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Wende in Geheimdienstaffäre – Das Leck schadet anderen mehr als den USA.

© Gestaltung: Tagesspiegel/Schuber (Fotos: imago, Reuters, freepik)

Wende in Geheimdienstaffäre: Das Leck schadet anderen mehr als den USA

Wenn geheime Dokumente nach außen dringen, ist das immer unangenehm. Aber haben die USA den größten Schaden von der neuesten Affäre? Nein, für angebliche Partner ist sie weit peinlicher.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Viele haben ihr Urteil über die jüngste Geheimdienstaffäre der USA längst gesprochen: Ein Debakel für Washington. Maximaler diplomatischer Schaden. Und die geleakten Informationen könnten den Erfolg der ukrainischen Frühjahrsoffensive vereiteln.

Eventuell lohnt ein zweiter Blick, nachdem die Quelle des Leaks auf einem ungewöhnlichen Weg aufgedeckt wurde. Nicht die Geheimdienste fanden die undichte Stelle, sondern die „Washington Post“ durch Recherchen in den sozialen Netzwerken.

Einiges läuft hier anders als in den gewohnten Denkmustern über die Dienste, ihren Sinn und ihre Schwachstellen. Das lädt dazu ein, die Erkenntnisse gegen den Strich zu bürsten.

„OG“ ist ein anderer Typ als Manning und Snowden

Es war mal wieder eine Person aus den eigenen Reihen, die Top-Secret-Unterlagen nach außen gab. Wie Chelsea Manning, die 2010 große Mengen geheimer Papiere an Wikileaks leitete. Oder Edward Snowden, der internationale Medien 2013 mit einem Schatz von Dokumenten über das Ausmaß der Überwachungs- und Spionagetechniken der USA versorgte. Selbst das Privathandy der damaligen Kanzlerin Angela Merkel war nicht sicher vor der NSA.

Jetzt haben es die US-Dienste mit einem anderen Tätertyp zu tun. Manning und Snowden standen dem progressiven Lager nah und handelten aus Misstrauen gegen staatliche Übermacht. Der aktuelle Verdächtige „OG“ gehört laut der „Post“ einer rechten Gruppe an, deren Mitglieder Waffen, das Militär und Gott verehren.

„OG“ arbeitete auf einer Militärbasis und hatte dort Zugang zu Dokumenten, die ausdrücklich „NOFORN“ sind: nicht für Ausländer bestimmt. Er wollte seinen Freundeskreis mit nüchterner geopolitischer Analyse versorgen, ganz voran mit Informationen darüber, welchen Einfluss ausländische Mächte auf die USA zu nehmen versuchen.

Erleichterung: Kein Hacking durch Russen

Solche Leaks sind nicht angenehm für die US-Regierung. Aber hat sie den größten Schaden von dieser Affäre? Manche Erkenntnisse über die Umstände der Affäre und aus den geleakten Dokumenten haben beruhigende Seiten für die USA. Oder sind für angebliche Partner weit peinlicher.

Erstens hat sich die Befürchtung, ein feindlicher Dienst sei in geheime US-Datenbanken eingedrungen, nicht bewahrheitet. Ein Hack durch russische oder chinesische Spionage wäre ein härterer Schlag als ein Leak in den eigenen Reihen. Zumal es um frische Informationen geht, die nur wenige Wochen alt sind.

Zweitens wurde das Leck relativ rasch gefunden, weil die USA eine offene Gesellschaft mit freien Medien sind. Schwer vorstellbar, dass die gleichgeschalteten Medien einer Diktatur zu einem ähnlichen Recherche-Coup fähig sind.

Die USA wissen mehr über andere als umgekehrt

Drittens belegen die veröffentlichten Geheimpapiere einmal mehr, dass die USA wesentlich mehr über andere Staaten wissen, als die über sie. Das betrifft Gegner, wahre Verbündete und vermeintliche Partner gleichermaßen. Es hat einen abschreckenden Effekt, wenn Staaten wissen, dass sie die USA mit Doppelspiel nicht lange täuschen können.

Viertens: Wessen Ansehen schadet es, wenn die Welt, zum Beispiel, über Ägypten erfährt, dass Präsident al Sissi offiziell den Verbündeten der USA gibt, aber sein Militär anweist, heimlich Waffen an Russland zu liefern? Doch wohl eher Ägypten als den USA.

Ähnlich erging es Saudi-Arabien, als die von Manning über Wikileaks verbreiteten „Diplomatic Cable“ belegten, dass die Saudis die USA am stärksten zu einem Militärschlag gegen den Iran drängten, während sie offiziell Solidarität unter Muslimen predigten und behaupteten, Israel sei der Kriegstreiber.

Episches Ringen um Geheimhaltung oder Weitergabe

Fünftens illustriert das jüngste Leck erneut das epische Ringen großer Geheimdienste um die richtige Balance zwischen dem Verteilen und dem notorischen Geheimhalten von Informationen. Vor dem Terrorangriff am 11. September 2001 auf New York lagen den diversen US-Diensten alle nötigen Informationen vor, um den Anschlag zu verhindern. Doch sie wurden nicht ausgetauscht und zusammengeführt – unter anderem wegen der Sorge, dass die Gefahr von Geheimnisverrat wächst, je mehr Menschen Zugang zu Top-Secret-Dokumenten haben.

Also folgte die Anweisung, mehr Informationen zu teilen und mehr Menschen Zugriff zu geschützten Datenbanken zu erlauben. Das erleichterte Manning und Snowden die Arbeit.

Nach jedem großen Verrat fordern die Insider mehr Geheimhaltung ein. Nach jedem Anschlag, der durch Teilen vorhandener Erkenntnisse hätte verhindert werden können, folgt der Ruf, mehr Informationen weiterzugeben.

Alles in allem ist die Geheimdienstarbeit der USA vielleicht doch besser als ihr Ruf. Sie hilft auch Deutschland, das Doppelspiel vermeintlicher Partner zu erkennen.

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