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Wahlrechtsreform bedeutet: Wie füllt man künftig diese Sitze? 

© AFP/Tobias Schwarz

Der Bundestag und die Wahlrechtsreform: Kein Mut zu echtem Wandel

Es wird wohl nicht der letzte Reformanlauf sein. Ampel und Opposition haben die Chance verpasst, ein wirklich besseres Wahlsystem zu schaffen.

Ein Kommentar von Albert Funk

Bei der Wahlrechtsreform gibt es immerhin in einem Punkt Einigkeit im Bundestag: Man übersieht geflissentlich, dass das bestehende System der personalisierten Verhältniswahl nicht reformierbar ist, ohne zu wunderlichen Ergebnissen zu kommen. Jeder Versuch, es zu verbessern, hat bisher zu Unmut, Erstaunen und auch Amüsement geführt.

Die Wahrscheinlichkeit, dass auch der Reformanlauf, der an diesem Freitag im Parlament beginnt, nicht der letzte sein wird, ist zumindest nicht gering. Drei Vorschläge stehen zur Debatte: der Ampel-Gesetzentwurf, ein ganz ähnlicher der AfD sowie ein ergänzender Antrag der Union. Gemeinsam ist ihnen, dass sie wieder zu keinem echten Systemwechsel führen, sondern das fruchtlose Herumdoktern am Hergebrachten fortsetzen.

Nach der Einstufung des Bundesverfassungsgerichts hat das seit 1949 angewendete Wahlsystem den „Grundcharakter“ einer Verhältniswahl. Die spezifische Verbindung mit der Mehrheitswahl in Wahlkreisen führt aber zu jenen Überhängen, die den Proporz verzerren können und damit eben jenem Grundcharakter widersprechen.

Bisher Ausgleich, jetzt Kappung

Die letzte Lösung lautete, über Ausgleichsmandate das proportionale Stimmenverhältnis der Parteien wieder herzustellen, was aber zu überdimensionierten Parlamentsgrößen führt – derzeit sind es 736 Abgeordnete bei einer „Normalgröße“ von 598. Der Ampel-Entwurf geht nun praktisch in die andere Richtung und teilt bei Überhangsituation Direktmandate, die auf Mehrheitswahl basieren, so lange nicht zu, bis der Proporz hergestellt ist.

Dass der Entwurf in sich widersprüchlich ist (was sich beim Festhalten an dieser Version der personalisierten Verhältniswahl kaum vermeiden lässt), ließe sich im parlamentarischen Verfahren noch etwas glätten. Er könnte dann, sollte die Unionsfraktion wie angedeutet in Karlsruhe klagen, vom Gericht entsprechend begutachtet werden.

Doch droht eine andere Möglichkeit. Ampel und Union wollen vielleicht noch einmal miteinander reden. Eventuell lässt sich der eine oder andere Aspekt des CDU/CSU-Vorschlags integrieren.

Der läuft darauf hinaus, es noch detaillierter mit dem Drehen an den Stellschräubchen des geltenden Wahlsystems zu versuchen, das schon bisher zu keinem ordentlichen Ergebnis geführt hat. Wie auch, wenn Herumoperieren am Kernproblem nichts ändert – eben der unguten Verbindung von Verhältnis- und Mehrheitswahl.

Was immer herauskommen wird, man muss damit rechnen, dass das Ergebnis wieder nicht lange hält. Schon vor der letzten Reform wollte man im Bundestag nicht hören, zu welch absurden Sitzzahlen sie führen würde. Aber die stellten sich ein (und es hätten 2021 auch leicht noch einige Dutzend Hinterbänkler mehr werden können).

Was nun beim Nichtzuteilen von Mandaten an Wahlkreissieger an Wunderlichkeiten herauskommt, wenn die Ampel ihr Modell umsetzt, ist letztlich auch unwägbar. Es ist zweifellos die bessere Lösung verglichen mit dem Status quo, und erst recht im Vergleich mit dem Lieblingsmodell vieler in der Union, dem Grabenwahlsystem. Richtig ist auch: Eine ideale Lösung gibt es beim Wahlrecht nicht, alle Systeme haben ihre Macken. Aber bei der Suche nach einer besseren Lösung als der, die nun zur Debatte steht, hätte es noch einigen Spielraum gegeben.

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