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 Claudia Roth – hier bei einem Festakt in der Frankfurter Paulskirche – schlug bei einer jüdischen Veranstaltung Protest entgegen. 

© dpa/Sebastian Gollnow

Update

Protest gegen Claudia Roth: Zentralrat zeigt Verständnis für Buhrufe

Bei einem Gesangswettbewerb junger Juden schlug der Kulturstaatsministerin Protest entgegen. Ein Grund: Ihre Haltung in der Antisemitismus-Debatte zur Documenta. Der Zentralrat spricht von „lange angestautem Frust“

| Update:

Für einen Moment fehlen Claudia Roth (Grüne) die Worte, dann fasst sie sich wieder. „Ich bin sicher ...“, ruft sie am Freitag in die Frankfurter Festhalle, wo der „Jewrovision“ steigt, ein Gesangs- und Tanzwettbewerb jüdischer Jugendzentren Deutschlands. Buhrufe und Pfiffe begleiten Roths Grußwort. Roth pausiert kurz, setzt wieder an, „... ich bin... “.

Erneut Störungen, dann weicht die Kultur-Staatsministerin von ihrem Manuskript ab, ruft: „Das ist Demokratie und ich nehme diese Kritik an, weil wir eine starke und eine bunte und eine mutige Demokratie sind.“

Wenig später macht der Videoschnipsel von Roths Auftritt die Runde. Die Sprecherin der „WerteIntiatitive“ verbreitet einen solchen Ausschnitt, postet auf Twitter zudem Fotos von Protest-Plakaten, auf denen zu lesen ist: „Frau Roth, wir wollen Sie nicht!!!“ oder „Documenta, BDS – Antisemitismus klar benennen“. BDS ist eine Bewegung, steht für „boycott, divestment and sanctions“ und setzt sich für einen Boykott Israels sein.

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Was aber ist los zwischen Claudia Roth und Teilen der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland? Das Verhältnis ist mindestens angespannt. Wer sich umhört, stößt immer wieder auf drei Aspekte: Als der Bundestag 2019 die Anti-BDS-Resolution mit großer Mehrheit verabschiedete, stimmte Roth nicht zu.

Beim „Jewrovision“-Gesangswettbewerb junger Jüd:innen wurde Claudia Roth ausgebuht und ausgepfiffen.
Beim „Jewrovision“-Gesangswettbewerb junger Jüd:innen wurde Claudia Roth ausgebuht und ausgepfiffen.

© Zentralrat der Juden in Deutschland/Gregor Matthias Zielke

Auf den Antisemitismus auf der Documenta 2022 reagierte Roth, inzwischen Kulturstaatsministerin, spät und relativierend. Und dann erinnert mancher an Roths Reisen in den Iran, wo sie 2015 Ali Laridschani traf, Vorsitzender des „Parlamentes“ im Iran und Leugner des Holocausts.

Für ihren Frankfurter Auftritt erntet Roth nun wiederum Kritik, während Vertreter aus der deutsch-jüdischen Community den Protest gegen die Kulturstaatsministerin begrüßen.

Zentralrat: „Lange aufgestauter Frust“

Der Zentralrat der Juden zeigte am Sonntag Verständnis für die Proteste gegen Roth. „Bei der Jewrovision 2023 hat sich lange aufgestauter Frust deutlich entladen“, heißt es in einer Stellungnahme des Zentralrats auf „Tagesspiegel“-Anfrage: „Das ist die Konsequenz der Entwicklungen im deutschen Kulturbetrieb der vergangenen Jahre.“

Der Zentralrat betont, er habe „auf diese Missstände immer wieder hingewiesen“. Es müsse sich „jetzt erkennbar etwas ändern, damit jede Form von Antisemitismus aus dem deutschen Kulturbetrieb nachhaltig verbannt wird“, heißt es in der Stellungnahme.

Schon zuvor hatten Vertreter der deutsch-jüdischen Community die Proteste gegen Roth verteidigt. „Es war lange an der Zeit, dass Claudia Roth laute Stimmen gegen ihr Documenta-,Management’ entgegenschlagen“, schrieb etwa das über-konfessionelle, über-parteiliche Junge Forum der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG) bereits am Freitag auf Twitter.

Anruf bei Constantin Ganss, Vorsitzender des Jungen Forums der DIG. „Die Buhrufe und Pfiffe für Claudia Roth können niemanden wundern. Das junge jüdische Leben in Deutschland ist selbstbewusst und lässt sich nicht alles unkommentiert gefallen“, sagt er. Niemand habe vergessen, „wie wenig Gespür Frau Roth für den Antisemitismus gezeigt hat, der die Documenta bis zum Schluss geprägt hat.“

Roth verstehe nicht, dass antisemitische Vorfälle nicht nur die Sicherheit von Jüdinnen und Juden bedrohen, sondern auch ihre Teilhabe und ihre Zukunft, sagt Ganss. „Es reicht nicht, sich nur um tote Juden zu kümmern. Um das deutlich zu machen, haben die jungen jüdischen Menschen gegen Frau Roth protestiert.“ Mit ihrer ablehnenden Haltung zur Anti-BDS-Resolution, „ihrem Schmusekurs mit dem iranischen Regime, einem Treffen mit einem Holocaust-Leugner am Tag vor dem Jahrestag der Auschwitz-Befreiung hat sich Frau Roth schon viele Fehltritte erlaubt. Das vergisst die jüdische Community nicht und wir vergessen es auch nicht.”

„Das Brüllen und Auspfeifen von Frau Roth zeigt, dass die Verletzung durch den Antisemitismus der Documenta viel tiefer war, als die Mehrheitsgesellschaft bereit ist wahrzunehmen“, sagt Abraham de Wolf, Vorsitzender der Jüdischen Sozialdemokraten. „Die Schmerzen sind in Aggression umgekippt.“ Jugendprotest dürfe aggressiv und unverschämt sein, „die Form des Protestes war also in Ordnung, der Inhalt sowieso“.

Wie ein Bulldozer hat sie ihr Grußwort weiter in den Saal geschrien.

Abraham de Wolf, Vorsitzender der Jüdischen Sozialdemokraten, über Claudia Roth

Roth sei „mit dem Antisemitismus der Documenta voll auf die Nase gefallen und hat sich davon politisch nicht erholt“, sagt Sozialdemokrat de Wolf. „Unfähig“ habe sie nun auf die Proteste reagiert, sei nicht auf die Kritik eingegangen. „Stattdessen hat sie, wie ein Bulldozer, ihr Grußwort weiter in den Saal geschrien.“

„Das Verhältnis zwischen Frau Roth und den Juden ist gestört“

Ähnlich äußert sich der FDP-Abgeordnete und DIG-Vizepräsident Markus Faber. Die Protestierenden hätten Roth „ein sehr ehrliches Echo auf ihre Arbeit gegeben“. Roths „relativierende Haltung bei der Documenta“ sei nur das i-Tüpfelchen auf etliche fragwürdige Positionen und Entscheidungen gewesen.

„Das Verhältnis zwischen Frau Roth und den Juden in Deutschland ist gestört“, sagt Faber. Er fordert: „Frau Roth sollte nun das Gespräch mit den jüdischen Verbänden in Deutschland suchen, um das zerrüttete Verhältnis zu reparieren.“

Das ist aus Roths Sicht offenbar nicht nötig. Sie habe auf Einladung des Präsidenten des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, an der „Jewrovision“ teilgenommen, sagte ein Sprecher Roths am Samstag. Sie habe dort mit Schuster und jungen Teilnehmern zu Mittag gegessen, sich ausgetauscht, habe mit Schuster „einige der Künstlerinnen und Künstler Backstage vor ihrem Auftritt“ besucht.

Das sei ein „sehr guter und spannender Austausch“ gewesen. Beim Grußwort hätten „einige Menschen im Saal“ lautstark zum Ausdruck gebracht, dass sie mit Roths „Politik und politischer Ausrichtung“ nicht einverstanden seien.

Doch wie beschreibt Roth das Verhältnis zwischen ihr und der deutsch-jüdischen Community? Empfindet sie es als gestört? „Das jüdische Leben heute in Deutschland ist zu unserem Glück wieder sehr reich und vielfältig und natürlich auch politisch pluralistisch“, sagt ihr Sprecher auf Tagesspiegel-Anfrage.

Die Kulturstaatsministerin habe „ein sehr gutes Verhältnis zu sehr vielen Menschen, die das jüdische Leben in Deutschland heute repräsentieren und prägen, und pflegt einen engen Austausch mit ihnen“.

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