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Der Stützpunkt im türkischen Incirlik wäre ersetzbar, meint SWP-Wissenschaftler Rayk Hähnlein.

© dpa/ Falk Bärwald

Streit um Verbleib im türkischen Incirlik: Eine Verlegung des Bundeswehr-Kontingents nach Jordanien wäre möglich

Der Verbleib der Bundeswehr auf dem Stützpunkt im türkischen Incirlik ist umstritten. Sorgfältig geplant, wäre ein Betrieb auch von Jordanien aus möglich. Ein Gastbeitrag von Rayk Hähnlein.

Deutschland beteiligt sich von Incirlik aus am Kampf gegen den Islamischen Staat (IS). Es stellt etwa sechs Aufklärungstornados bereit. Im Streit um das Besuchsrecht deutscher Abgeordneter bei den im türkischen Incirlik stationierten Bundeswehrsoldaten ist eine Verlegung des Geschwaders denkbar. Möchte eine Regierung ein militärisches Geschwader im Ausland betreiben, stellt sie die eigenen Streitkräfte vor eine echte Herausforderung. Insbesondere in vier Bereichen sind zahlreiche Faktoren zu bedenken:

Die geographische Lage ist entscheidend

Die geographische Lage eines Militärflugplatzes ist eine wesentliche Voraussetzung für dessen Qualität. Wie lange dauert es, um von dort in den Einsatzraum zu gelangen? Welche Gebiete werden dabei überflogen und welcher Bedrohung sind die eigenen Flugzeuge dadurch ausgesetzt? Wie gut kann die Basis auf dem See- und Landweg erreicht werden und befinden sich größere Städte in der Nähe, aus denen heraus logistisch unterstützt werden kann? In all diesen Punkten sind die drei in Jordanien erkundeten Basen gegenüber Incirlik im Nachteil.

Die zwei nördlichen, die „Muwaffaq Salti“ und „Prinz Hassan“ Flugplätze sind immerhin nur 50 km voneinander aber dafür 100 („Muwaffaq Salti“) und 150 („Prinz Hassan“) Straßenkilometer von der Hauptstadt Amman entfernt. Von Incirlik bis in die Millionenstadt Adana sind es nur wenige Kilometer, der nächste Hafen ist nicht weit. Auch beträgt die Flugentfernung von den beiden Basen im jordanischen Norden bis zur syrischen IS-Hochburg Rakka etwa 500km und damit 150km mehr als von Incirlik. Bei der dritten jordanischen Basis, „Al Jafr“ im Süden, kommen nochmal 150km hinzu.

Die Versorgung muss Teil sorgfältiger Planung sein

Im Jahr 2016 haben die sechs deutschen Tornados pro Monat bei 172 Gesamtflugstunden etwa 636t Kerosin, das deutsche Tankflugzeug bei 116 Stunden etwa 580t Sprit verbraucht. Addiert man noch die 22t Kerosin hinzu, die der Tanker auf jedem seiner 23 monatlichen Flüge an andere Jets abgegeben hat, so kommt man auf einen Geschwader-Verbrauch von 1722t Treibstoff pro Monat. Was nach viel klingt ist verglichen mit zivilen Flugplätzen eher gering und die nötigen Kapazitäten oder Lieferketten sollten auch auf den jordanischen Plätzen möglich sein.

Neben dem Treibstoff und Schmierstoffen müssen noch vier weitere Versorgungsklassen, von Nahrungsmitteln über allgemeine Ausrüstung und Fahrzeuge, bis hin zu Munition und Explosivmitteln bereitgestellt werden. Insbesondere der regelmäßig erforderliche Austausch der (Selbstverteidigungs-)Munition und die VISA Modalitäten erfordern eine zuverlässige Zollzusammenarbeit, die unter NATO Staaten mit dem Truppenstatut bereits geklärt ist und mit Jordanien gut verabredet werden müsste. Vieles, was vor Ort gebraucht wird, kann sowohl in der Türkei als auch in Jordanien durch zivile Vertragspartner bereitgestellt werden. Diese kümmern sich häufig um die Verpflegung, Wäscherei, Abfallentsorgung und anderes. Aber dass sie auch wirklich verlässlich bereitstehen, muss Teil sorgfältiger Planung sein.

Infrastruktur: Die Präsenz der USA ist von Vorteil

Die sieben in Incirlik eingesetzten Flugzeuge benötigen Stellfläche, ebenso die Versorgungsflugzeuge, in der Regel Antonov AN-124, auf welche die Luftwaffe setzt. Wartungszelte oder Hangars sind für die Tornados unerlässlich. Gesicherte Bereiche für die Operations- und Auswertezentrale, den Geschwaderstab, die Munition, die Treibstoffe und den flüssigen Sauerstoff müssen zur Verfügung stehen. Soldaten brauchen Unterkunftscontainer oder Hotelzimmer, Sanitär-, Verpflegungs- und Sozialbereiche ebenso, wie eine ausreichende Stromversorgung, die im Zweifel auch über Notstromaggregate abgedeckt werden muss.

Eine funktionierende Sanitätsstation gehört genauso zu den Notwendigkeiten, wie sichere Kommunikationsmöglichkeiten, Satellitenanbindungen und ein gut funktionierender Kontrolltower.

Kaum ein Flugplatz hält all das vor, was nötig ist, um einen Verband wie das deutsche Geschwader von jetzt auf gleich aufnehmen zu können. Allerdings ist es ein großer Vorteil, dass auf allen drei jordanischen Plätzen bereits Amerikaner operieren, von „Muwaffaq Salti“ aus sogar mit zahlreichen unterschiedlichen Flugmustern. Die Deutschen könnten bei der Versorgung und der Infrastruktur nicht nur auf den „Host Nation Support“ (HNS), also die Jordanier sondern auch auf die US-Partner bauen.

Auch die Sicherheit ist durch die USA bereits gewährleistet

Incirlik befindet sich auf dem Territorium eines NATO Mitgliedsstaates und ist durch die Türkei gut geschützt. Dies kann, je nach Lage des Flugplatzes auch ganz anders aussehen und im Zweifel eigene Objektschutzkräfte erforderlich machen. In Jordanien ist die Sicherheit bereits durch die Jordanier und Amerikaner gewährleistet. Auch beim Brandschutz, einem weiteren neuralgischen Punkt, werden die Deutschen, auch das wie in Incirlik, wohl auf die Partner setzen können.

Auch von Jordanien aus lässt sich operieren

Die vier Handlungsfelder machen auszugsweise deutlich, was dazu gehört, ein Geschwader zu betreiben und das auch dessen Verlegung keine Angelegenheit von wenigen Tagen ist. Bei all den Herausforderungen, die sich aus einer möglichen Verlegung ergeben, lassen sich aber schon heute zwei positive Erkenntnisse ableiten:

In Incirlik kooperiert die Bundeswehr insbesondere mit den USA sehr eng zusammen. Dies wäre wohl auch in Jordanien der Fall. Auch sind die Jordanier ebenfalls Partner in der Anti-IS Allianz und einer deutschen Verlegung gegenüber positiv eingestellt. Sie würden den ihnen möglichen Teil zum HNS und zur Unterstützung durch zivile Dienstleister beitragen.  

Ja, die jordanischen Basen sind insbesondere geographisch gegenüber Incirlik im Nachteil. Aber: Zwei der drei dort erkundeten Basen befinden sich ausreichend dicht am Haupteinsatzgebiet. Im Gegenzug zu „Prinz Hassan“ verfügt die „Muwaffaq Salti“ Base sogar über zwei Start- und Landeflächen, was ein großer operativer Vorteil ist, wenn man eine hohe Dichte von Lufteinsätzen fliegen will. Neben den Amerikanern haben und hatten auch andere Anti-IS Koalitionäre hier Kampfflugzeuge stationiert. Lassen sich die Infrastruktur- und Versorgungsanforderungen der Deutschen erfüllen, wird man zu dem Schluss kommen, dass auch von Jordanien aus deutsche Flüge möglich sind. An dem hohen Aufwand, den eine Verlegung bedeuten würde ändert das natürlich nichts.     

Rayk Hähnlein ist Wissenschaftler der Stiftung Wissenschaft und Politik in Fragen. Sein Themenschwerpunkt ist die Militär- und Sicherheitspolitik.

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