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Ein zerstörter Lebensmittelladen im östlichen Kostjantyniwka.

© AFP/ANATOLII STEPANOV

Update

Deutsche Unternehmen skeptisch: So will die Bundesregierung einen Wirtschaftsboom in der Ukraine auslösen 

Das Kabinett hat einen Aktionsplan beschlossen, um die Wirtschaft beim Wiederaufbau der Ukraine ins Boot zu holen. Es geht auch um eine Förderbank nach deutschem Vorbild.

Die Zerstörung der Ukraine nimmt mit jedem Kriegstag größere Ausmaße an. Russland überzieht besonders Charkiw im Osten des Landes in diesen Tagen mit beispiellosem Raketenterror.

Nach Ansicht von Militärexperten will Russland die Millionenmetropole unbewohnbar machen. Unverdrossen wird schon jetzt mit internationaler Hilfe aufgebaut, was wieder aufgebaut werden kann – im großen Stil kann das aber natürlich erst nach Kriegsende geschehen.

Die Kosten für den Wiederaufbau schätzt die Weltbank aktuell schon auf rund 453 Milliarden Euro. Die Hilfsangebote der internationalen Gemeinschaft erscheinen dem gegenüber noch spärlich. Das mit Abstand größte Paket kommt bisher von der Europäischen Union. Im Februar einigten sich die Mitgliedstaaten darauf, der Ukraine bis 2027 insgesamt 50 Milliarden Euro für den Wiederaufbau bereitzustellen.

Konferenz zum Wiederaufbau in Berlin

Nicht nur steht die Ukraine militärisch unter Druck, dem Land fehlt momentan auch eine attraktive Perspektive für die Nachkriegszeit. Auch wenn längst nicht klar ist, wann diese beginnt, findet am 11. und 12. Juni in Berlin die bereits dritte Wiederaufbaukonferenz statt – auf Einladung von Kanzler Olaf Scholz und Wolodymyr Selenskyj, dem Präsidenten der Ukraine. Die Bundesregierung als Ausrichterin hätte ein Problem, wenn von dort keine positiven Signale ausgingen.

Das ist Teil der langfristigen Unterstützung der Ukraine, wie sie im Februar beim Besuch Selenskyjs in einem bilateralen Abkommen festgeschrieben wurde. Es geht aber auch darum, den Steuerzahlern in Deutschland und anderen westlichen Staaten nicht den gesamten Bedarf aufzubürden, den die Weltbank errechnet hat.

„Diese enorme Summe wird nicht von öffentlichen Haushalten allein aufgebracht werden können“, sagt Svenja Schulze (SPD), die Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. „Deshalb ist es wichtig, dass private Unternehmen sich stärker am Wiederaufbau und der Modernisierung der Ukraine beteiligen können.“

Ein Aktionsplan, der an diesem Mittwoch vom Bundeskabinett verabschiedet worden ist, soll die Wirtschaft mit 15 einzelnen Maßnahmen ins Boot holen. Manche davon sollen einfach „als Zielvorgabe für die Ukraine Recovery Conference 2024 in Berlin dienen“, wie es aus Schulzes Ministerium heißt.

40.000
Betriebe hat der Business Development Fund seit dem russischen Überfall auf die Ukraine vor der Pleite bewahrt.

Außerdem gehe es um „ein besseres Zusammenwirken“ bereits bestehender Instrumente der Außenwirtschaftsförderung und Entwicklungszusammenarbeit sowie deren Einbindung in internationale Förderprogramme. Das soll im Rahmen der EU, aber auch unter den G7-Staaten geschehen.

Ziel der Berliner Konferenz im Juni soll dementsprechend sein, „eine Einigung über die zentralen Instrumente herzustellen, die notwendig sind, um private Mittel für den Wiederaufbau in der Ukraine zu generieren“, wie es in dem am Mittwoch vom Kabinett verabschiedeten Eckpunktepapier heißt.

Darin ist zudem die Rede davon, dass sich die Bundesregierung sich weiter dafür einsetzen will, dass Zinsgewinne aus sanktionierten russischen Vermögenswerten in den Wiederaufbau der Ukraine fließen. Beschränkungen im Devisenverkehr sollen fallen. Des Weiteren will man auch „gezielt auf die Mobilisierung von privaten Stiftungen und Spendeninitiativen hinarbeiten“.

Die deutsche Wirtschaft soll gelockt, die ukrainische gestärkt werden. Das konkreteste Vorhaben in diesem Zusammenhang ist eine Förderbank. „In Deutschland haben wir sehr gute Erfahrungen mit der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) gemacht, ein Wegbereiter des Wirtschaftswunders in den 1950er und 1960er Jahren“, erklärt Schulze.

Sie hat die KfW bereits beauftragt, die Idee mit der ukrainischen Seite voranzutreiben. Eine Art Vorläufer gibt es mit dem von Deutschland geförderten Business Development Fund bereits, der seit dem russischen Überfall auf das Land 40.000 kleine und mittlere Betriebe vor der Pleite bewahrt hat - mit Zuschüssen wurden beispielsweise landwirtschaftliche Flächen von Minen befreit.

Die Unionsfraktion dagegen bezeichnet das Eckpunktepapier der Ampel als potenzielle „Luftnummer“. Ihr entwicklungspolitischer Sprecher Volkmar Klein verweist auf die geplanten Kürzungen im Entwicklungshaushalt, wodurch es eher weniger staatliche Anreize für private Investitionen geben könne: „Gute Vorsätze statt konkreter Ankündigungen prägen das Konzept der Bundesregierung.“

Wirtschaft ist skeptisch

Auch die ukrainische Regierung will die Berliner Wiederaufbaukonferenz nutzen, um private Investoren anzulocken. „Wir möchten, dass die Wirtschaft wieder mehr in Gang kommt, um unsere Abhängigkeit von der internationalen Gemeinschaft zu verringern“, sagte Vize-Wiederaufbauministerin Oleksandra Azarkhina Anfang März auf einer Vorbereitungskonferenz des Bauministeriums. „Zur Not werden wir eine Fabrik dafür auch fünf Mal wieder aufbauen, wenn die Russen sie zerstören.“

Doch die Bedenken in der deutschen Wirtschaft sind groß. „In der Ukraine siedeln sich aktuell nur wenige neue Unternehmen an. Das hängt mit der Sicherheitslage vor Ort, aber auch mit verfügbaren Finanzierungslösungen zusammen“, sagt Stefan Kägebein vom Ostausschuss der Deutschen Wirtschaft dem Tagesspiegel.

170
Millionen Euro – in dieser Höhe sicherte die Bundesregierung 2023 Investitionen deutscher Unternehmen in der Ukraine ab.

Da ein mittel- bis langfristiges Geschäft in der Ukraine nicht gesichert ist, bekommen Unternehmen derzeit kaum Kredite von Banken – ohne eine staatliche Absicherung. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hat darauf bereits reagiert. Trotz des Krieges stellt das Wirtschaftsministerium Investitionsgarantien für die Ukraine seit April 2023 weitgehend ohne zusätzlichen bürokratischen Aufwand zur Verfügung. Eine zusätzliche Erleichterung kündigte die Bundesregierung am Mittwoch an: So kann der Eigenanteil der Unternehmen im Schadensfall von aktuell fünf auf 2,5 Prozent gesenkt werden.

Schon im vergangenen Jahr nahmen die Unternehmen entsprechende Garantien der Bundesregierung im Wert von 170 Millionen Euro in Anspruch. Insbesondere Firmen, die bereits vor dem Krieg in der Ukraine aktiv waren, investierten weiter, sagt Kägebein. „Es gibt keine große Abwanderungswelle.“

Wer profitiert von europäischem Steuergeld?

Besonders gefordert beim Wiederaufbau ist die Bauindustrie. Deutsche Unternehmen planen allerdings derzeit kein stärkeres Engagement in der Ukraine. „Sofern der Krieg beendet wäre, käme eine Beteiligung an Projekten zum Wiederaufbau der Ukraine schon in Betracht“, teilt das deutsch-österreichische Unternehmen Strabag auf Anfrage mit.

Mehr Investitionen der Bauindustrie verhindern auch Compliance-Sorgen. Vor dem Krieg galt der Sektor der ukrainischen Wirtschaft als besonders korruptionsanfällig. Der Hauptverband der deutschen Bauindustrie kritisiert, dass die EU-Kommission der Ukraine 50 Milliarden Euro für den Wiederaufbau zur Verfügung stellt, ohne auf europäische Vergabestandards zu beharren.

„Soweit EU-Steuergelder in konkrete Wiederaufbau-Projekte fließen, hätte die Ukraine-Fazilität eine Lieferbindung an europäische Firmen beinhalten und auch auf die EU-Regeln für die Vergabe öffentlicher Aufträge verweisen müssen“, sagt Hauptgeschäftsführer Tim-Oliver Müller dem Tagesspiegel.

Ohne eine „Buy European“-Klausel, so die Befürchtung in Branchenkreisen, könnten von dem europäischen Geld vor allem chinesische und türkische Baufirmen profitieren.

Der Wirtschaftsminister gibt sich dennoch zuversichtlich, dass der Aktionsplan die Skepsis überwinden hilft. Man habe die Förderinstrumente, so Habeck am Mittwoch„ „auf die Geschäftsbeziehungen zwischen deutschen mit ukrainischen Unternehmen zugeschnitten und dafür gesorgt, dass sie auch unter diesen Bedingungen zur Wirkung kommen“.

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