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Einfach rüberfahren - wird das nach dem Brexit noch möglich sein?

© Mariusz Smiejek/dpa

Großbritannien und der EU-Austritt: Londoner Brexit-Träume

Eine Zollunion nach der Zollunion nach der Zollunion. Und bitte keine harte Grenze zu Irland. Wie die britische Regierung sich die Zeit nach dem EU-Austritt vorstellt.

„Brexit heißt Brexit“  - den Slogan der konservativen Premierministerin Theresa May füllt die britische Regierung nun zusehends mit Inhalt. Nach einem programmatischen Artikel im „Sunday Telegraph“, gemeinsam verfasst von Schatzkanzler Philip Hammond und Handelsminister Liam Fox, bisher eher im Streit miteinander, veröffentlichte das Ministerium für den Austritt aus der Europäischen Union (britisches Kürzel DEXEU) am Dienstag ein vierzehnseitiges Papier zu den „künftigen Zollvereinbarungen“ mit der EU. Und am Mittwoch folgte, damit eng zusammenhängend, ein Papier über die künftige Grenzregelung zwischen der Republik Irland und Nordirland. Zwei Wochen vor den nächsten Brexit-Gesprächen in Brüssel hat London damit zu zwei Knackpunkten der Verhandlungen Position bezogen.

Und was wollen die Briten? Regierungslinie bleibt der Austritt aus der EU im März 2019, was ein Ende der Mitgliedschaft im EU-Binnenmarkt bedeutet und auch ein Ende der Zollunion mit der EU. Damit endet also in anderthalb Jahren ganz formell der zollfreie und durch Grenzkontrollen unbehinderte Handel mit den Partnern auf dem Kontinent (und mit dem einzigen Nachbarn mit Landgrenze, eben der Irischen Republik). Allerdings soll es eine Übergangsphase geben, um Zeit zu haben für das angestrebte europäisch-britische Handelsabkommen (was auch nach Ansicht der EU nötig ist).

Für diese „transition phase“ wollen die Briten mit der EU nun eine „temporäre Zollunion“ vereinbaren. Und über den Zeitraum herrscht im Kabinett von May auch noch Dissens. Wie diese Zollunion, welche die Zollunion ersetzt, im Detail gestaltet sein soll, darüber sagt das Papier nichts. Allerdings soll es einen Unterschied geben: Würde die Mitgliedschaft in der EU-Zollunion informell fortgesetzt, könnte Großbritannien mit Drittstaaten keine offiziellen Verhandlungen über bilaterale Handelsverträge beginnen. Eine solche eigenständige weltweite Handelspolitik treiben zu können, ohne Rücksicht auf Brüssel, ist einer der Hauptbeweggründe der Brexit-Befürworter.

Die temporäre Zollunion soll das dann wohl ermöglichen – ansonsten aber dürfte sie weitgehend am Status quo orientiert sein. London spricht von einem „Modell enger Anbindung“. Der Ökonom Christian Odendahl vom Centre for European Reform sagte dem Tagesspiegel: „Realistisch ist nur die Fortschreibung des Status quo, weil für alles andere die Zeit fehlt, die Kapazitäten fehlen und auch die politische Bereitschaft der EU nicht vorhanden ist.“ Hinter dem zollpolitischen Papier der britischen Regierung „steht die gleiche Illusion wie hinter dem gesamten Brexit-Projekt, dass nämlich alles bleiben kann wie bisher, aber man eben souverän ist“.

Neue Zollpartnerschaft?

Nach der Übergangsphase – und hier kommt nun die für die Briten wichtige irische Grenze ganz konkret ins Spiel – will Großbritannien ebenfalls einen möglichst reibungslosen Handel mit der EU. Doch wie soll das gehen, wenn man jede Form von Zollunion aufkündigt? Ein Zyniker könnte sagen: Durch eine Zollunion, etwas abgespeckt, mit einem anderen Namen. Darauf scheinen die beiden Vorschläge für ein Zollregime nach Austritt und Übergangsphase denn auch hinauszulaufen, die das britische Kabinett jetzt vorgelegt hat. Sie werden in dem Papier als „neue Zollpartnerschaft“ bezeichnet (die etwas engere Variante) und als „stark gestrafftes Zollarrangement“.

Ziel soll sein, die mit dem Ende der echten Zollunion zwangsläufig wachsenden Zollformalitäten und Grenzkontrollen möglichst klein zu halten – und zwar bilateral (also im Handel zwischen EU und der Insel) als auch im Außenhandel. Daher sollen die britischen Zollbehörden sozusagen zum Dienstleister für die EU werden – indem sie zumindest einen Teil der Abwicklung und Kontrolle der Einfuhren übernehmen, die via Großbritannien in die Europäische Union gehen. Das ist derzeit eine ganze Menge, denn die britischen Seehäfen sind die größten Tore zum EU-Binnenmarkt.

Nach dem Brexit könnten sie erheblich an Geschäft verlieren, was die britische Position natürlich prägt. Denn Importeure könnten nach dem Brexit kontinentale Häfen bevorzugen, wenn der Großteil der Lieferung für die EU und nicht Britannien bestimmt ist. Ob der britische Zoll personell und technisch zur Umsetzung der britischen Vorschläge in der Lage ist (Mays Regierung will neue digitale Kontroll- und Protokollmethoden einführen), das werden die EU-Verhandler prüfen müssen. Klar ist, dass es ein vergleichbares Zollregime bisher nirgends gibt. Und je mehr sich Großbritannien mit seinen Gesetzen und eigenständigen Handelsverträgen von der EU entfernt, je schwieriger wird es.

Neue Grenzkontrollen

Zudem bedeutet das Ende der (echten) Zollunion, dass sowohl in Großbritannien als auch in den meisten EU-Ländern (vor allem denen mit Seehäfen) neue Kapazitäten aufgebaut werden müssen – Grenzstationen, Kontrolltechnik, Parkplätze für Lastwagen, Lagerhallen. Es wird also teuer werden. Denn das britische Angebot einer neuen Zollpartnerschaft oder eines eng abgestimmten Zollregimes schafft ja nicht die Tatsache aus der Welt, dass der Brexit zu zwei getrennten Wirtschaftsräumen führt, zwischen denen ein völlig reibungsloser Handel eben nicht möglich ist. Betroffen wären vor allem Unternehmen mit Lieferketten quer durch Europa und Fabriken, die ihre Vorprodukte derzeit „just in time“ anliefern lassen, sozusagen direkt aufs Fließband.

Eine besondere Grenze

Die irische Grenze soll jedoch, geht es nach den Briten, von all dem Aufwand völlig ausgenommen sein. Keine „harte Grenze“ soll dort verlaufen, und das hat nicht nur wirtschaftliche Gründe, weil Irland und Großbritannien natürlich sehr enge Handelsbeziehungen haben. Die Öffnung des Grenzverkehrs zwischen der Republik und der britischen Provinz hat auch wesentlich dazu beigetragen, dass der nordirische Bürgerkrieg beendet werden konnte. Würde eine kontrollierte Grenze das einfache Hin und Her (nicht nur von Waren, sondern im Rahmen der Personenfreizügigkeit vor allem von Arbeitnehmern) wieder erschweren, könnte das den latenten Konflikt wieder zum Glimmen bringen.

Will man diese Grenze aber so offenhalten wie bisher im Binnenmarkt und in der Zollunion, dann bleiben nur zwei Optionen: die Grenze zur EU ist dann jene der Republik, oder die Grenze zur EU verläuft in der Irischen See. Im ersten Fall würde Irland gezwungen, seine EU-Mitgliedschaft mit Rücksicht auf die Londoner Wünsche einzuschränken (wie heute schon, denn Dublin ist dem Schengen-Abkommen nicht beigetreten). Im zweiten Fall wiederum wäre Nordirland sozusagen eine britische Zoll-Exklave und in der Hinsicht Teil der EU.

Austrittsminister David Davis hat die beiden Papiere mit dem Satz kommentiert, sein Land gehe mit einer „starken Position“ in die Verhandlungen. Odendahl dagegen sagt: „London hat erkannt, dass man Extrempositionen nicht halten kann und bewegt sich auf die EU zu.“ Ian Dunt, Chef des Portals „politics.co.uk“ und auf der Insel als scharfzüngiger Brexit-Kritiker bekannt, schreib über das Nordirland-Papier, es deute darauf hin, dass die Regierung keinen Plan habe, „außer die EU zu bitten, uns vor unseren eigenen Entscheidungen zu bewahren“.

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