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IS-Anhängerinnen werden im Al-Hol-Camp in Nordsyrien bewacht.

© AFP/DELIL SOULEIMAN

Deutsche Islamisten in Syrien: Die Bundesregierung will ihre Dschihadisten nicht zurück

Syriens Kurden bewachen unter großen Opfern ausländische Anhänger des „Islamischen Staates“ – auch Deutschland holt seine IS-Terroristen nicht ab.

Ein Kommentar von Hannes Heine

Als laste auf Syriens Kurden nicht schon genug: In ihrer kriegsversehrten Autonomieregion sichern sie die Energie- und Lebensmittelversorgung von Millionen, kümmern sich auch um Flüchtlinge anderer Regionen, die vor dem Damaszener Regime, marodierenden Banden oder dem „Islamischen Staat“ (IS) geflohen waren. In den Norden, wo im syrischen Chaos eine säkulare, multiethnische Koalition unter kurdischer Führung vor zehn Jahren die Autonomie ausrief.

Insbesondere der Türkei muss sich die kurdische Selbstverwaltung seitdem erwehren. Der gesamte Westen hält das Nato-Mitglied nicht davon ab, regelmäßig Syriens Kurden zu bombardieren. Die von Feinden umzingelte Autonomieregierung bat die Staaten Europas, wenigstens deren einst zum IS gereisten Dschihadisten abzuholen. Oder ein internationales, von den UN überwachtes Tribunal vor Ort zu unterstützen. Vergebens.

Nun will die kurdische Selbstverwaltung die IS-Leute selbst vor Gericht stellen: Es widerspreche internationalem Recht, die Gefangenen länger ohne Urteil zu inhaftieren – wenngleich so viel rechtsstaatliche Ernsthaftigkeit auch im Westen kaum jemanden interessiert.

Hunderte Männer und Frauen aus Deutschland waren meist ab 2014 zum IS gereist, als dieser über 45.000 Quadratkilometer und wertvolles Raubgut verfügte. Die überwiegend kurdischen Verbände der Autonomieregion besiegten den IS 2019 als Territorialmacht, der Jubel weltweit war groß.

Die deutsche Regierung ist dreister als andere

Zehntausende IS-Schergen aber überlebten – und die Kurden bleiben bis heute mit ihnen allein. Mit Coronakrise, Klimawandel, Ukrainekrieg verblasste der Syrienkonflikt im öffentlichen Bewusstsein Europas. Doch immer noch leben circa 50 aus Deutschland eingereiste IS-Fanatiker – darunter Murat, aber auch Martin – in Nordsyriens Camps.

Ja, auch andere Staaten holten ihre Terroristen nicht ab. Doch die Bundesregierung ist ein wenig dreister. Stets spricht das Auswärtige Amt (AA) von der „sogenannten“ Selbstverwaltung in Nordsyrien, zu der man wie selbstverständlich keine Beziehungen pflege – ganz so, als hielten die Kurden nicht seit einer Dekade das Leben ihrer Region aufrecht, samt Krankenversorgung, Schulen, Müllabfuhr.

Hinzu kommt, dass sich Vertreter der Bundesregierung durchaus mit der kurdischen Selbstverwaltung absprachen, woraufhin deutsche IS-Anhängerinnen und deren Kinder nach Deutschland gebracht wurden. Auch frühere Kabinette redeten über diese Absprachen aus Rücksicht auf die türkische Staatsführung lieber nicht: Ankara lehnt die Autonomie der syrischen Kurden ab, weil es ein Aufbegehren türkischer Kurden fürchtet. In Berlin macht man sich diese Sorge parteiübergreifend zu eigen.

Mit den als hochgefährlich eingestuften IS-Männern will sich die Bundesregierung ohnehin nicht befassen – sollen doch Syriens Kurden mit ihnen leben. Als reichte das nicht zum moralisch-politischen Bankrott, verteilt das AA auch noch Ratschläge: Angesichts der geplanten Prozesse habe man „deutlich gemacht“, schreibt das AA auf parlamentarische Anfrage, dass „die Einhaltung internationaler Standards bei derartigen Verfahren von großer Bedeutung ist“.

Wenn der Bundesregierung saubere Prozesse in einer armen, von Feinden umzingelten Region so wichtig sind, warum hilft sie dann nicht bei der Aufarbeitung, holt zumindest ihre eigenen Staatsbürger heim?

Die nächste Dschihadisten-Generation wächst heran

Syriens Kurden wollen mit den Prozessen zuvorderst an das in Europa verdrängte Problem erinnern. Denn wie immer die Verhandlungen ausgehen, sie werden die Lage vor Ort kaum verbessern. Deutschland sollte diese Erinnerung jedoch ernst nehmen – und es muss dafür noch nicht einmal die wertorientierte, feministische Außenpolitik bemühen, sondern schlicht Sicherheitserwägungen.

Die mäßig ausgerüsteten Kräfte der Selbstverwaltung bewachen oft nur Ein- und Ausgänge der riesigen Gefangenen-Camps und provisorischen Haftanstalten, drinnen ist es für die kurdischen Einheiten zu gefährlich: Tausende Dschihadisten sind mitunter gemeinsam an einem Ort gefangen. Sie führen intern ein Terrorregime, mehrfach brachen IS-Trupps aus, mordeten sich in die Freiheit.

Im Al-Hol-Camp etwa leben 50.000 Menschen, vergangenen November wurden dort zwei Mädchen geköpft. Syriens Kurden warnen vor der nächsten IS-Generation – vor 25.000 Kindern, die unter IS-Müttern aus allerlei Staaten aufwachsen, kein anderes Leben kennen und bald Erwachsene sind.

Kurzfristig sollte die Bundesregierung die syrischen Kurden von den deutschen IS-Männern entlasten. Langfristig könnte sie der Selbstverwaltung helfen, die dortigen Brutstätten des Dschihadismus nach einem internationalen Tribunal aufzulösen – auch wenn das bedeutet, die Autonomieregierung anzuerkennen und damit den Herrscher in Ankara zu verärgern.

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