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Facebook sei "Scheißdreck", findet Günter Grass. Matthias Kalle ist da anderer Meinung.

© dpa

Coetzee, Grass und Co.: Mit dem Alter kommt die Jugend

Literaturnobelpreisträger John Maxwell Coetzee schreibt mit 73 Bücher über einen Jungen, Paddy McAloon singt mit 56 über die Jugend, Franz-Josef Wagner findet mit 70, Obama sei ein Weichei und der 85-jährige Günter Grass findet Facebook sei "Scheißdreck". Versteht man erst im Alter, was es heißt, jung zu sein?

Wenn es einigermaßen gut läuft, dann habe ich jetzt die Hälfte hinter mir. 76 – kein schlechtes Alter, vielleicht noch vier, fünf Jahre obendrauf, mal sehen, man will ja auch nicht gierig sein. Obwohl: In der vergangenen Woche wurde ich den Eindruck nicht los, dass das Beste vielleicht nicht hinter mir liegt, sondern noch vor mir.

Am Montag alberten sich Günther Jauch und Thomas Gottschalk durchs RTL-Abendprogramm. „Die 2“ hieß die Show, die die beiden schon einmal hatten, vor 25 Jahren, während der IFA. Man kann jetzt von dieser neuen Sendung halten, was man will, interessant ist aber doch, dass das Privatfernsehen, das jetzt nicht gerade als Heimat der Älteren unserer Gesellschaft bekannt ist, auf einen 63-Jährigem und einen 57-Jährigem setzt – und dass die Quote dem Sender am Ende sogar Recht gibt.

Ich habe die Sendung übrigens nicht gesehen, ich war auf einer Lesung, John Maxwell Coetzee, Literaturnobelpreisträger, las aus seinem neuen Buch „Die Kindheit Jesu“. Der Saal war voll, bereits eine halbe Stunde vor Beginn. Coetzee, 73, ist mein Lieblingsschriftsteller, andere Autoren, die ich gerne lese, sind bereits tot. Bücher von Menschen, die jünger sind als ich, lese ich nicht so gerne, keine Ahnung warum. Jedenfalls saßen hinter mir zwei ältere Herren, einer der beiden gab sich als Coetzee-Kenner zu verstehen: In den Büchern Coetzees sei die Hauptfigur immer zehn Jahre älter als der Schriftsteller zum Zeitpunkt des Verfassens. Und im letzten Buch, sapalott, sei ja der eigentliche Romanheld bereits tot! Da dürfe man jetzt aber mal gespannt sein.

Das war natürlich kompletter Unsinn, Coetzee schrieb zum Beispiel das Buch „Der Junge“, in dem es um einen Jungen geht, mit 57. Mit 62 schrieb er das Buch „Die jungen Jahre“, darin geht es um einen Mann Anfang 20. Und darin zeigt sich eben auch das große Können Coetzees: Im Alter über die Jugend so zu schreiben, dass das alles drin ist, was Jugend bedeutet. Ähnliches schafft ja übrigens Paddy McAloon, Sänger und Komponist von Prefab Sprout. McAloon ist 56, er klang immer schon wie ein 17-Jähriger, aber jetzt hat er ein Lied komponiert mit dem Titel „Adolescence“, „Jugend“, darin heißt es: „Adolescence what it’s like / it’s a psychedelic motorbike“. Versteht man erst im Alter, was es heißt, jung zu sein?

Wäre doch toll – aber wahrscheinlich ist es dennoch nicht: Günter Grass, 85, wundert sich darüber, dass sich nach der NSA-Affäre nicht Millionen Menschen von „Facebook und all dem Scheißdreck“ distanzieren würden. Grass hat auch einen Literaturnobelpreis, aber so ein Preis sagt nichts aus über das Wesen der Preisträger: Coetzee war während seiner Lesung zurückhaltend, defensiv formuliert. Hinterher signierte er noch und wirkte dabei wie ein einsamer, trauriger Mensch, der sich dem Schicksal einer monotonen Tätigkeit vollends hingibt.

Das Schreiben einer täglichen Kolumne ist – anders als das Schreiben einer wöchentlichen Kolumne – wahrscheinlich auch eine monotone Tätigkeit. Es sei denn, man sieht die Welt, wie Franz-Josef Wagner sie sieht. Der 70-Jährige schrieb am Mittwoch einen „Brief“ an Barack Obama. Wegen Syrien und dem Krieg. Wagner schrieb: „Sie sind ein Weichei.“ Er schrieb auch, Obama sei „mächtiger als Julius Cäsar, mächtiger als Alexander der Große.“ Vielleicht hat Wagner nur vergessen, dass Obama, im Gegensatz zu Cäsar und Alexander, demokratisch gewählt wurde und versucht, sich an die Gesetze dieser Demokratie zu halten, aber für Wagner ist Obamas Problem, „dass er nicht den Baseballschläger rausnimmt.“

Ich glaube nicht, dass das Obamas Problem ist. Ich glaube auch nicht, dass Facebook „Scheißdreck“ ist. Ich glaube, mit dem Älterwerden kann man sich ruhig noch ein bisschen Zeit lassen.

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