem Jahr soll das Energiewirtschaftsrecht so verändert werden, „um die Rechtsgrundlage für ein erstes Wasserstoff-Kernnetz zu schaffen“, wie es in dem Strategiepapier heißt. Das erste Zwischenziel: In vier bis fünf Jahren sollen ebenfalls mit der europäischen IPCEI-Förderung so viele Rohre neu verlegt oder bestehende Erdgasleitungen umgerüstet werden, dass die Gesamtlänge mindestens 1800 Kilometer beträgt.

Die wichtigsten Korridore sollen von Nord- und Ostsee in die Industriezentren führen. Weitere 4500 Kilometer kommen bis dahin in anderen EU-Ländern hinzu. Für Deutschland ist dabei insbesondere die Anbindung an die großen Häfen von Antwerpen und Rotterdam interessant.

Die dirigistische Zuteilung des Wasserstoffs ist ein Irrweg – wo der Wasserstoff zur Anwendung kommt, das wird der Markt entscheiden.

CDU-Vize Andreas Jung kritisiert die Wasserstoff-Strategie der Ampel

Das Netz soll dann bis 2032 weiter so ausgebaut werden, dass möglichst alle relevanten Abnehmer erreicht werden. Wo es „volkswirtschaftlich sinnvoll“ ist, soll der Transport auch auf Straße oder Schiene erfolgen.


Wer soll den Wasserstoff bekommen?

Solange Wasserstoff knapp und teuer bleibt, sieht die Bundesregierung seine Anwendung dort, wo „eine direkte Elektrifizierung zum Beispiel ökonomisch nicht sinnvoll ist oder für die keine alternativen technischen Lösungen zum Erreichen der Klimaneutralität bestehen“. Genannt werden vor allem die Stahl- und Chemiebranche sowie der Flug-, Schiffs- und Schwerlastverkehr. Beim Heizen oder etwa für die Automobilität wird nur von Einzelfällen ausgegangen.

Das ist einer der Hauptkritikpunkte von Jung, dem klima- und energiepolitischen Sprecher der Unionsfraktion. „Die dirigistische Zuteilung des Wasserstoffs ist ein Irrweg – wo der Wasserstoff zur Anwendung kommt, das wird der Markt entscheiden.“ Und um diesen Markt aufzubauen, wäre das „Gebot der Stunde“ jetzt aus Jungs Sicht eine „flächendeckende Infrastruktur in Deutschland, eine echte Wasserstoff-Union in Europa, Volldampf bei Inland-Produktion und bei Import-Partnerschaften – hinter all dem bleibt die Strategie deutlich zurück“. 


Wie kommt importierter Wasserstoff nach Deutschland?

Neben dem Transport über das europäische Leitungsnetz soll der Wasserstoff – auch in Form seiner sogenannten Derivate Ammoniak und Methanol – an deutschen Häfen anlanden. Alle Flüssiggas-Terminals, die nach dem Ende der Erdgaslieferbeziehung mit Russland eilig geplant wurden, sind mit der Auflage „H2 ready“ versehen worden. Sie sollen zu einem bestimmten Zeitpunkt, den der Markt bestimmen dürfte, auf Wasserstoff umstellen.

„Weitere Terminals nur für Wasserstoff oder dessen Derivate sollen gebaut werden“, lautet die Ankündigung in der nun beschlossenen Strategie. Noch in diesem Jahr will die Bundesregierung dafür ein „Wasserstoffbeschleunigungsgesetz“ auf den Weg bringen. Eine „nationale Hafenstrategie“ in Abstimmung mit den Bundesländern soll die entsprechenden Knotenpunkte der künftigen Wasserstoffwirtschaft definieren – vor dem Hintergrund der Proteste gegen das geplante LNG-Terminal auf Rügen möglicherweise kein unstrittiges Vorhaben.

Kurzfristig soll es der Schiffstransport richten, auf längere Sicht sollen auf EU-Ebene „auch strategische Wasserstoffpipelines zu Anrainerstaaten“ Europas auf den Weg gebracht werden. Genannt werden das Vereinigte Königreich, die Ukraine, Marokko, Tunesien, Algerien und Norwegen – mit der Regierung in Oslo sowie mit der dänischen sind die Gespräche schon weiter fortgeschritten.


Welche Länder sollen Deutschland Wasserstoff liefern?

Im Laufe des Jahres soll noch eine detaillierte Importstrategie folgen, mit dem Ziel, möglichst viele potenzielle Produzenten anzusprechen, damit keine neue Abhängigkeit entsteht. Ausgesandt werden soll ein „Signal an europäische und internationale Partnerländer, dass die Bundesregierung weltweit Kooperationen eingehen, sichere, nachhaltige Lieferketten nach Deutschland sowie nachhaltige Standards etablieren und als Technologiepartner zur Verfügung stehen will“.

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Infrage kommt dafür „der gesamte Sonnengürtel“, wie Jochen Flasbarth (SPD) meint, der Staatssekretär im Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ). Viele der Länder, in denen Solarenergie in Wasserstoff umgewandelt werden könnte, „sind bereits Partnerländer des BMZ“. In Marokko fließen 120 Millionen Euro in eine 100-Megawatt-Produktionsanlage, die 2026 in Betrieb gehen soll – die erste ihrer Art in Afrika.

600 Millionen Menschen in Subsahara-Afrika haben keinen Zugang zu elektrischer Energie.

Staatssekretär Jochen Flasbarth (SPD) zu den möglichen Chancen einer Energieproduktion in Afrika

Konkrete Projektförderung gibt es auch in Algerien, Tunesien, Namibia, Südafrika und Brasilien. Ein Fördertopf von 270 Millionen Euro soll insgesamt Wasserstoff-Investitionen in Höhe von 1,3 Milliarden Euro auslösen, wie Flasbarth ausführt.


Wie nachhaltig sind die Importe?

Frühere Ideen wie das Wüstenstromprojekt Desertec zielten lediglich darauf ab, Sonnenstrom aus der Sahara zu importieren. Dass die erneuerbare Energie vor Ort in Wasserstoff umgewandelt werden muss, stellt auch eine wirtschaftliche Chance dar.

„Ziel ist, dass Partnerländer nicht abgehängt werden“, schreibt das Entwicklungsministerium, „sondern einen fairen Anteil an den globalen Wertschöpfungsketten bekommen.“

Die Grundsätze, dass die lokale Bevölkerung profitieren und Umweltverschmutzung vermieden werden soll, will die Bundesregierung auch auf Ebene der G7- und G20-Staaten verankern.

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