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Mobiles Medium. Die Zeitung kann ihren Leser überallhin begleiten.

© picture alliance / dpa

Kein Fernsehen, kein Internet, kein Radio: Selbstversuch: Eine Woche Print

Irgendwann wird alles App, heißt es. Aber was, wenn der multimediale Mensch nur Zeitung liest? Ein Selbstversuch und drei Beobachtungen.

Wie gerne hätte ich das Experiment an dieser Stelle abgebrochen. Mein Kampf mit dem „FAZ“-Wirtschaftsteil dauerte da schon eine halbe Minute, über den Wolken Süddeutschlands prügelten meine Hände Falten in das Bündel Papier, neben der mittlerweile zerrissenen Zeitung hatte ich die Knie und die Hüfte meines Sitznachbarn in Mitleidenschaft gezogen. Aber nein, abbrechen ging nicht. Ja, Zeitungen rascheln, sie färben ab, sind unhandlich und langsamer als alle anderen Medien. Aber muss das deshalb wirklich ihr Ende bedeuten?

Eine breit angelegte Debatte hat das kürzlich zum x-ten Mal wieder aufgekocht. #tag2020 war der Diskurs, initiiert vom „Spiegel“-Mann Cordt Schnibben, überschrieben. Kluge Menschen haben kluge Sachen geschrieben, andere Menschen haben andere Sachen geschrieben. Das übereinstimmende Fazit jedenfalls: Das Medium der gedruckten Tageszeitung hat sich überlebt.

So gesehen habe ich in der vergangenen Woche Fossilienforschung betrieben. Ich habe mich ausschließlich über Zeitungen informiert, kein Radio gehört, den Fernseher nicht eingeschaltet, keine Nachrichtenseiten im Netz gelesen, die News-Alerts in meinem Smartphone – deaktiviert. Eine Woche Print pur. Warum? Um Abstand zu gewinnen: von den immergleichen Worthülsen des Branchenleids („Crossmedialität“, „Mobile Interaction“, „Gatekeeper“); von meinem eigenen Medienkonsum, der sich viel eher aus BuzzFeed, faz.net, tagesspiegel.de und Facebook zusammensetzt als aus den relevanten Tageszeitungen. Um also einen klaren Blick auf das werfen zu können, was mir angeboten wird. Drei Beobachtungen ergaben sich aus einer Woche.

Abgeschlossenheit

Oft wird von dem „Kulturgut“ Zeitung gesprochen, der Chefredakteur dieser Zeitung hat das zuletzt in der oben genannten Debatte getan. Stephan-Andreas Casdorff meinte damit vor allem die Zeitung als „konstitutives Element der Demokratie, der Presse- und Meinungsfreiheit“. Sie ist noch mehr. Sie ist ein Kulturgut der Zeitlichkeit.

Das Einsiedlerleben hat mir in der vergangenen Tagen etwas beschert, was ich viele Jahre schon nicht mehr genossen habe – nachrichtliche Abgeschlossenheit. Während man sonst den Tag über im Datenstrom mitschwimmt, ist eine Tageszeitung endgültig. Sie schnürt ein Paket an Informationen, mit dem ich über den Tag kommen soll. Das hat Nachteile. Sogar ganz offensichtliche. Aber nicht nur. Mit der Morgenlektüre waren die Nachrichten vermeldet, die bunten Seiten inhaliert, und dann – auf der letzten Seite angekommen – war es auch schon vorbei. Abgehakt. Ad acta. Der Tag hatte seine Agenda enthalten und die wurde nicht ständig aktualisiert, sie wurde nicht kommentiert, in der Gewichtung verschoben.

Das jedoch setzt Vertrauen voraus. Vertrauen in die Redaktion, die Themen gewichtet hat. Und dieses Vertrauen greift noch an einer anderen Stelle – der Themenauswahl. Am Donnerstag und Freitag beherrschte (ich habe nachträglich nachgesehen) der Datenklau bei Vodafone einen Großteil meiner netzaffinen Timelines. Rückblickend betrachtet stand dort, was dort immer steht: böser Datenklau, großes Sicherheitsleck. In zahlreichen Varianten. Die „FAZ“ brachte an diesem Tag auf ihrer zweiten Seite die Hintergründe zum geplanten Eintritt Syriens zur Chemiewaffenkonvention, daneben berichtete sie über die mutmaßliche Reaktivierung eines nordkoreanischen Atomreaktors und schätzte die mögliche Annäherung Teherans an die Internationale Atomenergiebehörde ein. Der Tagespiegel brachte am selben Tag einen Text über den Umgang der Weltkulturen mit ihren Alten, die „Welt Kompakt“ am Dienstag einen großen Report über den Ort, an dem die (Nicht-)Wähler wohnen. Texte, die meine Filter Bubble nicht kennt. Die mich bereicherten. Auch der Datenklau bei Vodafone war in diesen Zeitungen Thema, der Tenor böser Datenklau, großes Sicherheitsleck. Auf durchschnittlich drei Spalten. Abgeschlossen. Ad acta. Das ist kein Alleinstellungsmerkmal von bedrucktem Papier – aber von der Form Tageszeitung.

Vorausschau

Am Mittwoch vermeldeten die Zeitungen einhellig Thomas Bach als neuen IOC-Präsidenten. Als hätte selbst ich in meiner analogen Höhle das nicht schon längst mitbekommen – am Vorabend. Es ist mittlerweile eine Binse, dass Nachrichten zur Inflationsware verkommen sind: Sie sind überall, immer verfügbar. Die Frage ist: Wieso sie dann noch immer in den Zeitungen stehen? Vor der Wahl las ich in der „Süddeutschen Zeitung“ ein Porträt über Bach. Zu einem Zeitpunkt, als der Vorgang im allgemeinen Nachrichtenstrom kaum jemanden außerhalb des Experten-Zirkels interessierte. Es war ein kalkuliertes Glücksspiel, Bach hätte auch scheitern können – das Porträt wäre entwertet gewesen. Das Glücksspiel wurde gewonnen. Ich erfuhr, was wichtig wird, nicht was wichtig war. Mehr Vorausschau, weniger Nachlese.

Vorhersehbarkeit

Während im Netz ständig neue Formen und Formate entstehen, ist Zeitung vor allem: Text und Bild. Nachdem ich am Mittwoch den Kampf mit dem „FAZ“-Wirtschaftsteil gewonnen hatte, las ich ein Interview mit der Gruner + Jahr-Vorstandschefin, Julia Jäkel. Ein Jahr ist Jäkel an der Unternehmensspitze und statt ihre Genese zur Konzernumbauerin in Bildern auszudrücken, thronte das gewohnte Interviewfoto über dem Gespräch. Ich habe mir die Mühe gemacht und das Bild von Jäkels Amtsantritt einmal im Netz gesucht. Die Gegenüberstellung hätte sich gelohnt, damals das mannequineske Porträtfoto, heute das von einschneidenden Konzern-Entscheidungen gezeichnete Managerprofil.

Bilderstrecken sind kein Monopol des Tablets, auch Tageszeitungen können Geschichten über Gestaltung erzählen. Wenn sie Platz freischlagen, die kleinen Textblöcke verbannen, stattdessen Bildstrecken abdrucken, in der Form überraschen.

Machen wir uns nichts vor: Es wird keinen Tag X geben, an dem die Zeitung weg und etwas Neues da sein wird. Ja, irgendwann wird alles App. Aber niemand legt einen Schalter um und begrüßt mal eben ein neues Zeitalter. Nicht mal Springer-Chef Mathias Döpfner.

In den vergangenen Monaten und Jahren ist viel über das „Bald“ geredet – selten aber über das „Jetzt“. Über die Übergangszeit. Wie wäre es damit? Die Zeitungsexperten und die Zeitungsmacher sollten die Allgemeinheit in Zukunft nicht mehr mit den immergleichen Texten über das Ende der eigenen Zunft nerven. Und im Gegenzug darf niemand genervt sein, wenn die Zeitungsmacher mit alten Traditionen brechen; wenn sie nicht mehr alle Nachrichten in die Zeitung von morgen packen wollen, weil sie dann ohnehin veraltet sind; wenn sie experimentieren. Und zwar im laufenden Betrieb. Am lebenden Objekt.

Sonst ist es bald wirklich tot.

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