zum Hauptinhalt
Junge Frau mit Pille für Schwangerschaftsabbruch.

© New Africa/Africa Studio/Adobe Stock/Olga Yastremska

Update

Legalisierung in den ersten zwölf Wochen vorgeschlagen: Der Streit ums Abtreibungsrecht ist neu entbrannt

Sollen frühe Schwangerschaftsabbrüche nicht mehr im Strafgesetzbuch stehen? Zu dieser Frage soll es jetzt Empfehlungen von Experten geben.

| Update:

Über eine Liberalisierung des Abtreibungsrechts in Deutschland ist neuer Streit entbrannt. In der kommenden Woche werden dazu Vorschläge einer Regierungskommission vorgestellt – und laut einem „Spiegel“-Bericht wollen die Experten eine generelle Straffreiheit von Schwangerschaftsabbrüchen innerhalb der ersten zwölf Wochen empfehlen.

Bisher ist eine Abtreibung nach Paragraf 218 des Strafgesetzbuches grundsätzlich strafbar, es sei denn, sie findet in den ersten zwölf Wochen statt und die Frau hat sich zuvor beraten lassen. Von der Union kam umgehend Protest gegen eine solche generelle Straffreiheit. Die Organisation Pro Familia warb für eine Regelung außerhalb des Strafrechts.

Die Vorsitzende der Gruppe Die Linke im Bundestag, Heidi Reichinnek, nannte die Empfehlungen der Kommission einen „großen Schritt für sexuelle Selbstbestimmung“. Sie seien ein „guter Ansatz“, um Schwangerschaftsabbrüche zu enttabuisieren und auch eine Finanzierung über die Krankenkassen zu ermöglichen. Die Linke erwarte von der Bundesregierung nun, „dass zeitnah ein Gesetzentwurf vorgelegt wird“.

Unionsfraktionsgeschäftsführer Thorsten Frei (CDU) warnte davor, gesellschaftliche Konfliktlinien nach dem Kompromiss um das Abtreibungsrecht aus den 1990er Jahren neu aufzureißen. Dies sei „grundüberflüssig“ in einer Situation, in der die Koalition ganz andere Probleme zu bewältigen habe wie etwa die Wirtschaftskrise oder die steigende Kriminalitätsrate.

„Es wäre grundfalsch, weitere gesellschaftliche Konflikte zu provozieren“, sagte Frei am Dienstag in Berlin. Falls sich die Koalition solche Vorschläge zu eigen mache, „würde das zwangsläufig dazu führen“, dass man in Karlsruhe klagen werde. Er hoffe, dass Kanzler Olaf Scholz (SPD) „die Kraft besitzt, die Koalition davon abzubringen, einen weiteren gesellschaftlichen Großkonflikt in dieses Land hineinzutragen“, sagte CDU-Chef Friedrich Merz am Dienstag in Berlin.

CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt sagte: „Ich kann die ,Ampel’ nur warnen und bitten, diesen fatalen Weg nicht zu gehen.„ Dobrindt sagte, die Koalition bereite „eine weitere Polarisierung unserer Gesellschaft“ vor. Es könne unterstellt werden, dass die Regierung diesen Konflikt „billigend in Kauf nimmt“, fügte der CSU-Politiker hinzu.

Auch das Zentralkomitee der deutschen Katholiken sprach sich für die Beibehaltung der gängigen Rechtspraxis bei Abtreibungen in Deutschland aus. „Das ZdK befürwortet weder eine vollständige Liberalisierung noch eine strengere Handhabe“, sagte Präsidentin Irme Stetter-Karp den Funke-Zeitungen. Der bestehende Paragraf 218 habe die verschiedenen Rechtsgüter „gut austariert abgewogen“.

Die Kommission lege eine Empfehlung für die verschiedenen Schwangerschaftsphasen vor, „ohne diese präzise zeitlich abzugrenzen“, kritisierte Stetter-Karp. Der Regierung bleibe so ein deutlicher Gestaltungsraum. „Uns überzeugt ethisch nicht, dass der Embryo in der frühen Phase der Schwangerschaft weniger Schutzrechte haben soll“, fügte sie hinzu.

Der Abschlussbericht der Regierungskommission, die vor gut einem Jahr die Arbeit aufgenommen hatte, soll am kommenden Montag vorgestellt werden. Dem Gremium gehören 18 Expertinnen und Experten aus Medizin, Psychologie, Soziologie, Ethik und Recht an.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Das Gesundheits- und das Familienministerium äußerten sich auf Anfrage zunächst nicht und verwiesen auf die Vorstellung der Empfehlungen. Familienministerin Lisa Paus (Grüne) hatte in der Vergangenheit mehrfach angedeutet, sich eine Neuregelung vorstellen zu können.

Laut „Spiegel“ heißt es in dem Bericht der Kommission: „Die grundsätzliche Rechtswidrigkeit des Schwangerschaftsabbruchs in der Frühphase der Schwangerschaft ist nicht haltbar.“ Verwiesen werde darauf, dass die aktuellen Regelungen im Strafgesetzbuch einer verfassungsrechtlichen, völkerrechtlichen und europarechtlichen Prüfung nicht standhielten.

Sobald ein Fötus eigenständig lebensfähig sei, sollten Abbrüche aber verboten bleiben. Die Grenze liege etwa in der 22. Woche seit Beginn der letzten Menstruation, empfehle die Kommission.

104.000
gemeldete Schwangerschaftsabbrüche gab es 2022 in Deutschland laut Statistischem Bundesamt.

Der Pro-Familia-Bundesverband mahnte dringenden Handlungsbedarf an. Die Regierung müsse bei einer Reform mögliche Gestaltungsspielräume umfassend nutzen und Abbrüche vollständig entkriminalisieren. Zudem müssten Beratungspflicht und Wartezeiten abgeschafft werden. Insgesamt müsse das Vertrauen in Schwangere sowie in Beratung, Ärztinnen und Ärzte im Vordergrund stehen. Menschenrechte und effektiver Lebensschutz verlangten, Entscheidungsmöglichkeiten zu erweitern, nicht einzuschränken.

Der katholische Wohlfahrtsverband Caritas erklärte dagegen, die jetzige Regelung sei keine völkerrechtswidrige Kriminalisierung der Abtreibung, sondern ein ausgewogenes Konzept, das das Leben des Kindes über die Selbstbestimmung der Frau schütze. Deshalb sei nach Vorlage des Kommissionsberichts eine gründliche Diskussion notwendig. Dabei könne die Bedeutung einer guten Beratung und Begleitung werdender Eltern nicht genug unterstrichen werden.

SPD, FDP und Grüne hatten die Einsetzung einer „Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung“ im Koalitionsvertrag vereinbart, die unter anderem Regulierungen für Schwangerschaftsabbrüche außerhalb des Strafgesetzbuches prüfen sollte. Nicht strafbar ist ein Abbruch nach derzeitiger Rechtslage auch, wenn medizinische Gründe vorliegen oder wenn er wegen einer Vergewaltigung vorgenommen wird. Laut Statistischem Bundesamt gab es 2022 in Deutschland rund 104.000 gemeldete Schwangerschaftsabbrüche.

Die Bundesregierung hatte bereits im ersten Jahr ihrer Amtszeit eine weitreichende Gesetzesänderung im Zusammenhang mit Schwangerschaftsabbrüchen auf den Weg gebracht: Sie schaffte den umstrittenen Paragrafen 219a ab, der zuvor das „Werbeverbot“ für Abtreibungen geregelt und immer wieder dazu geführt hatte, dass Ärztinnen und Ärzte sich strafbar machten, wenn sie öffentlich Informationen dazu zur Verfügung stellten. (dpa)

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false