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Suchtgefahr. Künftig sollen Kinderärzte testen, ob Jugendliche von Computer abhängig sind.

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Exzessive Mediennutzung: Kinderärzte: Politik tut zu wenig gegen Onlinesucht

Viele Jugendliche können nicht mehr ohne Computerspiele und Internet. Die Kinderärzte würden sich dem Problem gerne stärker widmen. Doch sie fühlen sich von der Politik im Stich gelassen.

Der Verband der Kinder- und Jugendärzte hat der Politik vorgeworfen, zu wenig gegen exzessive Mediennutzung und Computerabhängigkeit in Familien zu unternehmen. Im Bemühen, eine bundesweite Studie zu dem Thema finanziert zu bekommen, habe man bisher weder vom Gesundheits- noch vom  Familienministerium Unterstützung bekommen, sagte Verbandspräsident Wolfram Hartmann dem Tagesspiegel.

Schon Vorschulkinder sind im Internet unterwegs

Die Frage nach den gesundheitlichen Auswirkungen übermäßiger Mediennutzung sei für Kinderärzte derzeit „eine  der wichtigsten überhaupt“, sagte Hartmann. Schon Vorschulkinder hätten Zugang zu Smartphone und Internet, von den über Zwölfjährigen seien viele fast pausenlos mit ihren Handys zugange. Manche Kinder hätten schon im Vorschulalter Zugang zu Smartphones und seien „im Internet unterwegs“.  Bei den über 12-Jährigen seien viele fast pausenlos mit Handys und Laptops zugange.

Welche Folgen dies langfristig habe, sei wissenschaftlich bisher kaum untersucht. Für die Studie, die auch die Auswirkungen des Medienkonsums der Eltern auf die Heranwachsenden in den Blick nehmen soll,  benötige man 600 000 Euro, so der Verbandspräsident. Bisher habe aber nur die Drogenbeauftragte in Aussicht gestellt, sich eventuell an den Kosten zu beteiligen. Aus den Ministerien für Gesundheit und Familie - das eine CDU-, das andere SPD-geführt - habe man nicht mal eine Antwort erhalten.

Keine Fragebögen bei Früherkennungsuntersuchungen

Die Forderung der Kinderärzte, eine regelhafte Befragung der Eltern zum festen Bestandteil der vorgeschriebenen Früherkennungsuntersuchungen zu machen, sei erst im Juni vom Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) abgelehnt worden, sagte Hartmann – aus Kostengründen und der Sorge, dass dadurch womöglich auch Kindergärten und Schulen Zugriff auf private Daten erhalten könnten.

Von seiten des GBA wurde dieses Darstellung zurückgewiesen. Abgelehnt worden sei lediglich die vorgesehene Art der Befragung über strukturierte Fragebögen, die zu stark auf die soziale Situation der Familien abgehoben hätten, sagte eine Sprecherin. Kostengründe hätten keine Rolle gespielt. Und die neuen Richtlinien für Früherkennungsuntersuchungen sähen sehr wohl auch eine ärztliche Beratung zur Mediennutzung vor.

So gefährlich wie Rauchen

Die exzessive Nutzung von Computerspielen und Onlinemedien durch Heranwachsende sei ein „riesiges Problem“, bestätigte der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach. In seinen Auswirkungen sei es durchaus mit dem Rauchen vergleichbar, das bei Jugendlichen erfreulicherweise zunehmend aus der Mode komme. Doch leider: „Eine Sucht ersetzt die andere."

Studien aus Skandinavien und den USA belegten, dass das ständige Sitzen vor dem Bildschirm schon in jungen Jahren irreversible Gefäßverkalkungen etwa in den Halsschlagadern befördere, sagte Lauterbach. Auch das Risiko, schon in jungen Jahren an Diabetes und Bluthochdruck zu erkranken, werde durch den Bewegungsmangel forciert. Zudem lasse sich nachweisen, dass jugendliche Computer-Junkies auf längere Sicht weniger kreativ seien und häufiger soziale Probleme hätten.

Subjektiv oft unterschätzt

Dass sich mit Befragungen und Aufklärung allein viel erreichen lasse, bezweifelte Lauterbach jedoch. Schließlich machten sich viele der Betroffenen selbst etwas vor, ihre objektiv gemessenen Zeiten vor dem Computer seien meist „weit höher als die subjektiv empfundenen oder erinnerten“. Helfen könne nur, den Jugendlichen Alternativen anzubieten, etwa mehr Sportangebote oder Grünflächen in den Städten.

Richtig sei aber auch, dass das Thema Onlinesucht in Deutschland besser erforscht werden müsse, sagte der SPD-Experte. Die Finanzierung solcher Studien sei sowohl aus dem geplanten Innovationsfonds als auch aus einem neuen Fördertopf für Versorgungsforschung denkbar.

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