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Europapolitikerin Terry Reintke bei ihrer Bewerbungsrede.

© Imago/Chris Emil Janssen

Kusshände gegen den Rechtsruck: Wie Terry Reintke die Grünen in die Europawahl führt

Terry Reintke ist die Spitzenkandidatin der Grünen für die Europawahl. Sie setzt auf soziale Themen und warnt vor den Rechtsextremen.

Als Terry Reintke auf die Bühne tritt, ist Unruhe im Saal. Die Delegierten stehen für einen kleinen Plausch zusammen oder gehen kurz was essen. Dabei soll das hier ihre Krönungsmesse sein. Reintke will für die Grünen als Spitzenkandidatin bei der Europawahl im Juni 2024 antreten. Dass ihre Bewerbungsrede auf der Bundesdelegiertenkonferenz in Karlsruhe auf die undankbare Mittagszeit gelegt wurde, hat ihrem Team deshalb nicht unbedingt gefallen.

Aber Reintke weiß sich zu helfen. Die 36-Jährige aus Gelsenkirchen gehört zu den Lieblingen der Grünen-Basis. Noch während der Rede wirft sie die ersten Kusshände ins Publikum. Jenseits der Partei kennen sie allerdings nur wenige. Zumindest in Deutschland, in Brüssel und Straßburg hat sie sich als Sozialpolitikerin und Fraktionschefin der Grünen längst einen Namen gemacht.

Die Spitzenkandidaten der anderen Parteien sind bekannter

Die Spitzenkandidatinnen der anderen Parteien sind deutlich prominenter: Für die SPD tritt Katarina Barley an. Für die Union wahrscheinlich Ursula von der Leyen. Und die Linke hat neben Parteichef Martin Schirdewan auch Carola Rackete nominiert, die als frühere Kapitänin eines Seenot-Rettungsschiffs auch für viele Grünen-Anhänger ein Vorbild ist.

Bei der Europawahl will Reintke das soziale Profil der Grünen betonen. Ein bisschen mag das auf diesem Parteitag bereits ihr leuchtend rotes Kleid verkörpern. Mit der Konkurrenz der Linken habe dieser Kurs nichts zu tun, sagt sie dem Tagesspiegel.

„Ich komme aus dem Ruhrgebiet. Ich mache das, weil es mir wichtig ist.“ Es brauche im Europaparlament eine linksprogressive Stimme, die anders als die Linken auch bereit sei, das Programm der Kommission mitzubestimmen und Gesetzgebung umzusetzen – so wie in dieser Legislatur bei der europäischen Mindestlohnrichtlinie.

In den kommenden fünf Jahren will sie beim Arbeitsschutz vorankommen. Bei ihrer Parteitagsrede erzählt sie deshalb von den um ihren Lohn geprellten Lkw-Fahrern, die im hessischen Gräfenhausen per Hungerstreik protestierten. „Europa darf nicht nur für den liberalen Markt stehen, es muss den Menschen auch Schutz bieten“, sagt sie.

Zuletzt hat der Wahlsieg von Geert Wilders in den Niederlanden gezeigt, wie fragil das europäische Projekt ist. Als Reintke deshalb in Karlsruhe vor einer Wiederkehr der Faschisten warnt, bekommt sie das erste Mal stehende Ovationen. Das Erstarken der Rechten sei aber keineswegs zwangsläufig. „In Polen ist der autoritäre Gesellschaftsumbau gestoppt worden.“

Die Grünen warnen auch vor einem Rollback beim Klimaschutz. „Rechtsextreme Mehrheiten würden das Aus für den Green Deal bedeuten“, sagt Reintke. Vorboten gibt es längst. Zuletzt kippte das EU-Parlament ein umfangreiches Pestizidverbot. Die Konservativen verabschieden sich zunehmend vom Green Deal ihrer konservativen Kommissionpräsidentin Ursula von der Leyen.

Anders als 2019 scheint Klimaschutz kein Gewinnerthema mehr zu sein. Reintke kämpft dagegen an. Sie erzählt vom Ruhrgebiet, wo einst Kohlezüge an ihr vorbeifuhren und in Duisburg bald im größten Stahlwerk Deutschlands mit grünem Wasserstoff produziert werden soll. Sie betont, wie wichtig die ökologische Transformation auch für Arbeitsplätze ist.

Doch selbst die Grünen erwarten nicht, dass sie ihr historisch gutes Ergebnis bei der letzten Europawahl von 20,5 Prozent erneut erreichen. Entsprechend hart wird in Karlsruhe um die Plätze auf der Europawahlliste gekämpft. Reintke stärken die Delegierten den Rücken. Sie erhält über 95 Prozent der Stimmen.

Auch die europäische Spitzenkandidatin der Grünen dürfte sie werden. Dann muss sie dafür kämpfen, dass die Grünen in ihrer Diaspora – im Süden und Osten – endlich stärker werden, um eine erneute grüne Fraktion zu sichern. Dabei hilft, wie entschieden Robert Habeck und Annalena Baerbock die Nordstream-Pipeline ablehnten, glaubt sie.

Am Ende des Wahlkampfs könnte auf Reintke dann ein ganz großes Amt warten. Wird Ursula von der Leyen nicht erneut Kommissionspräsidentin, dürften die Grünen Reintke als Deutschlands neue Kommissarin vorschlagen.

Die Schöhnheit des europäischen Projekts erlebt Reintke auch jeden Tag zuhause. Sie lebt in Brüssel mit der grünen, französischen Senatorin Mélanie Vogel zusammen.

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