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Ferne Vision. Der Aufbau einer gemeinsamen europäischen Verteidigungsindustrie gestaltet sich schwierig.

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Brüssel will EU-Rüstungsprojekte fördern: Neue Bürokratie oder echter Mehrwert?

Die EU-Kommission will die Europäer bei der Beschaffung von Waffen unabhängiger von den USA machen. In Berlin gibt es dafür grundsätzlich Zustimmung. Der Teufel liegt aber im Detail.

Während sich der russische Einmarsch in die Ukraine zum zweiten Mal jährt, werden in Brüssel und Berlin die Rufe nach einer stärkeren Verzahnung der Rüstungsindustrien in den EU-Mitgliedstaaten lauter. „Nationale Egoismen müssen zugunsten eines gemeinsamen Vorgehens in der Verteidigung in den Hintergrund treten“, forderte der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Wolfgang Hellmich.

„Wir brauchen vor dem Hintergrund der russischen Bedrohung mehr Standardisierung in der Verteidigung“, sagte Hellmich dem Tagesspiegel. Als Beispiel für diese Standardisierung bei den Waffensystemen nannte der SPD-Verteidigungspolitiker die gemeinsame Anschaffung von bis zu 1000 „Patriot“-Raketen durch Nato-Mitgliedsländer wie Deutschland, die Niederlande, Rumänien und Spanien.

Was die Nato in großem Stil vormacht, plant auch die EU in kleinerem Maßstab. Anfang März will die EU-Kommission Details einer gemeinsamen Industriestrategie für den Rüstungsbereich enthüllen. Geplant ist, dass die Brüsseler Behörde gemeinsame Rüstungsbeschaffungen finanziell unterstützt. Die Federführung für das ehrgeizige Programm, das die EU unabhängiger von Rüstungsgütern aus den USA machen soll, liegt bei Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager und dem Außenbeauftragten Josep Borrell.

Ich bin skeptisch, was eine EU-Koordination der Rüstungsindustrie angeht.

Joe Weingarten, SPD-Verteidigungspolitiker

Die EU kann zwar nicht darüber entscheiden, an welchen Militäreinsätzen sich ihre Mitgliedstaaten beteiligen. Aber weil auch Industriepolitik zu ihren Aufgaben gehört, gibt es hier einen Hebel zum Aufbau einer europäischen Verteidigungsindustrie.

Der Kerngedanke besteht darin, die Mitgliedstaaten von Mehrkosten zu entlasten, wenn sie sich bei Rüstungsprojekten zusammentun. Dabei sollen – ähnlich wie bei der gemeinsamen Impfstoffbeschaffung während der Corona-Pandemie – Steuergelder für die gemeinsame Beschaffung verwendet werden.

Auf stärkere Verteidigungsanstrengungen Deutschlands und Europas drangen in einem Gastbeitrag für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ CDU-Chef Friedrich Merz und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Das Ziel müsse sein, die EU zu einer „echten Verteidigungsunion“ weiterzuentwickeln, schrieben von der Leyen und Merz.

Bei Fachpolitikern in Berlin wird das EU-Projekt einer gemeinsamen Rüstungsbeschaffung im Grundsatz begrüßt. Allerdings gibt es vor allem bei der SPD Kritiker, die dem Vorhaben von der Leyens keine großen Chancen einräumen.

„Ich bin skeptisch, was eine EU-Koordination der Rüstungsindustrie angeht. Das ist gerade bei der Munitionsbeschaffung für die Ukraine schiefgegangen“, sagte der SPD-Verteidigungspolitiker Joe Weingarten. Eigentlich wollte die EU der Ukraine bis März eine Million Artilleriegeschosse liefern, doch dieses Ziel wurde deutlich verfehlt.

„Die EU-Kommission hat weder die Erfahrung noch das politische Gewicht, um die unterschiedlichen politischen und industriellen Interessen der EU-Mitgliedstaaten auszugleichen“, gab der SPD-Politiker zu bedenken. „Das kann letztlich nur durch zwischenstaatliche Verständigungen, ausgehend von Deutschland und Frankreich, gelingen.“

EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen hat die gemeinsame europäische Rüstungsindustrie zu ihrem Projekt gemacht.
EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen hat die gemeinsame europäische Rüstungsindustrie zu ihrem Projekt gemacht.

© AFP/KENZO TRIBOUILLARD

Nach Weingartens Worten sind auf europäischer Ebene lediglich weitere pragmatische Lösungen denkbar, die durch die zwischenstaatliche europäische Rüstungsbeschaffungsbehörde OCCAR unterstützt werden. Diese Behörde habe sich beispielsweise beim Radpanzer „Boxer“ bewährt, der bei der Bundeswehr sowie dem niederländischen, britischen, litauischen und australischen Heer eingesetzt wird.

Vor diesem Hintergrund sehe er die Rolle der EU-Kommission „eher bei der strategischen Förderung der für die Verteidigung wichtigen Industriezweige und dem Aufbau von gemeinsamen Reserven bei militärischem Verbrauchsmaterial“, lautete Weingartens Fazit.

Nach Auffassung der Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), ist die Vertiefung der militärischen Kooperation in Europa dringend notwendig. Entscheidend werde aber sein, „dass die Kommission einen pragmatischen Ansatz findet und sich nicht wieder in Projekten und Bürokratie verliert“, forderte die FDP-Spitzenkandidatin für die Europawahl.

Nach Ansicht der Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann, darf sich die EU-Kommission bei ihrem jüngsten Vorhaben nicht in Bürokratie verzetteln.
Nach Ansicht der Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann, darf sich die EU-Kommission bei ihrem jüngsten Vorhaben nicht in Bürokratie verzetteln.

© IMAGO/Political-Moments/imago

Strack-Zimmermann erinnerte daran, dass es auf europäischer Ebene bereits Projekte zur gemeinsamen Entwicklung und Beschaffung gibt. „Diese sind aber im Vergleich zu bilateralen Kooperationen für die meisten Staaten offenbar nicht attraktiv genug“, lautete ihre Analyse. Die neuen Vorschläge der Brüsseler Behörde „müssen einen echten Mehrwert schaffen und sich nicht nur in das bisherige Stückwerk einreihen“, forderte die FDP-Politikerin.

Die CDU-Verteidigungspolitikerin Serap Güler fordert einen eigenen EU-Verteidigungskommissar.
Die CDU-Verteidigungspolitikerin Serap Güler fordert einen eigenen EU-Verteidigungskommissar.

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Aufseiten der Opposition wird ebenfalls grundsätzliche Zustimmung für das Vorhaben signalisiert, die gemeinsame Beschaffung in der Gemeinschaft zu forcieren. Das Thema müsse zur „Chefsache erklärt werden, etwa über einen eigenen EU-Verteidigungskommissar“, verlangte die CDU-Verteidigungspolitikerin Serap Güler.

Die zahlreichen bereits existierenden Mechanismen, darunter die EU-Verteidigungsinitiative „Pesco“, seien nicht ausreichend. Ein EU-Verteidigungskommissar sollte ausschließlich für die Zusammenführung der Rüstungsindustrie und -projekte zuständig sein, so Güler. Eine Kompetenz in militärischen Fragen, „die weiterhin in der Verantwortung der einzelnen Mitgliedstaaten liegen müssen“, sieht sie in Brüssel hingegen nicht.

Im Detail müssten nach Gülers Worten bei der verstärkten Zusammenarbeit im Rüstungsbereich drei Ziele verfolgt werden: eine ökonomische Kostenersparnis, stärkere Interoperabilität der nationalen Streitkräfte und eine gemeinsame Logistik – etwa bei Munition und Ersatzteilen – im Ernstfall. Kurz- und mittelfristig könne hier vor allem bereits bei mehreren Nationen genutztes Material gemeinsam beschafft werden, etwa 155-Millimeter-Artilleriemunition, so Güler. Auf deren Nachschub ist auch die Ukraine dringend angewiesen.

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