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Boris Pistorius (SPD), Bundesminister der Verteidigung.

© dpa/Daniel Löb

Update

Teil von Putins „Informationskrieg“: Pistorius zieht im Bundeswehr-Abhörskandal vorerst keine personellen Konsequenzen

Russland veröffentlichte einen Mitschnitt, der ein vertrauliches Gespräch von Bundeswehroffizieren wiedergibt. Personelle Folgen soll dies aber vorerst nicht haben.

| Update:

Wegen der Abhör-Affäre bei der Bundeswehr zieht Verteidigungsminister Boris Pistorius zunächst keine personellen Konsequenzen. Das teilte der Minister am Sonntag in Berlin mit. Er sehe die Abhöraffäre als Teil eines „Informationskrieges“, den der russische Präsident Wladimir Putin führe. „Es handelt sich um einen hybriden Angriff zur Desinformation - es geht um Spaltung, es geht darum, unsere Geschlossenheit zu untergraben“, sagte Pistorius. „Wir dürfen Putin nicht auf den Leim gehen.“ Deshalb müsse man besonnen reagieren, „aber nicht weniger entschlossen.“

In den nächsten Tagen erwarte er Aufschlüsse über die Ermittlungen des Militärischen Abschirmdienstes (MAD) über die genauen Hintergründe des Vorfalls, sagte Pistorius. Es sei zu prüfen, um etwa gegen IT-Sicherheitsbestimmungen verstoßen worden sei. Erst dann könne man über Konsequenzen entscheiden, auch in Personalfragen.

Die Union hatte zuvor eine Sondersitzung des Bundestags-Verteidigungsausschusses wegen des Abhörskandals bei der Luftwaffe beantragt. Der Parlamentsgeschäftsführer der Bundestagsfraktion, Thorsten Frei (CDU), schrieb am Sonntag einen entsprechenden Brief an Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD).

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In dem Schreiben von Frei an Bas heißt es, es bestehe ein „dringender parlamentarischer Aufklärungs- und Beratungsbedarf“. „Aus diesem Grund beantrage ich namens meiner Fraktion (...) die unverzügliche Einberufung einer Sondersitzung des Verteidigungsausschusses.“ Für eine umfassende Aufklärung sei die Anwesenheit von Scholz bei der Sondersitzung erforderlich. Der CDU-Außenpolitiker Jürgen Hardt und der CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt teilen die Forderung.

Vier Offiziere, darunter Luftwaffen-Chef Ingo Gerhartz, hatten in einer Schaltkonferenz zur Vorbereitung eines Gesprächs mit Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) Einsatzszenarien für den deutschen Marschflugkörper Taurus erörtert, falls dieser doch noch an die Ukraine geliefert werden sollte.

Ihr Gespräch war auf der russischen Plattform „Russia Today“ veröffentlicht worden. Darin hatten sie festgehalten, dass eine baldige Lieferung und ein schneller Einsatz nur mit Beteiligung deutscher Soldaten möglich wäre und dass eine Taurus-Ausbildung ukrainischer Soldaten für einen Einsatz in ihrer alleinigen Regie Monate dauern würde.

Der erste Schritt sei eine Sondersitzung des Verteidigungsausschusses und vielleicht auch des Auswärtigen Ausschusses, „um sich ein Bild von dem Ausmaß dieses Desasters zu machen“, sagt Hardt dem Fernsehsender „Welt TV“. Der zweite Schritt sei die Regierungserklärung. „Und der dritte Schritt ist, wenn daraus Schlussfolgerungen kommen, die tatsächlich untersucht werden müssen mit den Instrumenten der Strafprozessordnung, dann wäre der Untersuchungsausschuss der richtige Ort.“

„Der Bundeskanzler muss sich dafür vor dem Bundestag erklären“, sagt Alexander Dobrindt. Auch er drohte: „Bei dieser Sachlage kann ein Untersuchungsausschuss nicht ausgeschlossen werden.“
„Der Bundeskanzler muss sich dafür vor dem Bundestag erklären“, sagt Alexander Dobrindt. Auch er drohte: „Bei dieser Sachlage kann ein Untersuchungsausschuss nicht ausgeschlossen werden.“

© dpa/Serhat Kocak

Ampelpolitiker warnen vor einer parteipolitischen Instrumentalisierung. Ein Untersuchungsausschuss sei nicht angemessen, sagte SPD-Außenpolitiker Ralf Stegner dem Tagesspiegel. Die Forderung sei Oppositions-Klein-Klein. Aber natürliche müsse aufgeklärt werden, wie es zu diesem Propaganda-Erfolg für Putin komme konnte. Stegner kritisierte die Bundeswehr-Offiziere dafür, dass sie in einem nicht geschützten Medium über einen möglichen Taurus-Einsatz leichtfertig daher geplappert hätten.

Eine schnelle und lückenlose Aufklärung fordert auch Grünen-Fraktionsvize Agnieszka Brugger. Mit den Ergebnissen der MAD-Ermittlung „werden wir uns in allen betroffenen Ausschüssen sehr intensiv beschäftigen“, sagte Brugger dem Tagesspiegel. Es müsse geklärt werden, „auf welchem Wege genau das Gespräch abgehört werden konnte, um entsprechende Sicherheitsmaßnahmen mit Blick auf sensible Kommunikation zu verschärfen“.

Der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen sieht ebenso inhaltlichen Erklärungsbedarf: „Es muss auch dem Parlament und der Öffentlichkeit gegenüber klargestellt werden, ob das, was die Offiziere zu den Einsatzmöglichkeiten von Taurus ohne deutsche Soldaten festgestellt haben, zutrifft oder nicht“, sagte er dem Tagesspiegel.

Es sei befremdlich, meint CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt (CSU), dass der Bundeskanzler seine Ablehnung von Taurus-Lieferungen möglicherweise mit einer Falschdarstellung begründet“, sagte der Vorsitzende der CSU-Bundestagsabgeordneten dem Nachrichtenmagazin „Spiegel“.

Ähnlich argumentierte der CDU-Verteidigungspolitiker Roderich Kiesewetter im ZDF: Es „muss geklärt werden, warum der Bundeskanzler mit Falschbehauptungen in die Öffentlichkeit geht, wo er sagt, dass deutsche Bundeswehr-Beteiligung vor Ort nötig sei“.

Scholz schließt Beteiligung am Krieg aus

Scholz hatte sein Nein zu einer Taurus-Lieferung damit begründet, dass Deutschland dann in den Krieg hineingezogen werden könnte. „Wir dürfen an keiner Stelle und an keinem Ort mit den Zielen, die dieses System erreicht, verknüpft sein“, hatte er auf einer Veranstaltung der Deutschen Presse-Agentur Anfang letzter Woche gesagt.

Bei einem Bürgergespräch in Dresden erklärte er später, die Waffe könne bei einem falschen Einsatz Moskau erreichen. Andere hätten dann Sorge zu tragen, wo was genau lande. „In unserem Fall würde das bedeuten, dass wir uns beteiligen müssten, um das zu können. Das wiederum halte ich für ausgeschlossen.“

Doch wie kam Russland an die Aufnahme? Die Luftwaffen-Offiziere haben womöglich gegen Sicherheitsregeln der Bundeswehr verstoßen. „Es gibt Anhaltspunkte, dass mit Blick auf die offensichtlich besprochenen Inhalte ein nicht ausreichend sicheres Kommunikationsmittel verwendet wurde“, sagte eine Sprecherin des Verteidigungsministeriums der „Bild am Sonntag“. „Dies ist unter anderem Gegenstand der weiteren Untersuchungen.“

Medienberichten zufolge nutzten die Offiziere für das Gespräch die Plattform Webex. Wie „Bild am Sonntag“ berichtete, wurde die Sitzung mit Webex über eine Büro-Festnetzleitung der Bundeswehr auf die Mobiltelefone der Soldaten abgesetzt. Die Zeitung berichtet unter Berufung auf Sicherheitskreise, geprüft werde jetzt, ob die verwendete Webex-Variante für den Austausch von Informationen der niedrigsten Geheimhaltungsstufe „Verschlusssachen - nur für den Dienstgebrauch“ zugelassen ist.

Auch soll geprüft werden, wie die in der Besprechung genannten Details einzustufen seien. Damit solle festgestellt werden, wie schwer der Verstoß gegen Sicherheitsregeln wiege.

Grünen-Abgeordnete Hofreiter sieht gezielten Versuch Russlands

Der Grünen-Abgeordnete Anton Hofreiter wertete die mögliche Abhöraktion Russlands gegen Offiziere der Luftwaffe am Samstag als gezielten Versuch, die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine zu verhindern. Dem Tagesspiegel sagte der Vorsitzende des Europa-Ausschusses: „Das Ziel Russlands mit dieser Abhöraktion ist, die Lieferung von Taurus zu verhindern. Dass Russland dafür erstmals Geheimdienstinformationen offenlegt, zeigt, dass Taurus eine wirksame Unterstützung der Ukraine wäre.“

Das russische Vorgehen mache deutlich, dass Deutschland als ökonomisch stärkstes Land Europas und wichtiger Unterstützer der Ukraine ein Hauptziel russischer Propaganda und Desinformation sei.

Inhaltlich ergebe sich aus den Gesprächsprotokollen mit Blick auf die bisherige Weigerung der Bundesregierung, Taurus-Marschflugkörper zu verhindern, wenig Neues. „Dass der Kanzler persönlich die Lieferung von Taurus blockiert, wissen wir seit Langem.“

Details zu Taurus-Debatte und brisante Äußerung über Verbündete

An dem mitgeschnittenen Gespräch soll unter anderem der Luftwaffen-Inspekteur Ingo Gerhartz teilgenommen haben, es soll der Vorbereitung auf eine Unterrichtung für Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) gedient haben. In dem in der Audiodatei zu hörenden Austausch geht es auch um die Frage, ob Taurus-Marschflugkörper technisch theoretisch in der Lage wären, die von Russland gebaute Brücke zur völkerrechtswidrig annektierten ukrainischen Halbinsel Krim zu zerstören.

Brisanter Inhalt des Gesprächs

Brisant ist, dass die Rede davon ist, dass die Briten im Zusammenhang mit dem Einsatz ihrer an die Ukraine gelieferten Storm-Shadow-Marschflugkörper „ein paar Leute vor Ort“ hätten. Gerade erst hatte es in Großbritannien Verärgerung gegeben über eine Äußerung von Kanzler Olaf Scholz gegeben, die ihm von einigen als Indiskretion ausgelegt wurde.

„Was an Zielsteuerung und an Begleitung der Zielsteuerung vonseiten der Briten und Franzosen gemacht wird, kann in Deutschland nicht gemacht werden“, sagte der SPD-Politiker. Was er genau damit meint, ließ er offen.

Der Satz wurde aber von einigen als Hinweis verstanden, Franzosen und Briten würden die Steuerung ihrer an die Ukraine gelieferten Marschflugkörper Storm Shadow und Scalp mit eigenen Kräften unterstützen. Ein Sprecher des britischen Premierministers Rishi Sunak dementierte das umgehend: „Der Einsatz des Langstreckenraketensystems Storm Shadow durch die Ukraine und der Prozess der Zielauswahl sind Sache der ukrainischen Streitkräfte.“

Ex-Wehrbeauftragter rechnet nicht mit Entlassungen

Für den Ex-Wehrbeauftragten Hans-Peter Bartels (SPD) zeigt der Vorfall, „dass Moskau keineswegs sicher ist, in seinem Eroberungskrieg gegen die Ukraine zu siegen“. Er rechnet nicht mit Gerhartz’ Entlassung. „Die Bundesregierung wird Putin nicht den Gefallen tun, jetzt einzelne Luftwaffen-Generäle zu entlassen“, sagte er dem Tagesspiegel. „Es ist deren Aufgabe, auf sich möglicherweise verändernde Lagen, so gut es geht, vorbereitet zu sein – über Webex geht das allerdings nicht.“

CDU-Verteidigungsexperte Kiesewetter sieht hinter dem Skandal einen Schachzug Putins. „Man muss davon ausgehen, dass das Gespräch ganz gezielt durch Russland zum jetzigen Zeitpunkt geleakt wurde in einer bestimmten Absicht. Diese kann nur darin liegen, eine Taurus-Lieferung durch Deutschland zu unterbinden“, sagte dem ZDF mit Blick auf die Veröffentlichung:

Dieses Bundeswehr-Leak kann ein russischer Versuch sein, die öffentliche Debatte wegzulenken.

Roderich Kiesewetter, Verteidigungsexperte der CDU

Russland wolle Scholz abschrecken, indem man „öffentlich zeigt, wie tief Russland die deutschen Entscheidungsvorbereitungen dazu bereits aufgeklärt hat“. Kiesewetter vermutete zudem: „Dieses Bundeswehr-Leak kann ein russischer Versuch sein, die öffentliche Debatte wegzulenken von den Wirecard-Enthüllungen und der Beerdigung von Alexej Nawalny.“

Die Wehrbeauftragte des Bundestags, Eva Högl (SPD), forderte nun weitreichende Konsequenzen. „Erstens müssen umgehend alle Verantwortlichen auf allen Ebenen der Bundeswehr umfassend zu geschützter Kommunikation geschult werden“, sagte sie den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. „Zweitens muss gewährleistet sein, dass sichere und geheime Information und Kommunikation stabil möglich ist.“ Falls dies technisch nicht überall der Fall sei, müsse sofort nachgerüstet werden.

Drittens forderte Högl, mehr in die Abwehr von Spionage zu investieren. Der Militärische Abschirmdienst (MAD) müsse hierfür ertüchtigt werden. (Tsp, Reuters, dpa, AFP)

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