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Ein Plakat zum Evangelischen Kirchentag mit dem Slogan „Jetzt ist die Zeit“ hängt an der Außenfassade des Rathauses am Hauptmarkt.

© dpa/Daniel Karmann

Lagerfeuer in Zeiten der Krise: Warum der Kirchentag auch politisch wichtig ist

An diesem Mittwoch beginnt in Nürnberg der Kirchentag. Mehrere Tausende Besucher werden sich politischen und religiösen Themen widmen. Was kann das Treffen bewirken? Eine Analyse.

Die Musik eines Posaunenchors wird in der Nürnberger Altstadt erklingen. Zehntausende Menschen werden sich rund um den Hauptmarkt zu einem großen Gottesdienst versammeln. Und irgendwann wird der frühere Bundesinnenminister und heutige Kirchentagspräsident Thomas de Maizière (CDU) ans Mikrofon treten, und den 38. Deutschen Evangelischen Kirchentag in Nürnberg offiziell eröffnen. Von Mittwoch an bis zum Sonntag werden bis zu 100.000 Besucher zum ersten Protestantentreffen seit dem Beginn der Coronapandemie in der Frankenmetropole erwartet.

Unter dem Motto „Jetzt ist die Zeit“ wollen sie Gottesdienste und Andachten feiern und sich mit Vorträgen und Podiumsdiskussionen aktuellen gesellschaftspolitischen Themen widmen. Denn schon die Teilnahme von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Bundeskanzler Olaf Scholz, eines großen Teils des Bundeskabinetts, von Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU), von Ministerpräsidenten wie Markus Söder (CSU), Manuela Schwesig (SPD) und Winfried Kretschmann (Grüne) und zahlreichen Bundestagsabgeordneten zeigt: Auch nach der Pandemie ist der Kirchentag die wohl größte Veranstaltung der politischen und religiösen Bildung in Deutschland.

Als „eine Art Lagerfeuer“, an dem sich die Menschen in Zeiten der Krise versammeln könnten, hatte de Maizière den Kirchentag bereits bei der Programmvorstellung im März beschrieben. „Wir setzen in den Krisen und den Unsicherheiten ein Zeichen der Hoffnung“, sagte de Maiziere. „Wir wollen mit unserer christlichen Botschaft Hoffnungsträgerinnen und Hoffnungsträger sein.“

Wir setzen in den Krisen und den Unsicherheiten ein Zeichen der Hoffnung.

Kirchentagspräsident Thomas de Maiziere (CDU)

Zu den Themen, die in Nürnberg diskutiert werden, zählt zum Beispiel die Klimakrise: „Wer hat’s verbockt? Und was machen wir jetzt?“ ist ein Podium überschrieben, auf dem Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) der Klimaaktivistin Carla Hinrichs begegnen wird, während bei einer anderen Veranstaltung die Sprecherin der „Letzten Generation“, Aimée van Baalen, zu Gast sein wird.

Thementag zum sexuellen Missbrauch

Weitere Themen sind die Situation von Flüchtlingen, die Zukunft der Demokratie, die Digitalisierung und – wenig überraschend – die eigene Situation der Kirche: Am Samstag findet ein eigener Thementag zum sexuellen Missbrauch statt, und vor dem Hintergrund der Rekord-Austritte, die beide große Kirchen in den letzten Jahren verzeichneten, wird auch die Frage nach der Rolle einer kleiner werdenden Kirche in der Gesellschaft gestellt werden.

Und natürlich wird sich der stets auch als Friedensbewegung auftretende Kirchentag mit dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine beschäftigen. Hier ist es bemerkenswert, dass die Pazifistin und frühere Ratsvorsitzende der EKD, Margot Käßmann, zum ersten Mal seit vielen Jahren nicht an einem Kirchentag teilnehmen wird: Eine von ihr mit dem Liedermacher Konstantin Wecker geplante Veranstaltung fand keinen Platz im offiziellen Programm des Protestantentreffens.

Daraufhin sagte Käßmann, deren Bibelarbeiten auf früheren Kirchentagen verlässlich die größten Hallen füllten, ihre Teilnahme am Nürnberger Protestantentreffen ab. „Wir bedauern, dass Frau Käßmann abgesagt hat“, sagte Generalsekretärin Kristin Jahn kürzlich dieser Zeitung. Mit dem EKD-Friedensbeauftragten Friedrich Kramer habe man aber einen Anderen, der eine pazifistische Position in die Debatte einbringen wird. Und das sei auch nötig: „Wovor ich mich fürchte, ist, dass wir in Lager zerfallen, wo wir einander nicht mehr zuhören wollen.“ Einem anderen „die eigene Meinung an die Stirn zu knallen“, sei noch kein Dialog, sagt Jahn.

Konkrete Ziele eines evangelischen Kirchentages

Aber was kann ein evangelischer Kirchentag tatsächlich konkret erreichen? An dieser Stelle lohnt ein Blick auf das letzte Protestantentreffen in Dortmund 2019. Im Abschlussgottesdienst, der im Signal-Iduna-Stadion von Borussia Dortmund stattfand, stand die hannoversche Pfarrerin Sandra Bils ganz alleine auf dem Mittelpunkt des für Fußballfans heiligen Rasens, und predigte vor mehreren zehntausend Menschen auf den Rängen über die Situation der Flüchtlinge im Mittelmeerraum. „Man lässt keine Menschen ertrinken. Punkt.“

In der Folgezeit entstand unter dem Motto „Wir schicken ein Schiff“ eine breite Bewegung in der Evangelischen Kirche, die dazu führte, dass die deutschen Protestanten zusammen mit anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen über den Verein „United4Rescue“ an der Finanzierung von mittlerweile drei Rettungsschiffen im Mittelmeer beteiligt sind. In der Folge mussten sich die Kirchen intensiv mit Vorwürfen auseinandersetzen, Schleuser zu unterstützen – doch erst in der letzten Woche konnte der Vizepräsident des Kirchenamts der EKD, Horst Gorski, mitteilen, dass bislang rund 5.000 Menschen aus dem Mittelmeer gerettet wurden.

Ob der Nürnberger Kirchentag ein ähnlich kraftvolles Zeichen bieten kann, wird man erst in einigen Tagen wissen. Vorerst aber bleibt es ein wichtiges Signal, dass sich nach der Pandemie mehrere zehntausend Christen in Nürnberg versammeln wollen. Denn sie zeigen damit, dass sie bereit sind, sich in der Gesellschaft einzubringen. Und allein das ist in Zeiten der Zersplitterung und Krise schon ein wichtiges Signal.

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