zum Hauptinhalt
Schlechte Nachrichten. Innenministerin Nancy Faeser (SPD) und Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang haben am Dienstag den neuen Jahresbericht der Behörde vorgestellt.

© dpa/Christoph Soeder

„Ideologien vermischen sich zunehmend“: Das sind die wichtigsten Erkenntnisse aus dem Verfassungsschutzbericht

Der neue Verfassungsschutzbericht verzeichnet mehr extremistische Straftaten als je zuvor. Sie sind laut Behördenchef Haldenwang oft gar nicht leicht zuzuordnen.

Die Tendenz hin zu einer sogenannten Querfront, die sich aus verschiedenen politischen Extremen speist und vor allem durch die Ablehnung des bestehenden demokratischen Systems geeint wird, verstärkt sich – das ist eine der Erkenntnisse aus dem neuen Bericht des Verfassungsschutzes.

„Der Verfassungsschutzbericht zeigt, dass Extremisten gewalttätiger und jünger werden und sich Ideologien zunehmend vermischen“, sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser bei dessen Vorstellung am Dienstag. „Wir stellen fest, dass Grenzen innerhalb von Phänomenbereichen verschwimmen und sich Mischszenen bilden“, stellte Thomas Haldenwang, der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz in Köln, fest.

Die sich überlagernden Krisen sind aus seiner Sicht der Grund dafür, dass Verschwörungsmythen, Desinformationskampagnen ausländischer Dienste und Propaganda mittlerweile auch im bürgerlichen Milieu stärker verfangen. Die Akteure, so Haldenwang, „basteln ihr Weltbild nach einem Baukastenprinzip mit Versatzstücken aus dem Internet zusammen“. Sorge bereite dabei vor allem, dass sie „immer gewaltorientierter“ würden.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Zahl der politisch motivierten Straftaten gestiegen

In quasi allen Bereichen sind die Zahlen im Vergleich zum Vorjahr gestiegen. So wurden im Jahr 2022 insgesamt 58.916 politisch motivierte Straftaten gezählt, ein Plus von sieben Prozent. Davon wurde bei 35.452 Straftaten ein extremistischer Hintergrund ausgemacht – laut Haldenwang „ein trauriger Höchststand“.

Interessant ist, dass sich von diesen wiederum 8246 nicht eindeutig in die bekannten Kategorien des rechten, linken, religiösen oder ausländischen Extremismus einordnen ließen. Im Vorjahr wurden dabei insgesamt 2847 extremistische Gewalttaten gezählt – eine der wenigen Zahlen, bei denen ein minimaler Rückgang zu vermelden ist.

Rechtsextremismus bleibt „größte Gefahr“

Stark gestiegen ist die Zahl von Personen, die dem Rechtsextremismus zugeordnet werden, der laut der Behörde „unverändert die größte Gefahr für unsere Demokratie“ darstellt – von 33.900 im Jahr 2021 auf 38.800 im vergangenen. Dies hat freilich insbesondere damit zu tun, dass die AfD seither offiziell als rechtsextremistischer Verdachtsfall eingestuft ist.

Ebenfalls angewachsen ist das Personenpotenzial der sogenannten „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ – von 21.000 auf nun 23.000. In Bezug auf den Linksextremismus ist diese Zahl von 34.700 auf 36.500 gestiegen.

Unter die im Zuge der Proteste gegen die Corona-Maßnahmen neu eingeführte Kategorie „verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“ fallen rund 1400 Personen, die laut Verfassungsschutz nur lose organisiert sind, aber Kontakte mit anderen extremistischen Kreisen suchen: „Vernetzungen ergeben sich etwa im Bereich des Protestgeschehens oder über gemeinsame Telegram-Gruppen.“

 8246
extremistische Straftaten konnten 2022 nicht den bekannten Kategorien zugeordnet werden

Dem auslandsbezogenen Extremismus, zu dem etwa die Aktivitäten der kurdischen Arbeiterpartei PKK gezählt werden, rechnet der Verfassungsschutz nun 29.750 statt bisher 28.650 Personen zu. Abgenommen hat demnach allein die Zahl Islamisten – von 28.290 im Jahr 2021 auf 27.480 im vergangenen.

Ausländische Einflussnahme nimmt zu

Der Verfassungsschutz warnt zudem vor einer ernsten Bedrohung der inneren Sicherheit aus dem Ausland. „Spionage, Cyberoperationen und Einflussnahmeversuche ausländischer Nachrichtendienste sind hemmungsloser und ausgefeilter geworden“, sagte Haldenwang.

Die Bedrohungslage hat sich nach Angaben des Verfassungsschutzes durch Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine verschärft. Zukünftig sei mit „klandestineren und aggressiveren Spionageoperationen Russlands sowie von Russland ausgehenden Aktivitäten im Cyberraum“ zu rechnen, heißt es in dem Bericht. Moskau sei zudem weiter bestrebt, auf die öffentliche Meinungsbildung in Deutschland Einfluss zu nehmen.

Neben Russland nennt der Verfassungsschutz China, den Iran und die Türkei als Hauptakteure in den Bereichen Spionage und Einfluss-Aktivitäten. China versuche, aktive und ehemalige deutsche Politiker als „Lobbyisten“ für chinesische Interessen zu gewinnen.

Erstmals erwähnen die Verfassungsschützer in diesem Zusammenhang die Internationale Abteilung des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Chinas. Sie führe „verdeckte politische Einflussoperationen durch und nutzt auch nachrichtendienstliche Mittel zur Informationsbeschaffung“, heißt es in dem Bericht. Zur Internationalen Abteilung des ZK pflegt nach Tagesspiegel-Recherchen der frühere Bundesverteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD) enge Kontakte.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false