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Verlockung zum Missbrauch. Im Pflegesystem fehlt es an Transparenz.

© dpa

Pflegebetrug durch fehlende Transparenz: „Das verlockt zum Missbrauch“

Der Pflegebetrug in Milliardenhöhe kommt nicht ungefähr, meint der Chef der Pflegekontrolleure vom Medizinischen Dienst der Krankenkassen, Peter Pick. Der Gesetzgeber müsse dringend Schlupflöcher schließen.

Herr Pick, worauf führen Sie die enorme Zahl an Betrugsfällen in der Pflege zurück?

Wer Pflegeleistungen beantragt, geht davon aus, gut versorgt zu werden. Er begibt sich aber, indem er Leistungen einkauft, auch auf einen Markt. Dort trifft er auf Anbieter, die Geld verdienen wollen. Und in einem System, wo die Abrechnung direkt mit den Versicherern erfolgt und die Pflegebedürftigen damit nichts zu tun haben, gibt es weniger Transparenz als auf anderen Märkten. Das verlockt auch zum Missbrauch.

Bei dem geschätzten Schaden – mehr als eine Milliarde Euro – hat man den Eindruck, dass solcher Missbrauch an der Tagesordnung ist...

Falschabrechnung ist kein Kavaliersdelikt. Bisher haben wir jedoch, was den Umfang der Betrügereien betrifft, noch keine Klarheit. Was wir wissen ist, dass es falsche Abrechnungen gibt. Und dabei wird aus unserer Sicht momentan zu wenig differenziert. Handelt es sich um versehentliche Falschabrechnung, um systematische Falschabrechnung, um organisierten Betrug? Das muss man sauber auseinanderhalten. Und es darf nicht die ganze Branche unter Generalverdacht gestellt werden. Das wäre nicht gerechtfertigt.

Werden die Pflegedienste in Deutschland zu wenig kontrolliert?

Die Medizinischen Dienste führen regelmäßige Qualitätskontrollen durch – und seit diesem Jahr können auch die Abrechnungen mitgeprüft werden. Dadurch bekommen wir einen besseren Einblick. Mit einer Ausnahme: Wo nur Leistungen der häuslichen Krankenpflege in Anspruch genommen werden, also etwa nach Krankenhausaufenthalten, wird bisher nicht regelhaft geprüft. Hier sollte mehr geprüft werden.

Sind das nicht gerade die teuren Fälle, bei denen besonders gerne betrogen wird?

Ja, bei der Intensivpflege geht es oft um viel Geld. Sofern die Pflegeversicherung beteiligt ist, wird da heute schon genau kontrolliert. In den anderen Fällen, also bei reiner Krankenpflege, ist das nicht so. Und es gibt eine Tendenz, Intensivpflegefälle in Wohngruppen zu verlegen, als Alternative zum Pflegeheim. Da haben wir bisher kein Prüfrecht. Dieses Schlupfloch muss der Gesetzgeber schließen.

Verlangt mehr Kontrollmöglichkeiten: Peter Pick, der Geschäftsführer des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen.

©  Promo/MDS

Werden ambulante Dienste anders kontrolliert als Pflegeheime?

Ja, weil sich das Vergütungssystem deutlich unterscheidet. Ambulante Dienste werden nach Einzelleistung bzw. Leistungskomplexen vergütet. Auf diese Weise lassen sich dort dann auch Einnahmen maximieren. Für Heimbewohner gibt es Pauschalleistungen, die alles beinhalten. Hier geht es bei Kontrollen etwa darum, ob die Person tatsächlich die ganze Zeit im Heim oder nicht zwischendurch auch mal im Krankenhaus war. Detaillierte Abrechnungsprüfung macht in den Heimen keinen Sinn.

Ein Unterschied war auch, dass Sie in Heimen unangemeldet kontrollieren durften und bei ambulanten Diensten nicht.

Seit diesem Jahr können wir auch unangemeldet ambulante Dienste prüfen. In der Regel werden solche Kontrollen aber einen Tag vorher angekündigt. Unangemeldet kommen wir nur, wenn es Hinweise auf massive Mängel gibt. Oder auf systematische Fehlabrechnungen.

Wie viele Kontrollen sind unangemeldet?

Etwa fünf Prozent. Es gibt ja viele kleine Firmen, wo das gar nicht praktikabel wäre. Weil die Pflegedienstleitung mit auf Pflege ist, wie wir sagen. Wenn wir da unangemeldet morgens um acht kämen, wäre gar keiner da.

Unter den Betrügern sind auffällig viele russisch geführte Pflegedienste. Haben Sie auf die jetzt ein besonderes Auge?

Der Prüfauftrag kommt ja von den Kranken- und Pflegekassen. Ich gehe davon aus, dass die Pflegekassen solche Firmen jetzt stärker im Fokus haben. Die MDK werden sie mit wachsamen Auge prüfen wie andere Dienste auch.

Wie leicht ist es denn, in Deutschland einen Pflegedienst zu gründen?

Die Hürden sind nicht sehr hoch. Es gibt Vorschriften, was die Qualifikation des Personals angeht. Aber ob die Betreiber in der Lage sind, die Qualifikation ihrer Beschäftigten zu beurteilen, spielt keine Rolle. Ob sie die richtige ethische Einstellung haben, ebenso wenig. Dabei sind ihre Kunden keine selbstständigen, sondern ausgesprochen hilfsbedürftige Menschen. Da wünscht man sich manchmal schon etwas höhere Anforderungen.

An den Betrügereien sind auch Pflegebedürftige beteiligt. Wie leicht ist es, Pflegebedürftigkeit zu simulieren?

Dass Gesunde als pflegebedürftig anerkannt werden, ist wohl die absolute Ausnahme. Ganz auszuschließen ist es aber nicht. Wir begutachten pro Jahr mehr als 1,4 Millionen Menschen – ob ihnen eine Pflegestufe zusteht, ob sich ihr Zustand verschlechtert oder verbessert hat. Und wir gehen davon aus, dass es sich bei der Person, die uns gegenübersteht, auch um den Antragsteller handelt. Nur im Zweifelsfall lassen wir uns den Ausweis zeigen. Die Betroffenen sind schließlich oft in einer sehr schwierigen menschlichen Situation. Es ist nicht auszuschließen, dass uns da im Einzelfall mal eine falsche Person untergeschoben wird.

Wie kontrollieren Sie, ob abgerechnete Leistungen wirklich erbracht wurden?

Wir sehen in die Dokumentation, wir fragen den Pflegebedürftigen. Aber auch hier gibt es Grenzen. Wenn Leistungen dokumentiert sind und uns vom Patienten so bestätigt werden, und der Pflegebedürftige in das Geflecht einbezogen ist, können wir das kaum erkennen. Wir nehmen die Dokumentation mit in die Geschäftsstelle des Pflegedienstes und machen eine Plausibilitätskontrolle. Dabei fällt dann auf, ob eine Pflegekraft in der fraglichen Zeit im Schichtplan stand oder im Urlaub war.

Nehmen Sie die Aufregung über den massenhaften Pflegebetrug zum Anlass, jetzt mehr Geld und Kontrolleure zu fordern?

Nein. Wir denken, dass es sinnvoll ist, die Prüfrechte auf häusliche Krankenpflege und auf Intensivpflegefälle in Wohngruppen zu erweitern. Dafür brauchen wir wohl etwas mehr Prüfer.

Wie viele haben Sie denn im Moment?

Rund 700 Qualitätsprüfer. Sie prüfen im Jahr rund 12000 Pflegeheime und etwa 14000 ambulante Dienste. Es könnte sein, dass diese Zahl um fünf Prozent steigen muss. Aber wir sind uns einig, es im Regelfall bei Stichproben zu belassen. Bei Auffälligkeiten oder Hinweisen auf Falschabrechnung gibt es umfassende und systematische Prüfungen. Das wirkt, denke ich, auch präventiv.

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