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Italiens Regierungschefin Giorgia Meloni.

© Foto: AFP/Alberto Pizzoli

Versuchslabor Italien: Die ersten Schritte der Wahlsieger zeigen, wie rechte Politik zur Norm wird

Ein Faschismusnostalgiker und ein Homophober sind Parlamentspräsidenten in Italien. Und Teile der Opposition bieten sich den Rechten an.

Ein Kommentar von Andrea Dernbach

„Ein schwarzer Tag“ titelt il manifesto am Tag danach. Für derlei Wortspiele – hier die Anspielung auf Mussolinis Schwarzhemden - ist die altgediente linke Zeitung berühmt. Nicht an jedem Erscheinungstag allerdings trifft ein Titel so ins – ja eben.

Der erste Auftritt von Italiens neuer rechter Mehrheit in den Institutionen der Macht sollte alle bekehren, die gern glauben möchten, es werde schon nicht so schlimm. Den Vorsitz im Senat, der zweiten Parlamentskammer wird künftig Ignazio Benito Maria La Russa haben. La Russa, einer der engsten Weggefährten der designierten Regierungschefin Giorgia Meloni und Mitgründer ihrer Fratelli d’Italia, hat dem Glauben seiner frühen Jahre nie abgeschworen.

Seine Karriere nämlich begann im MSI, einem Auffangbecken alter Kameraden, gleich 1946 gegründet von Antisemiten und den Treuesten der Mussolini-Treuen. La Russas Wohnung in Mailand, in die er ohne erkennbare Scham Kameras einlässt, ist voll von Fascho-Nippes und Duce-Devotionalien.

La Russa, der für seine Ausfälle, gern sexistische, berüchtigt ist, hatte zur Feier des Tages noch so viel Anstand, seiner Vorrednerin, der Holocaust-Überlebenden Liliana Segre, nicht offen zu widersprechen. Dass die Werte der italienischen Verfassung, ihre Geburt aus dem Antifaschismus, ihre starke soziale Einfärbung, die Segre hervorhob, nicht seine sind, machte seine eigene Antrittsrede dennoch deutlich genug. Wenn es das noch gebraucht hätte.

Freude übers neue Amt: Lorenzo Fontana (rechts) am Freitag im Abgeordnetenhaus in Rom
Freude übers neue Amt: Lorenzo Fontana (rechts) am Freitag im Abgeordnetenhaus in Rom

© imago/Riccardo Antimiani

Auf paralleler Linie zur Wahl des 75-jährigen lag am Freitag die seines Kollegen im Abgeordnetenhaus, der eine Generation jünger ist. Der 42-jährige Lorenzo Fontana von der Lega ist ein katholischer Ultra, der hinters Zweite Vatikanische Konzil zurückwill. Sein Update von „Gott, Familie, Vaterland“, wie der liberalkonservative Corriere della sera“ ironisierte, ersetzt lediglich patria durch Partei.

Homosexuelle Familien gibt es nicht

Lorenzo Fontana, italienischer Parlamentspräsident

In seiner Heimatstadt Verona organisierte er 2019 den „Weltkongress der Familie“ mit, ein Treffen von Antifeminist:innen, Homophoben und Abtreibungsgegnerinnen. Er will die Abtreibungspille verbieten und fürchtet Einwanderung als ebenso große Gefahr für „unsere Völker“ wie die Anerkennung anderer als heterosexueller Familien. Russland sieht er als leuchtendes Vorbild für den Umgang mit Schwulen, Lesben und jeglicher sexueller Minderheit. „Homosexuelle Familien gibt es nicht“, sagte er in einem Interview nach seiner Ernennung zum Familienminister 2018.

Die Umstände, die zumindest die Wahl im Senat erst möglich machten, sind noch furchterregender als die Personalien selbst: Faschismus-Nostalgiker La Russa wurde von mindestens 17 Senatorinnen und Senatoren der Gegenseite – es fällt schwer, von Opposition zu sprechen - mitgewählt. Ohne sie hätte er es nicht geschafft, jedenfalls nicht im ersten Wahlgang.

1994
war das Jahr der ersten Regierung von Silvio Berlusconi. Der neue Premier regierte erstmals mit der extremen Rechten, dem Movimento Sociale Italiano. Das Experiment endete im Jahr darauf wegen Differenzen zwischen Berlusconi und Umberto Bossis Lega, die damals noch für die Abspaltung Norditaliens antrat. Doch auch in den nächsten Regierungen waren die Postfaschist:innen mit dabei, die sich bald als „Alleanza Nazionale“ neu- beziehungsweise umgründeten.

Schlimm genug, dass Italien eine Regierung bekommt, die auf die brennenden Fragen des Landes nicht nur nichts im Programm hat und sich jetzt schon mehr mit sich selbst beschäftigt als mit der galoppierenden Armut, der Rezession, in die Italien kippt, mit Klima und Energiekosten. Auch von der andern Seite wird nicht nur keine Alternative zu erwarten sein, was schon der Wahlkampf zeigte. Teile der so genannten Opposition laufen sich im Gegenteil sogar jetzt schon warm dafür, bald zur Mehrheit überzulaufen und dafür Prämien zu kassieren, Aufsichtssitze im Fernsehen, Pöstchen im Parlament.

Es war Berlusconi, der 1994 aus Machtkalkül jene Rechtsaußen in seine Regierung ließ, die in Nachkriegsitalien bis dahin stets außerhalb des Verfassungsbogens standen. Nicht mehr als ein fun fact, dass der 86-Jährige jetzt von den Geistern, die er damals aus dem Abseits in die Säle der Macht rief, tief gedemütigt wurde: Die Stimmen von Forza Italia, die er La Russa schmollend verweigerte, brauchte Meloni schon nicht mehr, seine Forderungen für ihr Kabinett bügelte sie ab.

Wird Italien wieder zum Labor der europäischen Rechten, kommt eine Wiederaufnahme von damals? fragte jetzt ein Kommentar. Nun ja, ließe sich ergänzen: Das war Italien 1994 nicht zum ersten Mal, sondern auch schon vor hundert Jahren. Jetzt sollte es das abschreckende Experiment für unsere Demokratien sein: Wer rechte Politik integriert, zähmt sie nicht. So wird sie zur Norm.

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