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Jost Müller-Neuhof ist rechtspolitischer Korrespondent des Tagesspiegels. Seine Kolumne "Einspruch" erscheint jeden Sonntag auf den Meinungsseiten.

© Kai-Uwe Heinrich

Einspruch: Zu klein fürs Fliegen

Das Körpermaß ist eine von Gottes großen Ungerechtigkeiten. Aber darf ein Frau wegen dieser Ungerechtigkeit daran gehindert werden, ein Flugzeug zu fliegen?

Die Lufthansa AG lehnt unmittelbare und mittelbare Diskriminierung ausdrücklich ab. So steht es auf der Website des Unternehmens unter „Auswahlphilosophie“ für den beruflichen Nachwuchs. Wie schwer es ist, dem eigenen hohen Anspruch gerecht zu werden, hat jetzt die Klage einer jungen Frau vor dem Arbeitsgericht in Köln gezeigt. Sie wollte Pilotin werden, ist aber dreieinhalb Zentimeter zu klein. Die Lufthansa will keine kleinen Flugzeugführer, sie will auch keine Hünen. Ins Cockpit kommen nur Menschen zwischen 1,65 und 1,98. Die Selektion ist tarifvertraglich geregelt. Die enttäuschte Anwärterin, die sonst alle Tests bestanden hat, wollte Schadensersatz.

Der Fall wirft ein Schlaglicht auf ein generell unterschätztes Merkmal. Seit das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) in Kraft ist, haben die Gerichte schon zu allen möglichen der dort genannten Benachteiligungsverbote entschieden: Rasse, ethnische Herkunft, Geschlecht, Religion, Weltanschauung, Behinderung, Alter, sexuelle Identität. Die Körpergröße findet sich dort nicht, obwohl sie exakt messbar, leichter feststellbar ist als alles andere.

Groß zu sein ist ein Vorteil, vor allem als Mann. Viele müssen dann zu einem aufschauen. Zu groß zu sein, bringt Probleme, doch Einsneunzig sind ein schöner Start in das Erwachsensein. Was jeder ahnt, wird durch Studien belegt: Die Großen verdienen besser und kommen weiter im Job. Kleine wiederum leiden oft schon in der Pubertät; manche so sehr, dass auch der spätere Schub die Einbußen an Selbstbewusstsein kaum wettmachen kann. Extremer Kleinwuchs gilt sogar als Behinderung. Schuld sind meist die Gene. Das Körpermaß ist eine von Gottes großen Ungerechtigkeiten.

Im Fall der Pilotin tritt sie offen zutage, und zwar als geschlechtsspezifische Diskriminierung. 40 Prozent aller erwachsenen Frauen fallen bei der Lufthansa automatisch durch den Rost, aber nur vier Prozent aller Männer. Und weil man sich im Cockpitsitz eines Jumbos ein Kissen unterlegen könnte, bekam die Frau im Prinzip recht. Zahlen musste die Lufthansa trotzdem nichts, weil sie sich nur an ihre Tarifregeln halten wollte und dadurch weder vorsätzlich noch grob fahrlässig gehandelt hat.

Man muss nicht allen Moden folgen. Im Mutterland der Antidiskriminierung, den USA, etabliert sich der „Lookism“, die Annahme, das Aussehen in einer normierten Schönheitsgesellschaft sowohl Vor- wie Nachteil sein kann. Nur, wie misst man das? Die Lufthansa verlangt für Flugbegleiter neben 160 Zentimetern ein „gepflegtes Äußeres“ und ein „angemessenes Körpergewicht“. Fängt da „Lookism“ an? Größe ist immerhin eindeutig, jedenfalls als Nachteil. Nicht nur die Lufthansa darf dankbar sein sein, dass es zur inneren Größe der meisten Kleinen gehört, sich mit der äußeren abzufinden.

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