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Für seine Äußerung gegen Asylbewerber erntete Friedrich Merz heftige Kritik.

© dpa/Bodo Schackow

„Lassen sich die Zähne neu machen“: Was ist dran an Merz’ Aussage über Asylbewerber?

Laut CDU-Chef Friedrich Merz nehmen abgelehnte Asylbewerber in Deutschland teure Zahnbehandlungen in Anspruch. So einfach ist das allerdings nicht. Der Faktencheck.

Mit seiner Aussage zu abgelehnten Asylbewerbern hat der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz heftige Kritik geerntet. „Die werden doch wahnsinnig, die Leute, wenn die sehen, dass 300.000 Asylbewerber abgelehnt sind, nicht ausreisen, die vollen Leistungen bekommen, die volle Heilfürsorge bekommen“, sagte Merz im „Welt-Talk“ des Fernsehsenders Welt.

„Die sitzen beim Arzt und lassen sich die Zähne neu machen, und die deutschen Bürger nebendran kriegen keine Termine“, sagte Merz weiter. Was ist dran an seiner Aussage?

Die Leistungen bei Krankheit sind im Asylbewerberleistungsgesetz geregelt. Darin heißt es in Paragraf 4: „Zur Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände sind die erforderliche ärztliche und zahnärztliche Behandlung einschließlich der Versorgung mit Arznei- und Verbandmitteln sowie sonstiger zur Genesung, zur Besserung oder zur Linderung von Krankheiten oder Krankheitsfolgen erforderlichen Leistungen zu gewähren.“

Speziell zur zahnärztlichen Versorgung heißt es: „Eine Versorgung mit Zahnersatz erfolgt nur, soweit dies im Einzelfall aus medizinischen Gründen unaufschiebbar ist.“

Ob ein dringender Fall vorliegt, entscheidet letztlich der Arzt. „Jeder Zahnarzt muss aufgrund der individuellen Situation des Patienten entscheiden, welche Untersuchungen und Behandlungen im Sinne der §§ 4 und 6 Asylbewerberleistungsgesetz notwendig und abgedeckt sind“, heißt es in einer Informationsbroschüre der Bundeszahnärztekammer.

Asylbewerber:innen sind zunächst einmal nicht krankenversichert. In den ersten 18 Monaten des Aufenthaltes, der sogenannten Wartezeit, übernehmen die für Sozialleistungen zuständigen Behörden in den Kommunen die Kosten, in der Regel die Sozialämter.

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Prinzipiell haben Asylbewerber:innen während der Wartezeit Anspruch auf Gesundheitsleistungen, „wenn sie akut erkrankt sind oder unter Schmerzen leiden“, teilt die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung auf Anfrage des Tagesspiegels mit. „Dies gilt grundsätzlich auch für abgelehnte Asylsuchende sowie Geduldete.“ 

Nach der Wartezeit werden Asylbewerber:innen von den gesetzlichen Krankenkassen betreut. Sie erhalten „eine elektronische Gesundheitskarte, mit der Sie nahezu dieselben Leistungen erhalten wie gesetzlich Krankenversicherte“, wie der GVK-Spitzenverband auf seiner Homepage schreibt.

Eine tatsächliche Mitgliedschaft in der Krankenkasse besteht jedoch noch nicht, die Kassen bekommen die Kosten von den Sozialämtern erstattet. Dennoch müssen Asylbewerber:innen auch Zuzahlungen zu den Leistungen der Krankenversicherung entrichten, und zwar bis zur Belastungsgrenze, wie die Verbraucherzentrale auf ihrer Internetseite schreibt. Diese liege bei 2 Prozent der jährlichen Bruttoeinnahmen.

Die Krankenkassen bezahlen in der Regel keine Brücken oder Kronen komplett, sondern übernehmen 60 Prozent der Kosten für Zahnersatz. Der Rest muss von den Versicherten zugezahlt werden oder wird von einer privaten Zusatzversicherung getragen.

Sobald ein Aufenthaltstitel vorliegt, treten Migrant:innen in die gesetzliche Krankenversicherung ein, weil in Deutschland Versicherungspflicht besteht. Sie haben damit die gleichen Ansprüche und Hürden, etwa Wartezeiten und Kosten bei Fachärzten, wie alle Versicherten. Dass Asylbewerber:innen deutschen Bürger:innen Termine wegnehmen, ist eine Behauptung von Friedrich Merz, die sich nicht belegen lässt.

„Für die Aussage, dass es in den Zahnarztpraxen aufgrund einer erhöhten Inanspruchnahme durch Asylsuchende zu Terminschwierigkeiten kommt, liegen uns zum aktuellen Zeitpunkt keine Hinweise vor“, heißt es von der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung.

Menschen fliehen nicht, um Zahnarzttermine zu bekommen. Menschen fliehen wegen Kriegen und Krisen.

Tareq Alaows von Pro Asyl

„Die Darstellung, dass Asylbewerber:innen sich überall Termine ausmachen können, ist falsch“, sagt Tareq Alaows, flüchtlingspolitischer Sprecher bei Pro Asyl, gegenüber dem Tagesspiegel. In den ersten 18 Monaten sei ohnehin nur eine Notfallbehandlung möglich.

Und selbst später, wenn die gesetzliche Krankenversicherung greift, werde eine Zahnersatzbehandlung nicht übernommen. „Sie ist nur mit einer Zusatzversicherung möglich, die geflüchtete Menschen überhaupt nicht haben“, sagt Alaows.

Für die Regelung der Krankenleistungen sind die Bundesländer zuständig, in jedem sind sie unterschiedlich. Der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenkassen kritisiert auf seiner Internetseite, „dass ein einheitlicher und flächendeckender Zugang zu Leistungen der gesundheitlichen Versorgung für Asylbewerberinnen und Asylbewerber in den ersten 18 Monaten ihres Aufenthalts in Deutschland nicht besteht“. Weiter schreibt er: „Nach Auffassung des GKV-Spitzenverbandes haben die nach Deutschland geflüchteten Menschen Anspruch auf eine angemessene gesundheitliche Versorgung.“

Mit Falschbehauptungen Stimmung zu machen gegen die Schwächsten, das ist absolut unwürdig, Herr Merz!

Reem Alabali-Radovan, Integrationsbeauftragte der Bundesregierung

Laut Ausländerzentralregister waren Ende 2022 rund 304.000 Menschen ausreisepflichtig, davon etwa 248.000 mit einer Duldung. Geduldete sind Menschen, die zwar ausreisepflichtig sind, aber aus bestimmten Gründen nicht abgeschoben werden können. Das kann etwa daran liegen, dass sie keine Ausweisdokumente haben, krank sind oder ein minderjähriges Kind haben, das eine Aufenthaltserlaubnis besitzt. Eine Duldung ist immer befristet. Knapp 13.000 ausreisepflichtige Personen wurden nach Angaben der Bundesregierung 2022 aus Deutschland abgeschoben.

In die Statistik der Geduldeten falle eine Syrerin mit abgelehntem Asylverfahren genauso wie ein US-amerikanischer Student, dessen Visum abgelaufen ist, erklärt Alaows. Dass Merz medizinische Leistungen wie Zahnersatz für Pullfaktoren hält, die Migrant:innen nach Deutschland ziehen, findet Alaows absurd und falsch. „Menschen fliehen nicht, um Zahnarzttermine zu bekommen. Menschen fliehen wegen Kriegen und Krisen.“

Auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser bezeichnete Merz’ Äußerungen als „in der Sache einfach falsch“. Asylbewerber könnten nur in Notfällen, wenn wirklich was vorliegt, überhaupt zum Zahnarzt gehen. Die Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang äußerte sich ähnlich wie Faeser. „Friedrich Merz spielt ganz bewusst Gruppen gegeneinander aus, verbreitet dabei Falschinformationen. So wird kein einziges Problem gelöst, aber Hass geschürt“, schrieb sie auf X.

Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Reem Alabali-Radovan (SPD), meldete sich ebenfalls zu Wort: „Mit Falschbehauptungen Stimmung zu machen gegen die Schwächsten, das ist absolut unwürdig, Herr Merz!“, schrieb sie bei X, zuvor Twitter. (mit Agenturen)

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