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Der südafrikanische Friedensnobelpreisträger Desmond Tutu wurde 90 Jahre alt.

© Mike Hutchings/Reuters

Update

Kämpfer gegen Apartheid in Südafrika: Friedensnobelpreisträger Desmond Tutu ist tot

Sein Kampf gegen die Apartheid machte ihn weltberühmt. Später erhielt der Ex-Erzbischof den Friedensnobelpreis. Der Südafrikaner wurde 90 Jahre alt.

Die Luft war eisig, als sich nach Einbruch der Dunkelheit mehr als 50.000 Menschen aus vielen Ländern im Orlando-Stadium des Johannesburger Townships Soweto einfanden. Es war dermaßen kalt, dass beim Auftaktkonzert der südafrikanischen Fußballweltmeisterschaft im April 2010 auch die Stimmung einzufrieren drohte.

Dann springt ein untersetzter Mann mit Pudelmütze und einem über den Wollpullover gezogenen Trikot der heimischen Nationalmannschaft auf die Bühne, er schwenkt zur Musik die Hüften und ruft „Juhu!“ ins Mikrophon. Gleich werde er die Namen der beiden Teams bekannt geben, die in vier Wochen ins Finale einziehen, scherzt der drollige Orator, den Eingeweihte als Erzbischof Desmond Tutu erkennen.

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Doch erst einmal wolle er alle in ihrer Heimat willkommen heißen: „Schließlich kommen wir alle aus Afrika.“ Dann bedankt sich der Redner noch bei der ganzen Welt dafür, dass „ihr uns dabei geholfen habt, aus einer hässlichen Raupe ein wunderschöner Schmetterling zu werden“. Die Menge antwortet im Sprechchor: „Tutu, Tutu, Tutu“. Als wäre der Gottesmann ein Fußballstar. 

Tutu inszenierte geschickt denkwürdige Ereignisse

Kaum jemand verstand es besser als Desmond Tutu, ein denkwürdiges Erlebnis zu inszenieren. Instinktiv fand der charismatische Kirchenmann den richtigen Ton und die passenden Worte, um einem Ereignis seine spirituelle Bedeutung zu entlocken.

Seine gläubigen Freunde sahen dabei den Heiligen Geist am Werk. So bei jener Kirchen-Konferenz in Johannesburg 1990, als die Frage in der Luft lag, ob sich die weiße Nederduitse Gereformeerde Kirche (NGK) endlich für ihre religiöse Verbrämung der Apartheid entschuldigen würde.

Als der NGK-Chef schließlich eine Erklärung verliest, die so etwas Ähnliches wie eine Entschuldigung enthält, springt Tutu auf und stimmt ein Lied an, in das alsbald auch alle anderen einstimmen. Wie sorgfältig die Apologeten der Rassentrennung ihre Entschuldigung auch immer zu verstecken suchten: Tutu wusste einen historischen Augenblick daraus zu machen.

Tutus Strafpredigten hatten es in sich

Auch Tutus Strafpredigten hatten es in sich. Er warf den Architekten der Apartheid Gotteslästerung vor und bezichtigte die neuen Machthaber vom Afrikanischen Nationalkongress (ANC), sich auch nicht besser als ihre verhassten Vorgänger zu verhalten. Selbst mit den homophoben Gläubigen der eigenen Kirche ging er ins Gericht. In ihren von aller Gleichgeschlechtlichkeit gesäuberten Himmel wolle er erst gar nicht aufgenommen werden, ließ er sie wissen.

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Seine Geistesblitze waren nicht immer zornig oder witzig, sie konnten auch tieftraurig sein. Wie im Dezember 1997, als ihm als Vorsitzender der Wahrheitskommission bei einer Anhörung Winnie Mandela gegenübersitzt. Unterkühlt sucht die Befreiungsheldin zu rechtfertigen, wie es Ende der 1980-er Jahre in Soweto zur Terror-Herrschaft ihres sogenannten Fußballclubs „Mandela United“ kommen konnte.

Tutu und Mandela waren sehr unterschiedlich

Als sie endet, sagt Tutu: „Ich rede jetzt als einer, der dich wirklich lieb hat. Ich flehe dich an, Du kannst deine menschliche Größe noch erheblich steigern, wenn Du jetzt sagst: ,Es tut mir leid, manches ging schief. Bitte vergebt mir'.“ Minutenlang schauen sich die beiden schweigend an, dann sagt Winnie fast tonlos: „Es ist wahr. Vieles lief schrecklich schief. Das tut mir wirklich leid.“ Nie zuvor und niemals wieder hatte sie solche Sätze sagen hören.

Während Winnie Mandela und Tutu in den turbulenten 1980-er Jahren bei zahllosen Protest- oder Trauerveranstaltungen gemeinsam auftraten, lernte der Erzbischof ihren Ehemann Nelson erst 1990 nach dessen Freilassung aus dem Gefängnis persönlich kennen.

Damals hatte die Geschichte die beiden untrennbar zu den beiden Protagonisten der südafrikanischen Befreiung gemacht – obwohl die beiden kaum unterschiedlicher hätten sein können. Hier der Respekt einflößende Hüne, der Politiker und Spross einer Königsfamilie: Nelson Mandela. Dort der Priester, Sohn eines Grundschullehrers und einer Putzfrau: Desmond Tutu.

Tutus moralischer Anker: die Würde des Menschen

Auch ideologisch trennten sie Welten. Mandela war einst Mitglied der Kommunistischen Partei, gründete den bewaffneten Flügel des ANC und wollte – im Himmel angekommen – nach seinen Worten zuallererst den dortigen ANC-Ortsverein aufsuchen. Dagegen blieb der Erzbischof zeitlebens Pazifist, gehörte keiner Partei an und meinte, sich nur vor seinem Gott verantworten zu müssen.

Tutu legte Wert auf die Feststellung, dass er die Rassentrennung „nicht aus politischen, sondern aus religiösen Gründen“ ablehnte: Deshalb vermochte er als Erster und lange Zeit Einziger auch mit der neuen ANC-Regierung schonungslos ins Gericht zu gehen. Sein moralischer Anker: die Würde des Menschen.

Tutu warf Israels Regierung Rassismus vor

Immer öfter meldete sich der „Arch“, wie ihn seine Freunde nannten, auch in der Welt-Arena zu Wort. Tutu warf Tony Blair und George W. Bush Lügen zur Rechtfertigung des Golfkriegs vor, geißelte die chinesische Regierung für die Unterdrückung der Tibeter und bezichtigte den simbabwischen Präsidenten Robert Mugabe, sein „wunderschönes Land“ ruiniert zu haben. Der erwiderte: „Der weiß doch nicht, wovon er redet, der kleine Mann.“

Mehrmals wagte sich Tutu auch ins Minenfeld des Nahen Ostens, wo er der israelischen Regierung ungeschminkten Rassismus wie einst den Apartheidherrschern vorwarf. Niemand wagte es, den Erzbischof deshalb als Antisemiten zu verunglimpfen.

Der Stolz, ein Afrikaner zu sein

Seine Auftritte wirkten spontan, waren jedoch kühl kalkuliert und wurden mit beachtlichem schauspielerischem Talent in Szene gesetzt. In Rhetorik hatte sich der Lehrersohn aus dem Provinzstädtchen Klerksdorp schon während der Schulzeit geübt. Sein darstellerisches Talent entfaltete er später im Priesterberuf.

Südafrikas Ex-Präsident Nelson Mandela und Desmond Tutu im Jahr 1994.
Südafrikas Ex-Präsident Nelson Mandela und Desmond Tutu im Jahr 1994.

© Desmond Boylan/Reuters

Tutu wollte Arzt werden, doch seine Eltern konnten das Medizinstudium nicht bezahlen. Stattdessen sicherte sich der Einser-Schüler ein Stipendium in der theologischen Fakultät des Londoner King’s College und erlebte in der britischen Hauptstadt, wie es sich anfühlt, wenn man wegen seiner Hautfarbe nicht automatisch als Mensch dritter Klasse behandelt wird.

Tutu wusste sich zu erhalten, was vielen seiner Landsleute im Apartheidstaat verloren ging: den Stolz, ein schwarzer Afrikaner zu sein. Zeitlebens stand der Befreiungstheologe auch der Black-Consciousness-Bewegung nahe.

Tutu verglich Steve Biko mit Christus

Als die Polizei deren südafrikanischen Vordenker Steve Biko 1976 ermordete, verglich ihn Tutu in seiner Grabrede mit Christus. Für die weißen Machthaber und ihre Gebetsbrüder von der Nederduitse Gereformeerde Kirche war das Gotteslästerung.

Allerdings wagten sie es nicht, mit dem weltberühmten Kirchenmann wie mit anderen Gegnern zu verfahren: ihn einzusperren oder gar umzubringen. Zur Einschüchterung ihres wortgewaltigen Gegners fiel den südafrikanischen Sicherheitspolizisten nichts anderes ein, als in einer Nacht im August 1989 im Garten seiner Kapstädter Residenz ein totes Affenembryo in einen Baum zu hängen.

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Als wenige Monate später die Herrschaft der Rassisten zu einem Ende konnte sich niemand so sehr wie der Erzbischof über das „Wunder vom Kap“ freuen, die verhältnismäßig unblutige Befreiung vom Joch der Apartheid. Er pflegte bei solchen Gelegenheiten die Arme in die Höhe zu werfen, die Augen aufzureißen und in schallendes Gelächter auszubrechen: „Ist es nicht wunderbar, dass wir nicht alle in einem Rassenkrieg ums Leben kamen?“

Umso größer die Enttäuschung, als aus der „Regenbogennation“ nichts werden wollte. Das bahnte sich bereits in den 1990-er Jahren nach seiner Berufung zum Vorsitzenden der Wahrheitskommission an, deren einzigartiges Konzept – Straffreiheit im Austausch für die Offenlegung der Wahrheit – zu einem weltweiten Vorbild der Versöhnung werden sollte. Doch die hehre Absicht scheiterte in Südafrika allein schon am Desinteresse einer Mehrheit der weißen Bevölkerung, die mit der Vergangenheit nichts mehr zu tun haben wollte.

Zu Mandelas Beerdigung nicht eingeladen

Immer wieder machte sich Tutu auch für eine Wohlstands-Steuer stark. Sie sollte den sich ständig ausdehnenden Graben zwischen schwarzen Armen und reichen Weißen zu überbrücken helfen. Doch weder die weiße Geschäftswelt noch die schwarze Polit-Elite zeigte Interesse an dem Vorschlag: Ersterer war die Sicherung ihres Wohlstands wichtiger, und Letztere suchten mit allen Mitteln möglichst schnell zu ähnlichem Wohlstand zu kommen.

Statt ein gerechtes Gemeinwesen aufzubauen, degenerierte die hehre Befreiungsbewegung Nelson Mandelas zu einer Mafia. Sie plünderte die Staatskasse und trieb die Staatsbetriebe in den Ruin.

Tutu zu Präsident Zuma: „Du bist schändlich“

Noch einmal erhob der Prophet, der in seinen letzten Jahren gegen eine Krebserkrankung seiner Prostata ankämpfte, im April 2016 seine zornige Stimme. Vor laufenden Kameras schleudert der Erzbischof dem ANC-Präsidenten Jacob Zuma an den Kopf: „Du bist schändlich. Du verhältst dich in totalem Widerspruch zu allem, wofür wir einst standen…Wie wir für die Niederlage der Apartheid-Regierung gebetet haben, werden wir bald für die Niederlage deiner ANC-Regierung beten. Ich warne dich. Pass auf.“

Damit war auch der letzte Rest der Sympathie zwischen dem ANC und Tutu aufgebraucht. Zur Beerdigung Nelson Mandelas wurde er vom ANC erst gar nicht eingeladen. Er ging trotzdem hin.

Afrikas älteste Befreiungsbewegung war selbst damit nicht auf ihrem Tiefpunkt angelangt. Während der Corona-Pandemie bereicherten sich die „Comrades“ selbst an öffentlichen Aufträgen für Schutzanzüge: In vielen Krankenhäusern setzten unterdessen Pflegekräfte ungeschützt ihr Leben aufs Spiel. Aus Tutus Kapstädter Alterssitz war zu dem Skandal kein Wort mehr zu vernehmen. Der Erzbischof hatte sich aus der Öffentlichkeit verabschiedet. Am ersten Weihnachtsfeiertag ist das Gewissen Südafrikas nun vollends verstummt. In einer Zeit, in der die Welt nichts dringender als ein Gewissen nötig hätte.

Johannes Dieterich

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