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Mit Kapuze und Schirm versucht sich der Zeuge Enrico T. den Kameras zu entziehen.

© dpa

NSU-Prozess - 108. Tag: Der dubiose Freund mit dem Schießkugelschreiber

Im NSU-Prozess wird ein Zeuge befragt, der bei der Beschaffung der Mordwaffe den entscheidenden Kontakt hergestellt haben soll. Doch Enrico T. liefert sich mit Richter Götzl ein zähes Ringen.

Von Frank Jansen

Der Mann war mutmaßlich eine wichtige Figur bei der Beschaffung der Mordwaffe. Enrico T. hat, so sieht es die Bundesanwaltschaft, den Kontakt vermittelt, der zur Weitergabe der Pistole Ceska 83 von der Schweiz nach Jena und anschließend zur Terrorzelle NSU führte. Mit der Waffe erschossen die NSU-Mörder Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt von 2000 bis 2006 neun Migranten türkischer und griechischer Herkunft. Enrico T. war vermutlich eine Art Bindeglied zwischen Jena und der Schweiz, somit ist er ein potenziell wichtiger Zeuge im NSU-Prozess. Doch sein Auftritt am Montag im Oberlandesgericht München ist eine Qual.

Der Mann mit dem schütteren Vollbart redet leise und gibt von seinem Wissen nur Häppchen preis. Doch der Vorsitzende Richter Manfred Götzl wird erneut seinem Ruf gerecht, ein besonders hartnäckiger Jurist zu sein. Aber Enrico T. ist stur. Mit der Ceska 83 will er gar nichts zu tun gehabt haben. Doch auf Götzls Fragen hin nennt der Zeuge interessante Namen.

Schießkugelschreiber und Maschinenpsitole

Er kannte Uwe Böhnhardt von der gemeinsamen Schulzeit in Jena, es soll allerdings Streit gegeben haben. Und Enrico T. erwähnt den Schweizer Hans-Ulrich M., der im Jahr 1996 die Ceska 83 in seiner Heimat über einen Landsmann erworben hatte. Hans-Ulrich M. hat einige Jahre in Deutschland gelebt und in Thüringen einen Handel mit Ersatzteilen für Autos betrieben. Der erheblich jüngere Enrico T. biederte sich an. Der Schweizer „könnte fast mein Vater sein“, sagt er, „ich bin dem auf dem Sack gegangen, weil ich immer was brauchte“. Hans-Ulrich M. ließ sich darauf ein. Aus Sicht der Bundesanwaltschaft nicht nur wegen der gemeinsamen Neigung zur Bastelei an Autos. Auch das Interesse an Waffen könnte die Männerfreundschaft gefestigt haben. Die Polizei stellte 2004 bei Enrico T. einen Schießkugelschreiber sicher, der von Hans-Ulrich M. stammen soll. Laut Anklageschrift soll Enrico T. in den 1990er Jahren auch eine Maschinenpistole, ein Gewehr und weitere Waffen besessen haben. Jedenfalls könnte der Zeuge der richtige Mann gewesen sein, als einer seiner Kumpel aus Jena offenbar eine Waffe besorgen wollte. Mutmaßlich mit Schalldämpfer und Munition.

Der Weg der Waffe: Von Tschechien über die Schweiz nach Jena

Und so soll der Handel laut Bundesanwaltschaft abgelaufen sein: Die untergetauchten Neonazis Mundlos und Böhnhardt bestellen Ende 1999 oder Anfang 2000 bei Unterstützern in Jena eine Waffe mit Schalldämpfer. Die Angeklagten Ralf Wohlleben und Carsten S. erkundigen sich im Jenaer Szeneladen „Madley“ bei dem Mitarbeiter Andreas S., ob er was beschaffen könne. Andreas S. fragt Jürgen L., einen Freund von Enrico T. Der wendet sich an Hans-Ulrich M. Und der Schweizer kann liefern.

Allerdings kein deutsches Fabrikat, wie es Mundlos und Böhnhardt haben wollten, sondern die Pistole Ceska 83. Hergestellt in Tschechien und 1993 exportiert von der Firma Luxik zum Schweizer Waffengeschäft Schläfli und Zbinden in Bern. Dort kauft der Schweizer Peter G. im April 1996 die Pistole. Im Auftrag von Hans-Ulrich M.

Die Polizei sah zunächst keine Verbindung

Enrico T. will von alldem keine Ahnung haben. Er betont, bei M. nie Waffen gesehen zu haben. Doch Richter Götzl bohrt. Der Zeuge sagt dann, er habe sich mit Hans-Ulrich M. vermutlich 2009 mal darüber unterhalten, dass auf Fahndungsplakaten an deutschen Bahnhöfen „zu den so genannten Dönermorden“ Waffen zu sehen waren – und eine „wahnsinnig hohe Belohnung“ für Hinweise ausgelobt war. Hans-Ulrich M. habe ihm dann erzählt, es habe deshalb Hausdurchsuchungen in der Schweiz gegeben. Die deutsche Polizei hatte um Hilfe gebeten. Bei der Serie von Morden an türkischstämmigen Migranten hatten die Ermittler bald herausgefunden, dass die Waffe immer dieselbe war: eine aus der Schweiz gelieferte Ceska 83.

Eine Verbindung von Hans-Ulrich M. und seines Landsmanns Peter G. zu den Verbrechen konnte die Polizei jedoch nicht erkennen. Erst nach dem Ende des NSU im November 2011 gelang es, Puzzlestücke zusammenzufügen. Und es wurde für einige Zeit ungemütlich für Hans-Ulrich M. und Enrico T. Der Schweizer kam in seinem Heimatland in Untersuchungshaft, allerdings auch bald wieder frei. Bei Enrico T. rückte 2012 in seiner Wohnung in Hessen ein SEK an. „Die haben meine Tür eingetreten“, mault er. Doch weder ihm noch M. war eine gezielte Weitergabe der Waffe für die Morde des NSU nachzuweisen. Der Ceska-Deal an sich wäre verjährt.

Einer schweigt, einer gesteht

Anders als bei Ralf Wohlleben und Carsten S. Ihnen hält die Bundesanwaltschaft vor, die Ceska 83 im Wissen um verbrecherische Absichten von Mundlos und Böhnhardt beschafft zu haben. Beiden Angeklagten wirft die Bundesanwaltschaft Beihilfe zu neun Morden vor. Der Ex-NPD-Funktionär Wohlleben schweigt, Carsten S. hat ein Geständnis abgelegt. Er beteuert allerdings, der Schalldämpfer sei bei der Lieferung zufällig dabei gewesen. Ein Schalldämpfer ist ein gravierendes Indiz für die Absicht, möglichst lautlos zu töten.

Enrico T. druckst und druckst. Doch dass er sich kaum daran erinnern kann, was er mit Hans-Ulrich M. in Sachen Ceska besprochen hat, auch nach dem Auffliegen des NSU, kann Richter Götzl nicht nachvollziehen. Zumal Enrico T. beiläufig einen noch nicht lange zurückliegenden Thailand-Urlaub mit M. erwähnt. Götzl, über die zwielichtige Vergangenheit des Zeugen informiert, macht Druck. Er fragt T., ob er schon mal wegen einer Falschaussage verurteilt worden sei. Leise Antwort: „ja“. Aber wann das gewesen sein soll, weiß T. angeblich auch nicht mehr genau. Vielleicht sei es acht Jahre her. So ist auch der 108. Tag im NSU-Prozess wieder einer, an dem ein Zeuge mit mutmaßlichem Kontakt zum Umfeld der Terrorzelle offenkundig mauert. Über Stunden hinweg.

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