zum Hauptinhalt
Carl Bildt war Premierminister und Außenminister Schwedens.

© picture alliance / dpa

Carl Bildt im Interview: "In Russland reift die Einsicht, dass es ohne Europa nicht geht"

Schwedens früherer Premier Bildt sieht wenig Chancen auf einen baldigen Frieden in der Ukraine. Langfristig könnte sich Russland aber wieder auf Europa zubewegen, glaubt er.

Herr Bildt, Sie kennen die Ukraine sehr gut. Ist das Minsker Abkommen tot?

Nein, tot ist es nicht, aber man kann es auch nicht als Erfolg bezeichnen. Dennoch: Wir müssen mit diesem Abkommen arbeiten, denn für ein neues sehe ich überhaupt keine Chance. Ohne eine internationale Friedenstruppe wird man das Minsker Abkommen aber kaum umsetzen können. Leider sind die Voraussetzungen für eine Friedenstruppe derzeit nicht gegeben. Russland ist dafür nicht zu haben. Vor den russischen Wahlen im kommenden Jahr sehe ich grundsätzlich keine Bereitschaft für Kompromisse auf russischer Seite.

Was könnte sich danach ändern?

Das weiß wohl nicht einmal Präsident Putin selbst. Anders als die Annexion der Krim ist das, was im Donbass geschieht, aber auch in Russland nicht sehr populär. Diese Krise ist schmutzig und teuer. Mit anderen Worten: Der Donbass ist eine Last für Russland.

Welche Folgen hat Russlands Politik für die Ukraine?

Derzeit bestimmt Putin, ob sich die Lage in der Ostukraine beruhigt, oder ob sich die Kampfhandlungen verschärfen. Er reguliert den Konflikt. Für die ukrainische Regierung ist das eine schwierige Situation. Allein schon, weil so viel Geld in die Verteidigung fließt, das dringend für andere Dinge benötigt wird. Dennoch macht das Land gute Reform-Fortschritte. Verglichen mit der Anfangsphase der Transformation in Ländern wie Polen oder im Baltikum ist die Entwicklung beeindruckend. Es würde aber natürlich noch viel besser laufen, wenn im Land Frieden herrschen würde.

Sehen sie einen Weg, Russland wieder an Europa heranzuführen?

Kurzfristig wird das wohl nicht gelingen. Ich sehe aber, dass in Russland die Einsicht reift, dass es ohne Europa nicht geht. Nach der Annexion der Krim und dem Ausbruch des Konflikts in der Ostukraine 2014/15 hielt Moskau Europa für verzichtbar. China schien wichtiger als Partner. Das hört man jetzt nicht mehr, denn China hat wenig Interesse an Russland. Und auch das Verhältnis zur neuen US-Regierung unter Donald Trump gestaltet sich komplizierter als erwartet.

Können wir also hoffen, dass die russische Propaganda-Maschinerie bald heruntergefahren wird?  

Sicher nicht. Russland wird weiter versuchen, Einfluss auf die Stimmung in Europa zu nehmen. Es wird weiter Propaganda streuen und falsche Informationen verbreiten. Aber damit leben wir in Europa doch schon lange. Für uns ist das nicht neu. Neu ist, dass man nun auch soziale Medien für solche Kampagnen nutzen kann. Ich glaube allerdings nicht, dass man die öffentliche Meinung mit solchen Tricks beeinflussen kann. Ich halte das sogar eher für kontraproduktiv. Die öffentliche Meinung zu Russland in Europa ist heute schlechter als noch vor einigen Jahren.

Auch viele Hackerangriffe gehen auf das Konto Russlands. In Deutschland werden russische Hacker für einen Angriff aus das IT-System des Bundestages verantwortlich gemacht. Sollten wir zum Gegenangriff übergehen?

Demokratien sollten mit Demokratie zurückschlagen. Das heißt: Wir sollten diese Dinge öffentlich machen und zur Diskussion stellen.  

In Deutschland gibt es viele, die Russland verteidigen.

Es gab da immer dieses romantische Element in den deutsch-russischen Beziehungen. Dennoch glaube ich, dass die Zahl der Russland-Versteher, wie man in Deutschland wohl sagt, in den vergangenen Jahren stark abgenommen hat.

Wie erklären Sie den Aufstieg von Populisten und die zunehmende Anti-EU-Stimmung in vielen europäischen Ländern?

Es gibt zu viele, die Europa schlecht reden, und zu wenige, die die EU verteidigen. Die EU wurde auch zu wenig erklärt. Und wenn etwas schief läuft, egal ob in Schweden, Deutschland oder anderswo, gibt es immer die Versuchung, Europa als Sündenbock zu benutzen. So macht man die EU-Gegner stark. Unsere gemeinsamen Werte werden dagegen als selbstverständlich hingenommen. Vor allem von der jungen Generation, für die Europa nicht mehr das Friedensprojekt darstellt, das die Nachkriegsgeneration noch damit verband. Für die Jungen ist der Frieden Realität.

Kann die EU daran zerbrechen?

Ich bin zuversichtlich, dass das nicht passiert, denn wir brauchen die EU heute mehr denn je. Einzelne Nationalstaaten sind einfach zu klein, um Probleme allein zu lösen. In manchen EU-Staaten mag die Stimmung derzeit gegen Europa gerichtet sein, doch letztlich weiß man auch dort, dass man Kooperationspartner braucht.

Kritik an der EU ist meist mit Kritik an Deutschland verbunden. Fürchtet man auch in Schweden eine deutsche Dominanz?

Das würde ich nicht sagen. Unsere Beziehungen zu Deutschland sind gut und sie werden eher noch wichtiger nach dem Brexit.

Carl Bildt war Ministerpräsident und Außenminister Schwedens und gehörte zeitweilig einem Beratergremium des ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko an.

Das Interview wurde im Vorfeld der Veranstaltung "Tagesspiegel Data Debates" am 27. April mit Carl Bildt geführt. "Data Debates" ist eine Initiative des Tagesspiegels in Partnerschaft mit Telefónica Deutschland. Die nächste Debatte findet am 18. Mai zum Thema "Die Arbeitswelt der Zukunft" statt. Infos unter: www.datadebates.de"

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false