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Würde man beleidigen, wenn man der beschimpften Person gegenübersteht, ihre Reaktion direkt mitbekommt? Das fragen sich Kai Gniffke, Anja Reschke und Isabel Schayani.

© Tsp

Update

ARD-Aktion gegen Hatespeech: Hart im Nehmen

Vergessene Themen? Systempresse? Sag’s mir ins Gesicht! Die ARD wagt auf Facebook ein Experiment gegen Hatespeech, will sich dabei aber nicht alles gefallen lassen. Der erste Video-Dialog war allerdings ziemlich soft.

Anonyme Wutmails, Hasskommentare, Pöbeleien – die Geschichte des Internets, vor allem der sozialen Netzwerke, ist auch eine Geschichte von Hasseinträgen, die Seiten überfluten. Eine laute Minderheit dominiert digitale Diskursräume. Die „Tagesschau“ will das nicht länger hinnehmen und hat am frühen Sonntagabend ein Experiment gegen Hatespeech gestartet. Sie fordert anonyme Kommentatoren und Verfasser von Hasskommentaren zu einem Videodialog auf. Bei der Aktion „Sag’s mir ins Gesicht“ wollen sich prominente ARD-Gesichter wie „Panorama“-Moderatorin Anja Reschke und Isabel Schayani vom WDR live auf Facebook ihren Kritikern stellen, die dabei aus der Anonymität hervortreten sollen.

Sobald es in der aktuellen Fernsehberichterstattung um Themen wie Migration und Flucht, die USA, Israel oder die Türkei gehe, überfluteten Hasseinträge die Kommentarspalten in den sozialen Netzwerken, heißt es dazu bei der ARD. „In den vergangenen Monaten und Jahren ist der Ton immer rauer, hemmungsloser und brutaler geworden“, sagte Kai Gniffke, Chef von ARD aktuell. „Hetze, Mobbing und Pöbeleien sind an der Tagesordnung.“ Ziel der Aktion sei es, die Diskussionskultur im Internet zu verbessern und zu ergründen, warum manche Nutzer besonders emotional reagieren und hasserfüllte Kommentare schreiben. Zugleich möchte die „Tagesschau“ versuchen, den Dialog auch mit Fundamentalkritikern nicht abreißen zu lassen.

Ein interessanter Ansatz, den auch schon Renate Künast verfolgte, als sie im vergangenen Jahr unangemeldet Hausbesuche bei Menschen machte, die Hasskommentare verfassten. Künast sagte, dass ihr die Stimmen aus dem Internet Angst machen. Angst hat die ARD bei ihrer Facebook-Aktion vielleicht nicht, aber glaubt der Sender wirklich, dass er damit Hasskommentatoren aus ihrer Anonymität locken und möglicherweise auch etwas an ihrer Einstellung ändern kann? „Das Ganze ist ein Experiment, bei dem wir nicht wissen, wie groß die Resonanz sein wird“, sagt Gniffke dem Tagesspiegel. „Da viele Hasskommentare unter Klarnamen geschrieben werden, glauben wir, dass sich solche Leute tatsächlich auch bei uns melden werden.“

Man sei darauf eingestellt, dass sich Teilnehmer im direkten Dialog im Ton nicht zügeln, sondern weiterpöbeln. „Wir sind hart im Nehmen, sonst würde dieses Liveevent keinen Sinn ergeben.“ Man wolle und werde auch deutlich machen, dass man sich nicht alles gefallen lässt. Hetzethemen gibt es zuhauf: Flüchtlinge, USA/Trump, Israel, Türkei. Dazu kommen laut Gniffke Themen rund um den Begriff Populismus, Frauenrechte oder Fragen der sexuellen Orientierung. Die „Tagesschau“ erhalte jeden Tag 12 000 Kommentare auf Facebook. Vor zwei Jahren waren dies 3000 am Tag. Wie groß der Anteil der Kommentare ist, die Hassbotschaften beinhalten, lasse sich nur schwer beziffern.

Würden sich die Verfasser von Hasskommentatoren das trauen?

Studien legen nahe, dass nicht die vermeintliche Anonymität im Netz den Hass verstärkt, sondern die Tatsache, dass man das Gesicht der anderen Person nicht sieht. Würde man hetzen und beleidigen, wenn man der beschimpften Person gegenübersteht und ihre Reaktion unmittelbar mitbekommt? Würden sich die Verfasser von Hasskommentatoren das trauen? Das ist nach dem ersten Video-Dialog mit Kai Gniffke am Sonntagabend eher unwahrscheinlich.

Übertragungstechnisch war der Start um 19 Uhr schon mal nicht perfekt. Kai Gniffke wies bei der Begrüßung daraufhin, dass dieser Video-Dialog via Skype keine Inszenierung sei. Ein User fragte Gniffke ins Gesicht, ob die Nähe zu den Politikern die Objektivität bei der öffentlich-rechtlichen Berichterstattung nicht einschränke. Knifflige Frage, so Gniffke, diese „Nähe“, auf Politikerreisen etc., sei für die Journalisten nötig, um an wichtige Informationen zu kommen.

Etwas härter die Gangart, als sich der ARD-aktuell-Chef von einem jüngeren User den Vorwurf der „Systempresse“ anhören musste. Themen werden bei der ARD ausgespart, zum Beispiel Aspekte bei der Ukraine-Krise oder "Verbrechen der USA". Stichwort Verschwörungstheorien. Gniffke verteidigte sich: In den internen Diskussionen bei der ARD werde jeden Tag darüber geredet, ob denn die Berichterstattung in der ARD eine Tendenz, einen Spin habe.

Auch in Sachen Donald Trump habe die ARD dazu gelernt, vor allem in der Rückschau auf die US-Wahlkampf-Berichterstattung. Falsche Fakten habe es nicht gegeben, aber, so Gniffke, "die Tonart war verächtlich". Die Leute wollten keine Meinung über Trump untergejubelt bekommen.

Ein Anrufer von der AfD wollte noch wissen, wie nahe die ARD der Regierung stehe. Alles in allem aber eine relativ friedliche Video-Stunde am Sonntagabend. Vielleicht lag's am guten Wetter. Ob die Fragesteller alle Hass-Kommentatoren waren, sei dahin gestellt. Am Montag um 19 Uhr geht Anja Reschke in den Dialog – die Moderatorin wurde im Netz schon als „Hure“, „Tussi“ oder „Blondinchen“ bezeichnet.

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