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Viele Konzerne halten sich bislang raus, wenn es um digitale Gewalt geht.

© dpa/Andrea Warnecke

Gesetz gegen digitale Gewalt: Accountsperren sollen Hass im Netz deckeln

Das Bundesjustizministerium hat ein Eckpunktepapier vorgelegt. Ein Gesetz gegen digitale Gewalt ist bereits im Koalitionsvertrag verankert.

Diese Zeilen galten der Politikerin Sawsan Chebli (SPD): „Euer dreckiges Arabervolk sollten wir einfach im Mittelmeer abladen, am besten kippen wir noch ein paar Ziegen dazu bevor ihr Untermenschen alle elendig ersauft.“ Solche und ähnliche Nachrichten erhält sie nahezu täglich anonym online.

Chebli ist für viele Menschen im Netz eine Zielscheibe. Das gleiche gilt für die Grünen-Politikerin Renate Künast. Sie sei ein „Stück Scheisse“, „krank im Kopf, ein „altes grünes Drecksschwein“, „geisteskrank“, „gehirnamputiert“, „Sondermüll“, eine „alte perverse Dreckssau“ und eine „Drecks-Fotze“, musste sie auf Facebook über sich lesen.

Wer bislang gegen Hass im Netz vorgehen will, ist der Willkür der Anbieter ausgeliefert, die einen beleidigenden Nutzer vielleicht sperren, vielleicht aber auch nicht – ganz nach Gusto. Dem will die Bundesregierung mit einem Gesetz gegen digitale Gewalt nun entgegenwirken. Das Bundesjustizministerium (BMJ) stellte am Mittwoch ein Eckpunktepapier dazu vor.

Anonyme Hetz im Netz ist inzwischen Gang und Gäbe

Zeit wird es: Was Chebli und Künast erleben und erlebt haben, findet den Weg in die Öffentlichkeit. Die meisten Fälle von Hass im Netz bleiben jedoch unter dem Radar. Morddrohungen auf Twitter, Hasspostings auf Facebook und Co., anonyme Hetze - in sozialen Netzwerken ist all das trauriger Alltag.

Aus einer Forsa-Umfrage aus dem Jahr 2022, die die Landesmedienanstalt NRW in Auftrag gegeben hat, geht hervor, dass fast 78 Prozent der deutschen Internetnutzer:innen ab 14 Jahren schon einmal Hasskommentaren im Internet begegnet sind. Besonders im Alter zwischen 14 und 24 Jahren kennen nur wenige überhaupt ein Internet ohne Hass.

Der Anwendungsbereich ist zu eng. Unsere Realität sieht so aus, dass sich jemand an einer Frau Chebli, Frau Künast und Frau Roth abarbeitet und danach vielleicht noch einen Hasskommentar bei Louisa Dellert hinterlässt.

Josephine Ballon,  Leiterin der Rechtsabteilung der Organisation Hate Aid.

Mit dem Gesetz, dass sie noch aus dem Koalitionsvertrag schuldig ist, will die Ampel es Betroffenen von Rechtsverletzungen im digitalen Raum erleichtern, ihre Rechte durchzusetzen und weiteren Rechtsverletzungen vorzubeugen.

Eins der wichtigsten Werkzeuge soll dabei künftig die Möglichkeit von Account-Sperren sein. Diese ultima ratio soll bei „notorischen Rechtsverletzern“ im digitalen Raum“ besonders in solchen Fällen Anwendung finden, in denen nicht klar ist, wer hinter einem bestimmten Social-Media-Profil steckt.

Die Sperre muss „verhältnismäßig“ sein und nur bei „schwerwiegenden Persönlichkeitsverletzungen“ in Erwägung zu ziehen, heißt es in dem Eckpunktepapier. Was das genau bedeuten soll, steht da allerdings nicht. Für Benjamin Lück von der Gesellschaft für Freiheitsrechte, die derzeit an einem eigenen Gesetzentwurf arbeitet, ist das kritikwürdig.

Außen vor bleiben außerdem Beleidigungen gegen die Allgemeinheit. Ein Hakenzeug etwa, rassistische und misogyne Zeichen können nicht mit einer Sperre geahndet werden, wenn sie sich nicht gegen eine konkrete Person richten. Das halte ich für falsch.

Benjamin Lück, Gesellschaft für Freiheitsrechte.

Für Benjamin Lück von der Gesellschaft für Freiheitsrechte, die derzeit an einem eigenen Gesetzentwurf arbeitet, ist das kritikwürdig. „Ich lese da raus, dass ein Täter erst mehrfach ‚schwerwiegend‘ aktiv sein muss, damit eine Sperre in Betracht kommt“, sagte der Jurist im Gespräch mit dem Tagesspiegel.

„Außen vor bleiben außerdem  Volksverhetzungen und andere Straftaten gegen die Allgemeinheit. Ein Hakenkreuz etwa, antisemitische, rassistische und misogyne Inhalte können nicht mit einer Sperre geahndet werden, wenn sie sich nicht gegen eine konkrete Person richten. Das halte ich für falsch.“ Trotzdem ist er positiv überrascht. „Wir hatten mit weniger gerechnet, wir freuen uns, dass die Richtung stimmt.“ 

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„Auch Josephine Ballon, Leiterin der Rechtsabteilung der Organisation Hate Aid, einer Organisation, die Menschen unterstützt, die von digitaler Gewalt betroffen sind, hält die Sperren für einen zahnlosen Tiger: „Die Praxisrelevanz wird gen null gehen.“ Dass eine Sperre mit hohen Hürden einhergeht, findet sie zwar gut, bemängelt aber die bisher geplante Umsetzung.

78
Prozent der deutschen Internetnutzer:innen ab 14 Jahre sind schon einmal Hasskommentaren im Internet begegnet.

„Der Anwendungsbereich ist zu eng. Unsere Realität sieht so aus, dass sich jemand an einer Frau Chebli, Frau Künast und Frau Roth abarbeitet und danach vielleicht noch einen Hasskommentar bei Louisa Dellert hinterlässt. Und dagegen soll man dann nichts tun können?“

Einen Vorschlag des BMJ begrüßen sowohl Lück als auch Ballon einhellig: Organisationen wie HateAid aber auch Privatpersonen sollen sich künftig bei juristischen Auseinandersetzungen direkt an eine deutsche Adresse von Twitter, Facebook und Co wenden können, ohne den Umweg über die europäischen Hauptsitze der Konzerne in Dublin.

Grünen-Politikerin Renate Künast hatte mehrfach gegen Beleidigungen im Netz geklagt.

© dpa/Soeren Stache

Aus den BMJ-Eckpunkten geht außerdem hervor, dass künftig explizit Nutzungsdaten wie die IP-Adresse herausgegeben werden müssen. Das soll allerdings nur auf Anordnung eines Gerichts erfolgen. Damit die Gerichtskosten nicht abschreckend wirken, plant das BMJ sie für derlei Auskunftsverfahren zu erlassen.

Ballon hält das für zu kurz gedacht. „Schön und gut, aber die Anträge müssen beim Landgericht gestellt werden und hier gilt Anwaltszwang. Durch die sehr hohen Gegenstandswerte von mindestens 5.000,00 EUR sind die Kosten hierfür sehr hoch. Die Betroffenen zahlen außerdem nicht nur ihre eigene anwaltliche Vertretung, sondern auch die der Plattform. Das geht ins Geld. Das Kostenrisiko von mehreren hundert Euro ist für eine Privatperson viel zu hoch.“ 

Renate Künast ist froh, dass das Papier endlich an den Start kommt. Ihre Forderung: Die rechtlichen Instrumente im digitalen Raum müssten den Rechten und Werkzeugen in der analogen Welt entsprechen „Sie müssen mit den digitalen Kommunikationsformen mitwachsen, um überhaupt Wirkung entfalten zu können.“

Dass eine bestimmte Person mehrfach massiv attackiert werden müsse, bevor reagiert werden könne, halte sie für nicht ausreichend. „Es ignoriert auch die Wirkungsweisen und Methoden im Netz“, sagte sie dem Tagesspiegel. „Gut, dass die Beratungen nun beginnen, es bleibt aber noch viel zu tun.“

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