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Rosen und ein Brief liegen vor dem Hamburger Supermarkt.

© Markus Scholz/dpa

Messerangriff in Hamburg: Hätte der Täter aufgehalten werden können?

Der 26-jährige Palästinenser war als Islamist bekannt, aber nicht als Gefährder. Es wurde wohl überlegt, ihn psychologisch untersuchen zu lassen.

Urplötzlich brach der Horror über die Menschen in Barmbek herein, vollkommen willkürlich traf es Supermarktkunden und Passanten. Wie sehr, das wird am Tag nach dem tödlichen Messerangriff eines 26-jährigen palästinensischen Flüchtlings erst deutlich. Der Beschuldigte, so schildern es die Ermittler, will in dem Geschäft an der Fuhlsbüttler Straße offenbar ein Toastbrot kaufen, verlässt dann den Laden, steigt in einen Bus, steigt sofort wieder aus und kehrt in den Supermarkt zurück. Dort nimmt er ein Küchenmesser aus einem Verkaufsregal und sticht wuchtig auf die ersten Opfer ein.

Ein Toter und sieben Verletzte sind nach dem Angriff vom Freitag zu beklagen - und Hamburg kommt nicht zur Ruhe. Erst die Gewalteskalation beim G20-Gipfel, nun ein Anschlag. Viele Fragen sind offen. Was trieb den Täter an? Hätte er aufgehalten werden können?

Er war Verfassungsschutz und Polizei als Islamist bekannt, wohl gab es Anzeichen für eine mögliche Radikalisierung, aber als Dschihadisten oder sogar als Gefährder stuften die Behörden ihn nicht ein. Auch Hinweise auf die Einbindung in die islamistische Szene oder dschihadistische Netzwerke fehlten. Zugleich gibt es klare Indizien auf persönliche Probleme des Mannes, der binnen Minuten von Passanten gestellt und Zivilpolizisten festgenommen werden konnte. "Wir gehen im Moment von einem psychisch zumindest labilen Einzeltäter aus", sagt Innensenator Andy Grote (SPD). Es sei unklar, was am Ende entscheidend gewesen sei.

Ende August vergangenen Jahres informierte ein Bekannter des Mannes die Polizei über auffällige Veränderungen, weil der dem Trinken und Feiern offenbar nicht abgeneigte junge Mann sich religiös verhielt und häufig über den Koran sprach. Beamte des Hamburger Verfassungsschutzes sprachen mit dem Mann, erläuterte dessen Chef Torsten Voß am Samstag. Sie sahen keine akute Bedrohung und kamen zu dem Ergebnis, dass eine "eine Mischform aus psychischer Instabilität und religiös-motivierter Radikalisierung" vorliegen könnte. Es war angedacht, den Mann durch die Polizei psychisch untersuchen zu lassen. Dazu aber kam es bis zur Tat nicht.

Einerseits soll er den Koran rezitiert, andererseits getrunken haben

Ähnlich schilderte es am Samstag auch ein Bewohner des Flüchtlingsheims im Hamburger Stadtteil Ochsenzoll, in dem der Mann, der fließend Norwegisch, Schwedisch und Englisch spricht und im März 2015 nach Deutschland kam, lebte. Der Bewohner berichtete AFP, dass der Mann in seinem Zimmer einerseits laut den Koran rezitierte, andererseits aber weiter trank und Marihuana rauchte. "Ich glaube nicht, dass er Kontakt zu Islamisten hatte. Er hatte nicht einmal Facebook - und dann trank er außerdem immerzu Alkohol."

Für die Behörden ist der Fall auch deshalb heikel, weil der 26-Jährige Deutschland eigentlich längst wieder hätte verlassen sollen. Sein Asylantrag war Ende 2016 abschlägig beschieden worden, die Ausreise verzögerte sich aber wegen fehlender Ausweisdokumente. Die von den palästinensischen Behörden zugesagten Ersatzpapiere trafen bislang nicht ein. Das sei von deutscher Seite nicht beeinflussbar, betonten deren Vertreter am Samstag. Das Verfahren sei sogar ausgesprochen glatt gelaufen, weil der Verdächtige "vorbildlich" kooperiert habe.

Noch am Tattag habe er sich bei der Ausländerbehörde erkundigt, ob die Ersatzpapiere inzwischen vorlägen, berichtete Grote. Fast scheint es so, als wenn er Deutschland schnell wieder verlassen wollte. Vieles bleibt unklar nach der Bluttat von Barmbek. Und es bleibt tiefe Verunsicherung. "Es hätte jeden von uns genau so treffen können", sagte der Innensenator.

Sebastian Bronst, AFP

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