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Joachim Gauck ist ein deutscher parteiloser Politiker und evangelischer Theologe. Er war vom 18. März 2012 bis zum 18. März 2017 der elfte und erste parteilose Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland. Zu DDR-Zeiten war Gauck evangelisch-lutherischer Pastor und Kirchenfunktionär. Fotografiert am 19. April 2023 in Berlin.

© Mario Heller/Tagesspiegel

Joachim Gauck und der Ruck: Die Probleme zu benennen, ist ein Anfang

Ex-Bundespräsident Joachim Gauck hat sich in die Asyldebatte eingeschaltet. Wohlfeil? Vielleicht. Aber dringend notwendig.

Ein Kommentar von Christian Tretbar

Vielleicht ist es ja eine Ruck-Rede. Vorgetragen am Sonntagabend im ZDF. Von einem Mann, der nicht mehr in Verantwortung steht. Der, so könnte man es auch sehen, leicht reden hat. Aber immerhin tut er es: reden.

Joachim Gauck, Ex-Bundespräsident, selbst ernannter Mahner, hat zu einem Umdenken in der Asylpolitik aufgerufen. Er sprach von einer neuen „Entschlossenheit“ in der Flüchtlingspolitik; davon, den offenbar eingetretenen „Kontrollverlust“ zu beheben und einer Debatte über „neue Wege“.

Ja, es mag etwas wohlfeil sein von einem, der nicht in den politischen Niederungen die Kompromisse erringen muss. Aber es geht um etwas anderes. Darum, nicht so zu tun, als würde schon alles irgendwie klappen. Denn aktuell muss man einfach sagen, dass Deutschland an seine Grenzen stößt. Und allein darüber offen und klar zu sprechen und dabei auch Maßnahmen völlig ohne Schaum vorm Mund zu diskutieren, die schnell als Abschottungspolitik gebrandmarkt werden, sorgt dafür, dass rechte Narrative durchkreuzt werden können.

Die AfD ist mittlerweile in etlichen Bundesländern in Umfragen führend. Und dieser Trend wird sich verstärken, wenn man sich vor den Menschen und Institutionen verschließt, die keinesfalls am rechten Rand stehen, sondern einfach nur ihre Probleme und ihre Überforderung artikulieren. Kommunen und Städte weisen seit Monaten darauf hin, dass sie der schieren Zahl an Geflüchteten nicht mehr Herr werden. Es fehlt an Schulen, Kitas, Personal, Wohnungen. Und es fehlt an klarer Unterstützung aus der Bundespolitik.

Es fehlt an kreativen Lösungen zur Integration

Und das ist doppelt schlimm. Erstens, weil den Kommunen dadurch das Geld fehlt und zweitens auch, weil zu wenig dafür getan wird, dass der Bedarf zurückgeht. Über nummerische Grenzen wird nicht diskutiert, weil sie zum einen in der Tat schwer umsetzbar sind, aber zum anderen vor allem auch, weil man Angst vor dem Vorwurf hat, dass dies inhuman sei.

Aber auch über Abschiebung wird nicht gern gesprochen und so kommt es, dass von den gut 54.000 ausreisepflichtigen Menschen ohne Duldung nur knapp 13.000 wirklich abgeschoben werden. Auch die Zahl der Abschiebung von straffälligen Asylbewerbern ist sehr gering.

30
Prozent höchstens darf der Anteil „nicht-westlicher Migranten“ in Dänemarks Brennpunkten betragen.

Gleichzeitig fehlt es an kreativen Lösungen, um die Menschen zu integrieren. Viele wollen Arbeit aufnehmen, dürfen es aber nicht. Zu viel Bürokratie, zu viele Hindernisse liegen auf dem Weg. Auch werden oft die Augen davor verschlossen, dass es in bestimmten Gebieten und Vierteln immer wieder zu Problemen, Gewalt und Kriminalität kommt. Die Gründe sind oft sehr unterschiedlicher Natur, aber einer der Gründe ist auch, dass es eben kaum eine Diversität gibt.

Dass Dänemarks sozialdemokratische Regierung eine Migranten-Quote für Brennpunktviertel eingeführt hat, ist deshalb folgerichtig. Demnach dürfen höchsten 30 Prozent „nicht-westliche Migranten“ in bestimmten Wohnvierteln leben, um eine bessere Integration zu ermöglichen. Am Anfang der Maßnahme stand ein Ziel: keine Parallelgesellschaften. Und auch das musste erstmal ausgesprochen werden.

Das ist weder rechts noch inhuman, das ist einfach pragmatisch und soll letztlich dem Ziel des guten Miteinanders dienen, auf das alle Seiten auch angewiesen sind. Man muss deswegen nicht gleich an die Zuzugssperren der Vergangenheit denken.

Vertrauen für gesellschaftlichen Konsens zurückgewinnen

Deutschland muss dringend ein weltoffenes Land bleiben, das Einwanderung positiv gegenüber steht. Nicht nur, weil es wirtschaftlich notwendig ist, da allen Orten Arbeitskräfte fehlen, sondern auch, weil es politisch und menschlich schlicht geboten ist.

Außerdem muss man sich keiner Illusion hingeben: Die Zahl der Flüchtlinge wird weltweit weiter steigen, da klimatische Veränderungen, Kriege und wirtschaftliche Entwicklungen Menschen in Not bringen werden. Um damit umzugehen, braucht es einen gesellschaftlichen Konsens. Doch das dafür notwendige Vertrauen in die Politik, Dinge, die schieflaufen, auch zu korrigieren, ist gerade abhandengekommen.

Deshalb ist es richtig, dass sich jemand wie Joachim Gauck einschaltet. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat nicht die Klarheit, die es bei dem Thema bräuchte. Und Olaf Scholz ist nun mal kein Mann der wirkmächtigen Worte. Aber er hätte andere Mittel: die der konkreten Politik. Daran wird er sich messen lassen müssen.

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