zum Hauptinhalt
Fabrice Leggeri in seiner Zeit als Chef von Frontex

© AFP/JANEK SKARZYNSKI

Frontex-Chef heuert bei Le Pen an: Jetzt hat auch Frankreich seinen Fall Maaßen

Unter Fabrice Leggeri rissen Rechtsverstöße und Skandale der EU-Grenzschutzbehörde Frontex nicht ab. Jetzt macht er Politik für die Rechten. Was uns das über deren Macht sagt, lange bevor sie regieren.

Ein Kommentar von Andrea Dernbach

Ein hoher Beamter in einer Behörde, deren Aufgabe so ziemlich das Gegenteil dessen ist, was er für richtig hält – und was er tut: Es scheint, als habe jetzt auch Frankreich (und Europa) seinen Fall Hans-Georg Maaßen.

Am Wochenende gab die rechtsnationalistische Partei von Marine Le Pen, das Rassemblement National, einen prominenten Neuzugang bekannt. Fabrice Leggeri kandidiert für sie auf Listenplatz 3 bei der Wahl zum Europaparlament im Juni.

Der französische Beamte mit einst hohen Positionen im Pariser Innenministerium und in der Diplomatie stand von 2015 bis 2022 an der Spitze der europäischen Grenzschutzbehörde Frontex. Sieben Jahre, in denen die Skandale um das Amt in Warschau praktisch nicht abrissen.

Verschwundene Akten, Lügen und Schweigen

Nicht nur Seenotrettungs-NGOs, auch nationale Migrations- und Menschenrechtsbeauftragte mehrerer EU-Länder dokumentierten in Zeugenaussagen und Bildern illegale Pushback, also das Zurückdrängen von Schutzsuchenden an den Grenzen, dem anwesende Frontex-Mitarbeitende offenbar nichts entgegensetzten.

Anzeigen über schwerwiegende Zwischenfälle verschwanden aus den Akten, der Exekutivdirektor belog das Parlament, vor dem er auskunftspflichtig war, und nicht einmal die Kommissionspräsidentin konnte ihn in mehreren Gesprächen dazu bewegen, sich an die Regeln zu halten.

Im April vor zwei Jahren ging Leggeri. Neben dem niederschmetternden Abschlussbericht der Parlamentskommission über seine Amtsführung hatte ihn auch die EU-Antibetrugsbehörde Olaf im Visier, und die Bürgerbeauftragte bescheinigte ihm dürftiges Management von Beschwerden. Leggeris niederländischer Nachfolger trat das Amt mit dem Versprechen an, das Vertrauen zu Frontex wieder herzustellen.

30 Jahre Staatsdienst – für welchen Staat?

Insofern muss man sich fragen, was Leggeri meint, wenn er jetzt sagt, er wolle seine Erfahrung von 30 Jahren im Staatsdienst in die Politik tragen. Dass es nicht die Erfahrung eines loyalen und regeltreuen Beamten ist, davon zeugen zumindest die sieben Jahre in Warschau von 2015 bis 2022. Aber das Staatsverständnis auf der Rechten ist ja bekanntermaßen ein anderes, als es durch demokratische Verfassungen weht.

Radikalisierte sich Leggeri erst im Amt, oder wussten die, die ihn auf dem Höhepunkt der Bürgerkriegsflucht nach Europa zu Frontex schickten, nur zu gut, wes Geistes Kind sie da beriefen? Im Falle seines deutschen Schicksalsgenossen Hans-Georg Maaßen gibt es daran wenig Zweifel.

2012
wurde Hans-Georg Maaßen Chef des Bundesamts für Verfassungsschutz. Wenige Monate zuvor, Ende 2011, wurde die Mordserie des NSU bekannt.

Der Mann, den inzwischen die eigene einstige Behörde beobachtet, war, als er an die Spitze des Bundesamts für Verfassungsschutz geriet, bereits einschlägig als das bekannt, was man so gern und verharmlosend als Hardliner bezeichnet. Nicht zuletzt ein zynischer Auftritt im Bundestag wenige Jahre vor seiner Berufung 2012 blieb im Gedächtnis.

Die rot-grüne Bundesregierung hatte sich der Wiedereinreise des Bremers Murat Kurnaz widersetzt, der auf Guantanamo festgehalten wurde. Die Vorlage dazu verfasste Maaßen. Im Ausschuss wiederholte er seine Begründung: Kurnaz habe seine Aufenthaltsberechtigung nicht verlängern lassen.

Im Jahr nach NSU wird ausgerechnet Maaßen berufen

Maaßen wurde dennoch oberster Verfassungsschützer. Und er wurde es noch nicht einmal ein Jahr nach der Selbstenttarnung des NSU, jenes rechtsextremen Terrornetzes, das zehn Menschen ermordete, neun von ihnen aus eingewanderten Familien.

Ausgerechnet da und ausgerechnet er, einer der, wie ein Insider süffisant urteilte, bis dahin „durch Antirassismus nicht aufgefallen“ war.

2015
gilt als der Spitzenjahr der Fluchtbewegung, vor allem syrischer Bürgerkriegsflüchtlinge. In diesem Jahr trat Fabrice Leggeri als Exekutivdirektor von Frontex an.

Das weist, wie jetzt der Fall Leggeri, weit über den Einzelfall hinaus: Wer beruft Personen, die ihren Amtseid und ihre Beamtenpflichten offenbar sehr einseitig verstehen? Wie viel rechtsextremes Denken und Handeln infiltriert bereits nationale und europäische Institutionen?

Dass demokratische Parteien das Programm der extremen Rechten umsetzen und legitimieren, erleben wir seit langem, Macrons Migrationsgesetz in Frankreich ist nur ein jüngeres Beispiel.

Die Fälle Maaßen und Leggeri sind ein erneutes Alarmzeichen. Es ist höchste Zeit, sich auch mit der Demokratiefestigkeit des Beamtenapparats und der Behörden zu beschäftigen. Die extreme Rechte könnte sonst an der Macht sein, noch bevor sie sie „ergreift“.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false