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Blick auf die Einschusslöcher in dem Fenster, durch das Detlev Carsten Rohwedder erschossen wurde, aufgenommen am 02.04.1991 in Düsseldorf (Nordrhein-Westfalen).

© dpa/Hartmut Reeh

Der Mord an Detlev Rohwedder: Anschlag auf den Einigungsprozeß

Die Täter hoffen, von den Spannungen zu profitieren, die das Zusammenwachsen der Deutschen in den neuen Bundesländern erzeugt hat. Das darf nicht zugelassen werden.

Ein Kommentar von Hermann Rudolph

Der Mord an Detlev Rohwedder hat jene Erbitterung ausgelöst, die uns aus der nun wieder um ein Glied länger gewordenen Geschichte des individuellen Terrorismus in der Bundesrepublik leider nur allzu vertraut ist. Es will nicht in den Kopf hinein, daß Menschen dergleichen tun können; es übersteigt deshalb die Fassungskraft, daß es gleichwohl geschieht.

Und die Empörung, die die Tat hervorruft, gilt auch nicht nur dem Umstand, daß mit dem Attentat auf den Treuhand-Chef das Leben eines Mannes ausgelöscht wurde, den dieses Land brauchte. Sie hat zu tun mit der beleidigenden Diskrepanz zwischen dem Mann und seiner Leistung und den Motiven der Täter.

Das Empfinden wehrt sich dagegen, daß aus einer längst ins Wahnhafte hineingeratenen Deformation des Denkens heraus zerstörerisch in eine Existenz eingegriffen wurde, deren Verdienste – bei aller Kritik an der Arbeit der Treuhandstelle – außer Zweifel stehen und deren Arbeit für diesen Staat und diese Gesellschaft notwendig war. Sinnlos wäre dieser Tod auch, wenn ein Verkehrsunfall ihn herbeigeführt hätte; dies geht tiefer, macht nicht nur ratlos sondern zornig. 

Der Vorsitzende der Berliner Treuhandanstalt, Detlev Karsten Rohwedder (Archivbild vom 31.05.1990).
Der Vorsitzende der Berliner Treuhandanstalt, Detlev Karsten Rohwedder (Archivbild vom 31.05.1990).

© dpa/Hartmut Reeh

Die politischen Folgewirkungen dieses Anschlags mögen hinter den Reaktionen der Betroffenheit fürs erste zurücktreten. Aber sie liegen auf der Hand und sind ernst zu nehmen. Das Ziel der Schüsse in der Nacht zum Dienstag war Rohwedder, aber getroffen werden sollte der Prozeß der deutschen Vereinigung.

Von den Spannungen, Konflikten und Verletzungen, die das Zusammenwachsen der Deutschen in den neuen Bundesländern erzeugt hat, hoffen die Täter zu profitieren. Vieles von diesen Nöten hat sich in der Kritik an der Treuhand-Anstalt ausgedrückt, durchaus – wie die Demonstrationen der letzten Woche gezeigt haben – in einer Form, die den Vergleich mit der Entstehung von Sprengstoff rechtfertigt.

Das hat den Treuhand-Chef zur Zielscheibe für die Attentäter gemacht. Das begründet aber auch ihre abgefeimte tiefere Absicht: mit ihren Schüssen die Unruhe in den neuen Bundesländern zu schüren und damit das neue, vereinigte Deutschland an der Stelle zu treffen, an der es gegenwärtig am verletzlichsten ist. 

Um so mehr kommt es darauf an, dieser Absicht keine Chance zu geben. Es darf kein Zweifel daran bleiben – sofern die Täter durch die Ruchlosigkeit ihrer Tat nicht schon selbst dafür gesorgt haben –, daß jeder Schein der Berechtigung, der aus der Kritik an der Treuhandanstalt hinüberfiele auf die Tat von Düsseldorf, ganz abseitig wäre. Das kann nicht bedeuten, daß Kritik an der Treuhand abgewürgt wird. Aber es muß heißen, daß diese Kritik sachlicher, gerechter, den tatsächlichen Leistungen und Schwächen dieser Institution angemessener wird.

Das Attentat sollte in der Tat, wie der brandenburgische Ministerpräsident Stolpe angemerkt hat, die „letzte Warnung“ für alle sein, mit der gegenseitigen Schuldzuweisung in der Auseinandersetzung um die Bewältigung der Krise in den neuen Bundesländern aufzuhören und die Treuhand nicht weiter zum „Buhmann“ zu machen. 

Politisch inspirierter Terror darf keinen Nährboden finden

Der Mord an Rohwedder sollte freilich auch Anlaß sein – auch das hat Stolpe gefordert, völlig zu Recht –, die sozialen Notstände in den neuen Bundesländern gemeinsam anzugehen. Heimtückische Anschläge wie jener in Düsseldorf lassen sich nie ganz verhindern. Aber Sorge dafür zu tragen, daß der politisch inspirierte Terror in der Gesellschaft weiterhin keinen Nährboden findet, kann und muß Politik.

Die Erwägungen und Konsequenzen, zu denen die Mordtat Anlaß gibt, dürfen indessen die Trauer um den Mann nicht verdrängen, der ihr zum Opfer fiel. Daß Rohwedder nicht einfacher war, oft kühl und herrisch wirkte, hat verdeckt, daß hier einer wirklich zu jenem Dienst am Gemeinwesen bereit gewesen ist, der in republikanischen Staatswesen als höchste Ehre gilt.

Es ist ja wahr, daß Rohwedder auf seinem Sessel bei Hoesch im sicheren Westen hätte bleiben können. Daß er sich der Arbeit an der Überwindung der Folgen der Teilung zur Verfügung stellte, die wahrhaftig wenig Glanz versprach, hat er, der gebürtige Thüringer, selbst als „patriotische Aufgabe“ verstanden. Er hat dafür mit dem Teuersten bezahlt, was der Mensch hat.

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