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Kremlchef Wladimir Putin steht an der Spitze einer Demonstration, bei der Kinder und Enkel Fotos von Sowjetsoldaten aus dem Zweiten Weltkrieg hochhalten.

© Reuters

Militärparade in Moskau: Lieder und Bilder des Sieges

Es ist die größte Militärparade in der Geschichte Russlands. 16.000 Soldaten marschieren über den Roten Platz, neue Panzer rollen vorüber und die Luftwaffe durchfliegt den Himmel. Und mittendrin Kremlchef Wladimir Putin. Ein Bericht, ein Video und Fotos vom 9. Mai in Moskau.

Russlands Luftwaffe hatte die Wolken weit vor Moskau zum Abregnen gebracht, der Himmel war strahlend blau. Blau steht für den Mantel der Gottesmutter, Russlands Schutzpatronin. Blau verhüllt war daher eigens zum Tag des Sieges auch das Lenin-Mausoleum aus rotem Granit, vor dem die Ehrentribünen aufgebaut waren, auf denen Kremlchef Wladimir Putin und handverlesene Gäste der Militärparade beiwohnten. Mit 16 000 Soldaten, knapp 200 Panzern und Geschützen sowie 143 Kampflugzeugen war sie die größte, die es im postkommunistischen Russland je gab.

Doch nicht nur deshalb hätten auch Lenin und Stalin an ihr ihre helle Freude gehabt. Der Moderator des Staatsfernsehens kommentierte das Geschehen mit dem gleichen Pathos wie einst der Kollege vom Sowinformbüro, das der Nation vor 70 Jahren die Siegesmeldung überbrachte. Und die schwere, offene Limousine, mit der Verteidigungsminister Sergei Schoygu das Karree der angetretenen und zu Salzsäulen erstarrten Soldaten abfuhr, beruht auf einem Modell aus den Fünfzigerjahren.

Zunächst geht es auch in Putins kurzer Ansprache viel um die Sowjetunion. Sie habe den entscheidenden Beitrag zum Sieg geleistet. Ausdrücklich dankt er auch den einstigen Verbündeten der Anti-Hitler-Koalition, den Partisanen im besetzten Europa und dem antifaschistischen Widerstand in Deutschland. Doch schnell kommt er zum hier und heute, wo „die Geschichte schon wieder an unsere Vernunft und unsere Wachsamkeit appelliert“.

Wladimir Putins Stimme wird deutlich schärfer

Seine Stimme wird deutlich schärfer, als er den USA Versuche vorwirft, eine unipolare Welt und ein neues Blockdenken zu schaffen, wodurch Konflikte weltweit eskalieren. Die Grundprinzipien der internationalen Zusammenarbeit, die nach den Leiden des Krieges entstanden sind, würden in den vergangenen Jahrzehnten immer häufiger ignoriert. „All das untergräbt den Frieden.“

Einen Frieden, für den 27 Millionen Sowjetbürger mit dem eigenen Leben bezahlten. Sichtlich bewegt dankt Putin den heute noch lebenden Kriegsteilnehmern. Als er eine Schweigeminute für die Kriegstoten verkündet, bebt seine Stimme leicht.

Es ist inzwischen 10:25 Uhr Moskauer Zeit. Mit Nationalhymne und Salutschüssen beginnt die eigentliche Parade. Das Siegesbanner wird über den Roten Platz getragen. Rotarmisten hatten es auf dem Reichstag in Berlin aufgepflanzt. Zweimal. Das Foto, das später um die Welt ging, war eine Inszenierung. Das Banner eröffnete auch die Siegesparade im Juni 1945. Infanteristen, Minenleger und Aufklärer folgten ihm. Ihre Enkel und Urenkel defilierten gestern in den gleichen erdbraunen Uniformen wie damals an den Ehrentribünen vorbei.

Auf ihnen haben vor allem Veteranen, hohe Beamte und ausländische Staatsgäste Platz genommen. Dass Griechen-Premier Alexis Tsipras nicht kommen wird, erfuhr die russische Öffentlichkeit im letzten Moment. Dafür ist Chinas Präsident XI mit Gattin da. Vor allem mit ihm und mit Kasachstans Präsident unterhält sich der Kremlchef. Viele Einheiten, die Moskau im November 1941 verteidigten, als die Wehrmacht teilweise schon die Vororte erreicht hatte, wurden in Kasachstan aufgestellt.

10:35: Jetzt kommen die jüngsten Teilnehmer: Kadettinnen mit Röcken, die leicht oberhalb des Knies enden, marschieren in Stechschritt light über den Roten Platz. Putin, der seit seiner Scheidung gern den Charmeur gibt, tuschelt mit seinem Verteidigungsminister.  

Es folgen die Kontingente befreundeter Staaten. Neben den sechs Mitgliedern des prorussischen Verteidigungsbündnisses der UdSSR-Nachfolgegemeinschaft GUS auch Soldaten aus Aserbaidschan, China, Indien, der Mongolei und Serbien. Die Konfiguration eines Bündnisses, das die unipolare Weltordnung beendet?

Putin tuschelt ein letztes Mal mit Xi, dann hat er nur noch Augen und Ohren für die Technik, die sich mit lautem Dröhnen ankündigt. Erstmals wird der Panzer Armata T-14 der Öffentlichkeit vorgeführt: Russlands neue angebliche Wunderwaffe. Ein Exemplar war bei der Generalprobe am Donnerstag liegen geblieben. Aber das muss nichts heißen, es handelt sich um Vorserienmodelle und keine kampfbereiten Panzer.

Das Kinn hochgereckt

Veteranen recken das Kinn noch ein bisschen höher, als sie die neuen Panzer sehen, die alten müden Augen leuchten. Und noch immer intoniert das Orchester die Lieder des Krieges. Die Blenden zwischen den einzelnen Titeln sind so perfekt gesetzt, dass sie wie ein Gesamtkunstwerk wirken. Sie sind es eigentlich auch. Ausgerechnet ein ehemaliger Kirchenmusiker – Alexander Alexandrow - schrieb die Lieder des Sieges für den entlaufenen Zögling eines georgischen Priesterseminars: Josef Stalin.

Diese Lieder erklingen auch auf den Volksfesten am Nachmittag. Sie hätten ihm mehr bedeutet, als die hundert Gramm Wodka, die es im Krieg vor jedem Angriff gab, behauptet ein Veteran mit ordengeschmücktem Jackett. Jedes Jahr geht er zum Ball des Sieges im Park des Moskauer Eremitage-Theaters. Feldköche in historischen Uniformen schöpfen aus historischen Gulaschkanonen, womit die Frontkämpfer einst beköstigt wurden. Danach tanzt man Walzer. Die einstigen Soldaten – viele in Ausgehuniformen von 1945 – machen dabei eine bessere Figur als ihre manchmal 60 Jahren jüngeren Tanzdamen. Auch sie tragen Kleider aus Stoffen jener Zeit: Musselin und Crêpe de Chine. Und auf dem Ball haben die Veteranen auch das, was ihnen im Alltag oft fehlt. Zuhörer für Erlebnisse, die sie immer wieder erzählen müssen, um selbst damit fertig zu werden.

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