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In Busstation gerast. Der Tatort nach dem Anschlag.

© dpa

Update

Israel: Serie von Messerattacken verunsichert jüdische Bevölkerung

Ein Palästinenser ist in Jerusalem in eine Gruppe in einer Busstation gerast und stach auf Passanten ein. Nach weiteren Angriffen ist bereits von einer "Messer-Intifada" die Rede.

Bei zwei Terrorattacken in Jerusalem sind mindestens zwei Israelis und ein palästinensischer Angreifer getötet worden. Weitere 20 Menschen wurden verletzt, davon sechs schwer, wie die Webseite ynetnews.com und der israelische Rundfunk am Dienstag berichteten. In einem Fall griffen zwei Attentäter in einem Autobus die Fahrgäste mit Schusswaffen und Messern an. Ein 60-Jähriger wurde dabei getötet. Ein Attentäter wurde am Ende von Polizisten erschossen, der zweite durch Schüsse verletzt. 

Im zweiten Fall fuhr ein Palästinenser mit seinem Wagen in eine Gruppe wartender Menschen an einer Bushaltestelle. Er stieg aus und stach mit einem Messer auf die Passanten ein. Ein Israeli starb. Der Angreifer wurde festgenommen. Seit Beginn der jüngsten Gewaltwelle in Israel vor knapp zwei Wochen wurden sechs Israelis und 27 Palästinenser getötet.

Am selben Vormittag kam es in Raanana bei Tel Aviv zu zwei separaten Messerangriffen von Palästinensern. Jeweils ein Mann und eine Frau erlitten Verletzungen. Die Attentäter wurden in beiden Fällen überwältigt und festgenommen.

Inmitten wachsender Spannungen ist es in den vergangenen Tagen zu einer Serie von Messerangriffen gekommen. Ein Streit um die Besuchs- und Gebetsrechte auf dem Plateau des Tempelbergs in der Jerusalemer Altstadt hat die jüngste Gewaltwelle befeuert.

Messer, die sich leicht in einer Tasche oder unter dem Hemd verstecken lassen, sind die bevorzugte Waffe und das Symbol der jüngsten Gewaltwelle im Konflikt zwischen Palästinensern und Israel. Innerhalb von knapp zwei Wochen ereigneten sich bereits mehr als zwanzig Messerattacken auf Israelis oder jüdische Besucher Israels. Dabei wurden seit dem 3. Oktober fünf Israelis getötet, etwa 25 Menschen wurden verletzt, darunter mehrere Kinder. Die psychologische Wirkung ist massiv.

"Messerterror wird uns nicht besiegen", versicherte Ministerpräsident Benjamin Netanjahu am Montag vor der Knesset. Bilder von bei Anschlägen verwendeten Stichwaffen überfluten zugleich die sozialen Netzwerke in Israel und illustrieren die Zeitungsartikel. Sie reichen von simplen Küchenmessern bis hin zu mächtigen gezackten Klingen, unter den verwendeten Waffen sind aber auch Schraubenzieher und sogar ein Kartoffelschäler. Augenzeugen nahmen an den Tatorten mit ihren Smartphones die zum Teil blutverschmierten Messer auf; auch die Polizei verteilte Bilder von Tatwaffen an die Medien.

Die Auswirkungen auf das Sicherheitsgefühl sind massiv

"Das sind Alltagsgegenstände, die jeder zu Hause hat, die ohne Training als Waffe einsetzbar und leicht zu verbergen sind", erläutert der Psychologe Schaul Kimhi. "Messerattacken zielen oft nicht auf die Tötung der Opfer, sondern sollen Furcht verbreiten. Und dieses Ziel erreichen sie", sagt der Psychologe und konstatiert: "Die Ängste der Israelis stehen gegenwärtig in einem Missverhältnis zur tatsächlichen Bedrohung."

Die zahlreichen Anschläge der vergangenen Tage mit Stichwaffen wurden vor allem von heranwachsenden Palästinensern aus dem besetzten Ost-Jerusalem und dem Westjordanland verübt, in Einzelfällen auch durch israelische Araber. Die Opferzahlen sind bisher nicht zu vergleichen mit denen der Selbstmordanschläge während der Zweiten Intifada, die in den Jahren 2000 bis 2005 mehr als 500 Israelis in den Tod rissen.

Es ist mithin mehr die empfundene Hilflosigkeit als die Opferbilanz, die bei den Israelis allgemeine Verunsicherung ausgelöst hat. Sie sind es gewohnt technologische Antworten zur Gefahrenabwehr zu entwickeln, wie das hocheffiziente Raketenabwehrsystem Eiserne Kuppel. "Hier aber haben wir es mit Leuten zu tun, die das einfachste Terrormittel überhaupt einsetzen. Wir können Messer nicht völlig verbannen", erklärt der frühere Oberst im Armeegeheimdienst, Miri Eisin.

Zunehmend Nachahmer unter perspektivlosen Jugendlichen

Attacken mit Stichwaffen fanden in den vergangenen Tagen zunehmend Nachahmer und wurden so zum spontanen Kennzeichen der aktuellen Revolte von palästinensischen Jugendlichen, die jegliche Zukunftshoffnung verloren haben. Die Anschlagsserie begann am 3. Oktober mit dem 19-jährigen Mohammad Halabi aus Hebron, der auf Facebook ankündigte, er werde im Namen einer neuen Intifada sterben. Anschließend erstach er in der Jerusalemer Altstadt zwei jüdische Männer, bevor er von Sicherheitskräften erschossen wurde.

Auch auf den von Palästinensern genutzten Internetportalen dreht sich alles um die "Messer-Intifada". Ein anonymer Blogger verkündete dort: "Hallo, Besatzer! Bei Messern helfen Euch die Luftalarm-Sirenen nicht. Es gibt keine Warnung."

In den hebräischen Fernsehprogrammen zeigen derweil Experten für Selbstverteidigung ihre Abwehrtechniken. "Am wichtigsten ist es, eine Art Pufferzone zu schaffen, um das Messer so weit wie möglich von deinem Körper entfernt zu halten", sagt einer und demonstriert, wie er einem Angreifer den Arm auf den Rücken drehen würde. Die israelischen Rettungsdienste veröffentlichten einen kurzen Lehrfilm zu Ersthilfemaßnahmen nach Messerverletzungen; insbesondere solle die Stichwaffe nicht aus dem Körper des Opfers entfernt werden, um die Blutungen nicht zu verstärken.

Manche Israelis verarbeiten die Bedrohung aber auch mit schwarzem Humor. Einer posiert auf Facebook in einer selbstgebastelten Ganzkörper-Rüstung an der Wohnungstür. Er ruft seiner Frau zu: "Schatz, ich bringe mal kurz den Müll runter und bin gleich zurück." (dpa/AFP)

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