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Ob in Amerika oder Europa, ein Handeln strikt nach Stakeholder- oder Shareholder-Ansatz funktioniert längst nicht mehr.

© Jens Büttner/dpa

Unternehmenskultur in den USA und Europa: Arbeitsplätze und Dividende zusammendenken

Vor der Kulisse von Klimawandel und Corona-Krise ist eine Ausrichtung nach Stakeholder- oder Shareholder-Ansatz nicht zukunftsfähig. Ein Gastbeitrag.

Global Challenges ist eine Marke der DvH Medien. Das Institut möchte die Diskussion geopolitischer Themen durch Veröffentlichungen anerkannter Experten vorantreiben. Heute ein Beitrag von Jörg Rocholl, Präsident der internationalen Wirtschaftshochschule ESMT in Berlin. Regelmäßige Autoren und Autorinnen sind Prof. Dr. Ann-Kristin Achleitner, Sigmar Gabriel, Günther Oettinger, Prof. Dr. Bert Rürup und Prof. Dr. Renate Schubert.

Was sollte ein Unternehmen zuerst streichen, wenn es in eine Krise wie jüngst in der Corona-Pandemie gerät: Arbeitsplätze oder Dividenden? Stellt man diese Frage Managern in verschiedenen Ländern, bekommt man höchst unterschiedliche Antworten: Führungskräfte in Großbritannien und den USA bevorzugen mehrheitlich, Dividenden konstant zu halten und Arbeitsplätze abzubauen. Im Gegensatz dazu votieren Führungskräfte im restlichen Europa und gerade in Deutschland dafür, vor allem Arbeitsplätze zu erhalten und Dividenden zu kürzen.

Dieser unterschiedliche Umgang mit den beiden Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital hat eine lange Geschichte - mit Folgen für das Selbstverständnis der amerikanischen und der deutschen Volkswirtschaft.

Die US-Wirtschaft folgt einem Shareholder-Ansatz, betont also besonders die Interessen der Aktionäre. In Kontinentaleuropa dominiert hingegen der Stakeholder-Ansatz, bei dem die Interessen von Aktionären, Kunden und Arbeitnehmern immer wieder gegeneinander abgewogen werden. Man kann die Präferenz deutscher Führungskräfte für Erhaltung von Arbeitsplätzen als besonderen Ausdruck der Sozialen Marktwirtschaft beschreiben.

Schon in der Vergangenheit gab es keine homogene Stakeholder- oder Shareholder-Ausrichtung

Es ist jedoch nicht so, dass Unternehmen in beiden Ländern strikt dem jeweils vorherrschenden Ansatz folgen. Gerade in den 1990er-Jahren hatten auch viele deutsche Unternehmen die Interessen ihrer Aktionäre besonders im Blick. Die Globalisierung der Kapitalströme und die wachsende Bedeutung der Kapitalanleger aus den USA auch für deutsche Unternehmen führten zu einer Anpassung der Geschäftspolitik deutscher Unternehmen: Kapitalkosten und Economic Value Added gingen in die Geschäftsberichte ein und dienten als Bezugsgrößen für die Vergütung des Managements.

Umso überraschender kam im Sommer 2019 die Ankündigung von 181 amerikanischen CEOs, sich von der vorrangigen Shareholder-Orientierung abzuwenden und den Interessen der Stakeholder künftig deutlich mehr Gewicht geben zu wollen. Aspekten wie Umweltschutz und Förderung von Diversität sollte nun ebenso großes Gewicht eingeräumt werden wie den Aktionärsinteressen. Die Bewertung der damaligen Erklärung reichte von einem Paradigmenwechsel bis hin zu einem historischen Tag für die Unternehmen in den USA und Europa.

Denn mit dieser Erklärung entstand der Eindruck, dass amerikanische Unternehmen nun dem kontinentaleuropäischen Vorbild nacheifern und den weltweiten Trend zu einer immer stärkeren Ausrichtung auf die internationalen Kapitalmärkte umkehren wollten. Schon damals blieb die Ankündigung nicht ohne Kritik. So erklärte das Council of Institutional Investors, diese Ankündigung sei ein Rückschritt nicht nur für die Aktionäre, sondern für die ganze Gesellschaft.

Sand in den Augen der Öffentlichkeit oder ernsthafter Wandel?

Umso interessanter ist die Bewertung der damaligen Ankündigung aus heutiger Sicht: Hatte sie tatsächlich gravierende Auswirkungen bis hin zu einer Transformation des globalen Kapitalismus? Oder war sie vielmehr ein Marketinginstrument ohne nennenswerte Folgen? Die Antworten gehen weit auseinander. Einige Wissenschaftler wie Lucian Bebchuk argumentieren, die Ankündigung diene alleine den Public-Relations-Interessen der beteiligten Unternehmen. Ihnen sei es nur darum gegangen, einer zunehmend kritischen Öffentlichkeit Sand in die Augen zu streuen. Denn hätten die CEOs Dinge wirklich nachhaltig ändern wollen, so Bebchuk, wäre eine grundlegende Überarbeitung der Corporate Governance ihrer Unternehmen erforderlich gewesen. Tatsächlich habe es aber höchstens kosmetische Anpassungen gegeben, die Aussagen zur herausragenden Stellung der Aktionäre blieben unverändert.

Einen weiteren Beleg für den "Show-Charakter" der Ankündigung kann man darin finden, dass die Aktienkurse der 181 US-Unternehmen am Tag der Ankündigung praktisch unverändert blieben. Hätten die Aktionäre tatsächlich eine Vernachlässigung ihrer Interessen wahrgenommen, hätten die Aktienkurse deutlich an Wert verlieren müssen - sie taten es aber nicht.

Wohlmeinendere Beobachter hingegen sehen durchaus einen Wandel, der aber durch die wenige Monate nach der Ankündigung beginnende Corona-Pandemie überlagert worden sei. Die Covid-19-Krise habe derart schwerwiegende Probleme aufgeworfen, dass selbst der Übergang vom Shareholder- zum Stakeholder-Kapitalismus in den Hintergrund getreten sei. Finanzwissenschaftler wie Alex Edmans verweisen darauf, dass die 181 Unternehmen neben ihren Geschäftszahlen nun auch eine Reihe nicht-finanzieller Ziele veröffentlichen und das Top-Management zunehmend daran gemessen wird, auch diese Ziele zu erreichen. Das Bild ist also weder schwarz noch weiß, sondern enthält wie so oft Grautöne.

Es gibt keinen gravierenden Gegensatz zwischen den beiden Ansätzen

Welche Erkenntnisse lassen sich aus der Kontroverse ziehen? Erstens ist der Gegensatz zwischen Stakeholder- und Shareholder-Ansatz offenbar weniger gravierend als häufig dargestellt. Denn nur ein Unternehmen, das seinen Kunden attraktive Produkte verkauft und die Kunden gut behandelt, wird dauerhaft Gewinne erzielen. Nur ein Unternehmen, das die besten Fachkräfte anzieht, kann innovativ genug sein, um dauerhaft erfolgreich am Markt zu bestehen.

Eine zuvorkommende und faire Behandlung von Stakeholdern bildet also die Voraussetzung der Wertschöpfung für Shareholder - in den USA wie in Europa. Um ihre Arbeitsplätze zu sichern, ist es auch aus Sicht der Beschäftigten vorteilhaft, wenn ihr Unternehmen profitabel ist. Am Gewinn ist schließlich noch kein Unternehmen gescheitert.

Zweitens lassen sich diese Erkenntnisse auch auf die globalen Herausforderungen des Klimawandels übertragen. Die Präferenzen der Bevölkerung ändern sich schnell, die Unternehmen müssen ebenso schnell darauf reagieren. Treten sie beispielsweise als Klimasünder in Erscheinung, geraten sie dermaßen unter Druck, dass gerade junge Menschen nicht mehr für sie arbeiten wollen, Kunden in den Käuferstreik treten und Investoren nur noch widerwillig Kapital zur Verfügung stellen. Die Unternehmen spüren gleichermaßen den Druck der Arbeits-, Güter- und Finanzmärkte.

Drittens sind die Unterschiede in der Unternehmenskultur zwischen den USA und Europa womöglich weniger dramatisch als oft gedacht. Der Tendenz in Europa hin zu einer stärkeren Beachtung der Shareholder entspricht in den USA eine gegenläufige Bewegung hin zu den Stakeholdern. Umfragen, die einen scharfen Kontrast zwischen Arbeitsplatzsicherheit und den Dividenden-Interessen der Aktionäre nahelegen, sind nuancierter zu betrachten. Denn Arbeitsplätze gehen in den USA zwar schneller verloren als in Kontinentaleuropa, es gibt aber in der Regel auch schneller wieder neue Jobs.

Mit Arbeit und Kapital verhält es sich also wie mit einem Tischtuch: An keinem der Enden sollte man zu stark ziehen. Sonst droht das Tischtuch bald auf den Boden zu fallen - und mit ihm die Dinge, die vorher darauf lagen.

Jörg Rocholl

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