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Sahra Wagenknecht führt seit Herbst 2015 die Linksfraktion im Duo mit Dietmar Bartsch.

© Bernd von Jutrczenka/dpa

Die SPD und ihr Kanzlerkandidat: Die Linke vermisst das sozialdemokratische Element

Mit Martin Schulz neue Chancen für Rot-Rot-Grün? So richtig glaubt die Linke nicht daran. Und Sahra Wagenknecht macht selbst Probleme.

Von Matthias Meisner

"Ich will da jetzt nicht Türen zuschlagen, bevor er überhaupt gewählt ist", sagt Linksfraktionschefin Sahra Wagenknecht über den designierten SPD-Kanzlerkandidaten und Parteivorsitzenden Martin Schulz. "Aber ausgeprägt optimistisch bin ich jetzt nicht."

Es ist Mittwoch, Tag eins nach der für viele überraschenden Personalrochade bei den Sozialdemokraten - und die Linkspartei macht sich wenig Hoffnung, dass es mit dem bisherigen Europapolitiker Schulz leichter wird, eine rot-rot-grüne Regierung zu bilden, nachdem sich bereits der bisherige SPD-Parteichef Sigmar Gabriel in dieser Frage nie so richtig festlegen ließ.

Linke-Bundeschefin Katja Kipping sagt: "Ob Martin Schulz ein Zeichen für einen fortschrittlichen Politikwechsel wird, ist unbestimmt." Und der Bundesgeschäftsführer der Linkspartei, Matthias Höhn, kommentiert: "Gabriel oder Schulz, das mag für manche spannend sein." Entscheidend sei aber, welche Inhalte die SPD in den nächsten Jahren umsetzen wolle. "Und das ist nach wie vor völlig unklar."

Wagenknecht setzt noch eine Portion Skepsis drauf. Sie habe die "große Sorge", dass es mit Schulz zwar ein neues Gesicht, aber keine neue inhaltliche Ausrichtung gebe. Der bisherige Präsident des Europäischen Parlaments sei inhaltlich "sehr nahe bei dem, was Gabriel verkörpert hat", definitiv "kein Agenda-Kritiker". Ein "Bruch mit der bisherigen Politik" sei von ihm nicht zu erwarten. Überhaupt sei unter dem Führungspersonal der SPD "kaum noch jemand, der für klassische sozialdemokratische Politik steht".

Wagenknecht schlägt den Sozialdemokraten vor, doch konkret unter Beweis zu stellen, dass sie Interesse an inhaltlicher Veränderung hätten. Noch in der laufenden Legislaturperiode könnten SPD, Grünen und Linke mit ihrer noch vorhandenen Mehrheit beispielsweise für ein Zurück zur paritätischen Krankenversicherung oder Änderungen bei der Kapitalertragssteuer zu stimmen. Einen Lagerwahlkampf schließt die Linksfraktionschefin aus, "weil es kein linkes Lager mehr gibt".

Wagenknecht selbst gilt für r2g als Problem

Wagenknecht selbst gilt - auch in denen eigenen Reihen - als Erschwernis für eine rot-rot-grüne Regierung (r2g) im Bund. Missverständliche Äußerungen zur AfD hatten ebenso für Empörung gesorgt wie ihre Kritik an der Entscheidung von Kanzlerin Angela Merkel, im Herbst 2015 die in Ungarn gestrandeten Flüchtlinge ins Land zu lassen. Als weiteres Hemmsignal für r2g gilt der Fehlstart der rot-rot-grünen Landesregierung in Berlin, ausgelöst durch den Streit um die Berufung des stasibelasteten Andrej Holm zum Bau-Staatssekretär.

Erst am Wochenende hatte die Linksfraktionschefin die innerparteilichen Debatten um ihre Person erneut mit Aussagen zur Flüchtlingspolitik angeheizt. Sie gab dem "Neuen Deutschland" ein Interview. Sie sagte: "In einem Land, das seit Jahren bei Renten und sozialen Leistungen kürzt, reagieren viele Betroffene natürlich mit Abwehr, wenn sie merken, dass für andere plötzlich Geld da ist".

Die Angst, dass alle Armen der Welt nach Deutschland kommen, sei doch da, erklärte Wagenknecht: "Nicht bei den Wohlhabenden. Aber bei Menschen, die in den Vierteln leben, in denen auch Flüchtlinge nach Wohnungen suchen. Bei denen, die einfache und schon heute viel zu schlecht bezahlte Jobs machen." Natürlich dürfe Die Linke keine Ressentiments schüren. Aber: "Wer das Ansprechen der Probleme den Rechten überlässt, macht sie immer stärker."

Es sei "widerlich", wenn sie von AfD-Politikern gelobt werde, sagte Wagenknecht dem der Partei nahe stehenden Blatt. "Was mich mehr ärgert, sind böswillige Unterstellungen aus den eigenen Reihen", beklagte sie sich. Kurz nach Erscheinen des Interviews twitterte ihr Amtsvorgänger Gregor Gysi, ein bekennender Rot-Rot-Grün-Anhänger: "Wenn Linke nur an der Seite deutscher Schwacher stehen, sind sie nicht links - gegebenenfalls sogar sehr rechts."

Zusammengefasst: Die Aussichten für Rot-Rot-Grün nach der Bundestagswahl sind schlecht. Auch die Berufung der beiden Realo-Politiker Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir als Spitzenteam der Grünen gelten hier als Problem. Ein führender Linken-Landespolitiker aus der Berliner Koalition sagt: "Wer Kanzlerkandidat der SPD wird, ist eine varietistische Frage. Die politische lautet, wie sie 25 plus x erreicht und neue linke Mehrheiten möglich macht." Immerhin in diesem Punkt traut die Linke Martin Schulz etwas zu.

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